Wenn nichts mehr geht Ein Schlaganfall verletzt auch die Seele
29.10.2013, 15:09 Uhr
Ein Schlaganfall ist eine schwere Erkrankung des Gehirns. Er kann von einem Moment auf den anderen das Leben eines Menschen verändern. Mehr als 30 Prozent aller Betroffenen entwickeln depressive Symptome - auf die Ärzte reagieren müssen.
Er kommt ohne Vorankündigung von einem Moment auf den anderen und kann das ganze Leben eines Menschen verändern - der Schlaganfall. Je schneller ein Schlaganfallpatient behandelt werden kann, umso größer sind seine Überlebens- und Rehabilitationschancen. Trotzdem ist der Hirninfarkt die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und gilt als häufigster Grund für mittlere und schwere Behinderungen. Schlaganfallpatienten haben nicht nur mit großen körperlichen Einschränkungen zu kämpfen, sondern befinden sich auch in einer Situation großer psychischer Belastung, die sich schnell zu einer Depression verwandeln kann. "Eine Depression, die nach Schlaganfall diagnostiziert wird, wird medizinisch als Post Stroke Depression bezeichnet", erklärt Professor Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie am Charité-Universitätsklinikum in Berlin, in einem Gespräch mit n-tv.de. Mehr als 30 Prozent aller Schlaganfallpatienten seien von einer Post Stroke Depression (PSD) betroffen, so der Neurologe weiter.

Die meisten der Schlaganfallpatienten sind zumindest über einen gewissen Zeitraum behindert. Viele bleiben es bis zum Ende des Lebens.
(Foto: REUTERS)
Aufgrund der hohen Zahlen ist es so wichtig, dass diese Folgeerkrankung des Schlaganfalls von Ärzten erkannt und entsprechend behandelt wird. Bei der Diagnose muss klar unterschieden werden, ob es sich beim Leiden des Patienten lediglich um eine depressive Verstimmung oder um eine echte Depression handelt. Aufgrund der schwerwiegenden Schädigungen, die Schlaganfälle auslösen können, wird der Fokus bei den Nachuntersuchungen allerdings oftmals auf die körperlichen Beschwerden gelegt. Dabei kann schnell übersehen, verkannt oder gar nicht untersucht werden, ob der Patient zusätzlich zu seinen körperlichen Einschränkungen auch an einer PSD leidet. "Ärzte müssen deshalb sensibilisiert werden, um auch die Möglichkeit der PSD bei jedem Schlaganfallpatienten in Betracht zu ziehen", sagte Endres, der auch Vorsitzender der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft ist, anlässlich des Welt-Schlaganfall-Tages am 29. Oktober.
Die große Herausforderung in diesem Bereich besteht darin, zu erkennen, wie es in dem Patienten nach solch einem harten Schicksalsschlag wie dem Hirninfarkt aussieht. Besonders erschwerend für eine Diagnose können die körperlichen Einschränkungen des Erkrankten sein. So kann er oftmals nicht nach seinem emotionalen Befinden gefragt werden, da er durch Sprachstörungen oder Lähmungen gar nicht die Möglichkeit hat, sich entsprechend zu äußern. "Bei schweren körperlichen Beeinträchtigungen ist nur mit besonderem Fingerspitzengefühl, reichlich Erfahrung und Menschenkenntnis möglich, eine PSD zweifelsfrei zu erkennen", erklärt Endres. Im Zweifelsfall können auch Angehörige zu Rate gezogen werden. Wie schwierig es sein kann, bei jemandem Antriebslosigkeit zu erkennen, der halbseitig gelähmt an Bett oder Rollstuhl gefesselt ist, ist auch für Laien leicht nachvollziehbar.
Ursachen bisher unklar
Die Post-Schlaganfall-Depression (PSD), englisch Post Stroke Depression, ist eine psychische Erkrankung, die die Kriterien einer Depression erfüllt und nach einem Schlaganfall in Erscheinung tritt. Eine Post-Schlaganfall-Depression unterscheidet sich in ihrem Erscheinungsbild nicht wesentlich von einer normalen Depression. Die Ursachen sind bisher ungeklärt. Es ist wahrscheinlich, dass die PSD keine reine reaktive Depression ist, sondern mit den biologischen Veränderungen im Gehirn zusammenhängt.
Die PSD kann affektive Veränderungen (erkennbare Stimmungsveränderungen), vegetative Veränderungen (Störungen im Schlaf-Wach-Rhythmus) und kognitive Veränderungen (Verständnis- oder Verarbeitungsstörungen von Ereignissen) umfassen.
Die PSD hat weitreichende Auswirkungen auf den Gesundungsprozess eines Schlaganfallpatienten. Sie führt zu einer schlechteren Rehabilitationsprognose, reduziert die Lebensqualität zusätzlich und erhöht die Sterberate.
Auch Angehörige von Schlaganfallpatienten können aufgrund ihrer sozialen und psychischen Belastung durch die veränderte Lebenslage eine Depression entwickeln. Auch diese wird als Post Stroke Depression bezeichnet. Beratungsstellen für pflegende Personen halten für Betroffene zahlreiche Hilfsangebote bereit.
Erschwerend kommt hinzu, dass bisher nicht eindeutig geklärt werden konnte, welche Ursachen hauptsächlich zu einer PSD führen. So könnten die Minderversorgung von Gehirnzellen mit Sauerstoff und daraus entstehende Schädigungen im Gehirn durchaus zu mentalen Problemen führen. "Es gibt Hinweise darauf, dass Schädigungen in bestimmten Hirnregionen zu einem Anstieg der PSD führen können", weiß Endres. "Besonders spannend ist für uns als Neurologen, zu erforschen, welche biologischen Vorgänge im Gehirn zu welchen psychischen Auswirkungen führen können. Es ist wahrscheinlich, dass die PSD nicht nur eine reaktive Depression ist, sondern biologische Veränderungen im Gehirn nach einem Schlaganfall zu einem Dominoeffekt führen, der sogar langfristig psychisch nachwirken kann", erklärt Endres. Sicher ist aber: Je größer das geschädigte Hirnvolumen nach einem Schlaganfall ist, umso größer ist auch das Risiko, an einer Post Stroke Depression zu erkranken. Menschen, die vor einem Schlaganfall bereits mit Depressionen zu tun hatten, sind ebenfalls gefährdeter.
PSD-Symptome wie bei Depression
Die Symptome einer PSD sind mit denen einer Depression identisch. Neben Antriebslosigkeit, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Konzentrations- und Schlafstörungen können auch Anpassungsschwierigkeiten auftreten. Um eine Depression nach Schlaganfall zu diagnostizieren, können Ärzte durchaus auf die Diagnostik-Leitlinien für Depressionen zurückgreifen. "Werden fünf bis sechs Merkmale der ICD-10-Leitlinien erkannt und halten diese Zustände länger als vierzehn Tage bei einem Schlaganfallpatienten an, dann sollte therapeutisch gehandelt werden", betont Endres. Denn eine PSD kann nicht nur das Leben des Patienten in Gefahr bringen, sondern nachweisbar auch die Heilungs- und Rehabilitationschancen verringern.
Nach einem Schlaganfall müssen Patienten viel Zeit, Kraft und Disziplin für Rehabilitationsmaßnahmen aufbringen. Mehr als zwei Drittel aller Schlaganfallpatienten müssen Bewegung und Sprache neu erlernen. Wer das nur freudlos und ohne Hoffnung auf Besserung tut, der wird auch nur bedingt Erfolge bei der Rehabilitation haben. So kann es zu einer Abwärtsschleife kommen, aus der der Patient aus eigener Kraft nicht mehr herauskommt. PSD reduziert nicht nur die ohnehin schon beschädigte Lebensqualität, sondern erhöht nachweisbar auch die Sterblichkeitsrate.
Antidepressiva werden nicht vorbeugend verabreicht
Schlaganfallpatienten, bei denen eindeutig eine Post Stroke Depression diagnostiziert wird, werden heute medikamentös mit modernen Antidepressiva behandelt. "Die bei Depressionen üblicherweise verwendeten sogenannten trizyklischen Präparate verwendet man bei PSD jedoch nicht, da sie Auswirkungen auf die Herzleitung haben und deshalb bei Schlaganfallpatienten, die ja zu den Gefäßpatienten gehören, kontraindizierte Wirkungen haben können", erzählt Endres aus der Praxis.
Da wegen der besonderen Situation nach einem Schlaganfall nicht jede PSD diagnostiziert wird und gleichzeitig mindestens ein Drittel aller Patienten betroffen ist, stellt sich für viele Fachärzte die Frage, ob Antidepressiva vorbeugend jedem Schlaganfallpatienten verabreicht werden sollten. "Die Datenlage dazu ist widersprüchlich. Es gibt Studien, die keine Wirkungen zeigen, aber auch Studien, die positive Wirkungen nachgewiesen haben", so der Arzt weiter. Bisher kann man dazu aber kein abschließendes Urteil fällen und solange dieses ausbleibt, wird nur mit Antidepressiva behandelt, wenn eine PSD-Diagnose gestellt wird.
Quelle: ntv.de