Übernahmeschlacht um VW Wiedeking tritt vor den Richter
22.10.2015, 08:03 Uhr
Rückblick in den November 2008: Der damalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und Porsche-Finanzvorstand Holger Härter (l.) stellen sich vor der Bilanz-Pressekonferenz den Fotografen.
(Foto: dpa)
Wendelin Wiedeking war einst die Lichtgestalt des deutschen Autobaus - dem Mann wollte einfach alles gelingen. Mit der VW-Übernahme verzockte er sich dramatisch. Jetzt sitzt er in Stuttgart auf der Anklagebank. Spielte er mit gezinkten Karten?
Vor dem Stuttgarter Landgericht startet ein Mammutprozess zu einem der wildesten Kapitel der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte: Vor dem Richter stehen der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und sein Finanzvorstand Holger Härter.
Verhandelt wird die VW-Übernahme durch Porsche. Der Plan sollte Wiedekings und Härters Meisterstück werden, doch das Vorhaben scheiterte krachend - nun müssen die damaligen Top-Manager ihre Rolle in der spektakulären Übernahmeschlacht von 2008 der Justiz erklären. Im Fall einer Verurteilung müssen Härter und Wiedeking - schlimmstenfalls - mit mehrjährigen Haftstrafen rechnen. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen und Antworten.
Worum genau geht es?
Der relativ kleine bis dato eigenständige Sportwagenbauer Porsche fing 2005 an, sich am Branchenriesen VW zu beteiligen. Schritt um Schritt erhöhte die hochprofitable Firma ihre Anteile. Offizieller Grund: Stärker kooperieren und dadurch Kosten sparen.
Knifflig wurde die Sache 2008, als Porsche einen 75-Prozent-Anteil ansteuerte. Dadurch hätte Porsche VW-Gewinne in die eigene Bilanz abführen können. Das Aktienrecht setzte Porsche eigentlich unter Zugzwang: Wenn eine Firma beschließt, einen so hohen Anteil zu erwerben, muss dies mitgeteilt werden. Porsche tat dies Ende Oktober 2008. Viel zu spät, meint die Staatsanwaltschaft - tatsächlich habe Porsche den Kaufbeschluss verschwiegen und dadurch den Markt manipuliert.
Warum ist der Prozess so brisant?
Experten fiebern der Aufarbeitung seit Monaten entgegen: Die Übernahmeschlacht zwischen VW und Porsche - eines der spektakulärsten M&A-Vorhaben überhaupt - wird dadurch noch einmal lebendig. Die kleine Sportwagenschmiede wollte den Autokonzern Volkswagen schlucken, die dafür notwendige Finanzkraft wurde großteils über Kredite und Optionsgeschäfte geschultert. Die Aktienkurse fuhren Achterbahn. Die im Dax gelistete Vorzugsaktie schoss durch die Wechselwirkungen der komplizierten Transaktion in ungeahnte Höhen.
Der Sportwagenbauer verhob sich dramatisch, VW drehte den Spieß um und machte Porsche zur Tochter. Die beiden Angeklagten, der damalige Porsche-Boss Wendelin Wiedeking und sein Finanzvorstand Holger Härter, saßen bei diesem tollkühnen Übernahmemanöver am Steuer - beim Umsatz war VW damals etwa 15 Mal größer als Porsche. Spielten die Porsche-Chefs beim damaligen Übernahmepoker nach geltenden Regeln - oder lassen sich justiziable Verfehlungen nachweisen? Diese Fragen müssen die Richter klären.
Warum hat es so lang gedauert bis zum Prozess?
Sieben Jahre grübeln Richter und Staatsanwälte nun schon über den Fall. Ursprünglich warfen die Staatsanwälte den damaligen Porsche-Vorständen Untreue vor, weil sie Vermögen der Firmeneigentümer aufs Spiel gesetzt hätten. Der Vorwurf wurde fallengelassen, inzwischen geht es um den schwächeren Verdacht der informationsgestützten Marktmanipulation.
Zunächst wollte das Landgericht Stuttgart den Fall nicht zulassen, das übergeordnete Oberlandesgericht erzwang aber die Verfahrenseröffnung. Die Sache zog sich hin. Noch in diesem Sommer wurden zwei Anklagestränge zusammengeführt. "Sieben Jahre vom Tatvorwurf bis zur Hauptverhandlung sind in einem rechtlich komplexen Wirtschaftsstrafverfahren dieses Zuschnitts nicht absolut außergewöhnlich", sagt der Frankfurter Juraprofessor Matthias Jahn.
Was droht den Angeklagten?
Bei Marktmanipulation kann eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe verhängt werden. Soviel zur Theorie. Tatsächlich jedoch dürften weder Wiedeking noch Härter hinter Gittern kommen - dafür sind die Vorwürfe wohl nicht schwer genug. Ob es überhaupt zu einer Verurteilung kommt, ist fraglich - Experten wie Jurist Jahn sehen "belastbare Indizien, dass die Staatsanwaltschaft sich mit ihrer Anklage sehr schwertun wird".
Eins dieser Indizien sei die Einstellung von Ermittlungen gegen den damaligen Porsche-Aufsichtsrat, sagt Jahn. Das Kontrollgremium sei zwar nicht operativ verantwortlich, habe sich aber letztlich doch an die gleichen Regeln halten müssen wie der Vorstand. "Ich glaube nicht, dass das Verfahren mit einer Verurteilung enden wird", meint ein anderer Juraprofessor, der namentlich nicht genannt werden wollte. Wer Vertretern der Verteidigung dieser Tage begegnet, trifft auf eine demonstrativ zur Schau gestallte Erfolgsgewissheit. Das Verfahren wird zeigen, ob ihr Selbstbewusstsein doch noch eine Delle bekommt.
Welche Auswirkung hat das Urteil?
Klar ist: Es geht nicht bloß um zwei Manager und möglicherweise ein paar 100.000 Euro Strafe. Es geht um die Frage, inwiefern der damalige Porsche-Übernahmeplan schon im Kern morsch war. Sollten Wiedeking und Härter verurteilt werden, hätte das eine Signalwirkung für Zivilprozesse in Niedersachsen, wo Hedgefonds Schadenersatz verlangen für milliardenschwere Verluste. Wiedeking dürfte aus seiner Zeit als Porsche-Chef durchaus noch über greifbare Vermögenswerte verfügen. Allein im Geschäftsjahr 2007/08 soll er Berichten zufolge insgesamt 100,6 Millionen Euro verdient haben.
Die Börsenspekulanten mussten wegen der Berg- und Talfahrt von Porsche-Aktien während der Übernahmeschlacht herbe Schlappen hinnehmen. Hätten Wiedeking und Härter die Börse pflichtgemäß informiert, wären diese Verluste nicht entstanden, behaupten die Zivilkläger. Insgesamt mehr als fünf Milliarden Euro fordern die Fonds-Manager ein.
Formal gesehen läuft das Stuttgarter Strafverfahren zwar auf einer ganz anderen Fahrbahn. Dennoch dürfte der Ausgang des nun beginnenden Verfahrens von den Beteiligten der anderen Prozesse mit höchstem Interesse zur Kenntnis genommen werden.
Wie lange dauert das Verfahren?
Das Gericht plant vorerst mit 17 Verhandlungstagen bis zum 21. Januar 2016. Neben den Angeklagten sollen polizeiliche Sachverständige, wissenschaftliche Gutachter und Aufsichtsräte vernommen werden.
Quelle: ntv.de, Oliver Schmale und Wolf von Dewitz, dpa