Folgen von Naturkatastrophen Fluchtwege lassen sich berechnen
18.06.2012, 21:19 Uhr
Flüchtlingslager in Port-au-Prince nach dem schweren Erdbeben in Haiti 2010.
(Foto: picture alliance / dpa)
Jährlich müssen Menschen ihre Heimat verlassen, um vor Naturkatastrophen zu fliehen. Anders als bislang angenommen, lässt sich der Verlauf solcher Flüchtlingswellen frühzeitig vorhersagen. Wissenschaftler nutzen Werte aus der Handy-Kommunikation von Flüchtlingen, um präzise Aussagen zu treffen.
Erdbeben, Seuche, Atomunfall – mögliche Gründe für eine Flucht großer Bevölkerungsgruppen gibt es viele. Für Hilfseinsätze und Krisenmanagement ist es wichtig, das Verhalten der Menschen möglichst gut vorhersagen zu können. Wissenschaftler haben sich mit den Fluchtbewegungen in Haiti nach dem verheerenden Erdbeben 2010 beschäftigt. Die Daten lassen den Schluss zu, dass die Muster der Menschenströme nach einem Unglück sehr gut vorhersagbar seien, schreiben die Forscher in den "Proceedings" der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften ("PNAS").
In Haiti leben rund zehn Millionen Menschen, Zehntausende starben bei dem Beben im Jahr 2010. Das Team des schwedischen Wissenschaftlers Petter Holme hatte die täglichen Ortsinformationen von 1,9 Millionen Handys Überlebender ausgewertet – aus dem Monat vor dem Beben am 12. Januar 2010 und in den zwölf Monaten danach.
Bevölkerung von Port-au-Prince sank um 23 Prozent
Sowohl die Menge flüchtender Menschen als auch die von ihnen zurückgelegten Distanzen nahmen nach dem Beben zunächst immer stärker zu. Am Tag nach dem Beben hatten 6,5 Prozent der Handynutzer mehr als 20 Kilometer zurückgelegt. 19 Tage nach dem Unglück war die Bevölkerung der stark betroffenen Hauptstadt Port-au-Prince schätzungsweise um 23 Prozent geschrumpft.
Die Orte, die die Menschen in den ersten drei Wochen nach dem 12. Januar aufsuchten, waren vielfach dieselben wie die zu "normalen" Zeiten besuchten – etwa wegen sozialer Bindungen dort, heißt es in "PNAS". Danach habe eine Rückkehrwelle eingesetzt. Anders als lange angenommen sei der Flüchtlingsstrom keineswegs chaotisch gewesen, sondern habe sich am früheren Reiseverhalten der Menschen etwa zu Weihnachten oder in den Ferien orientiert.
Mit Handys werden Aufenthaltsorte erfasst
Allein 2010 hätten Naturkatastrophen 42 Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht, insgesamt 217 Millionen Menschen direkt betroffen und rund 120 Milliarden Dollar Schäden verursacht, heißt es in der Studie. Der Erfolg von Hilfseinsätzen hänge dabei oft von Daten zur geografischen Verteilung der Flüchtlinge ab. Dazu gebe es aber – anders als bei Kurzfrist-Notfällen wie einer Massenpanik – bislang nur wenige Studien, da die Erfassung repräsentativer Daten in einem Katastrophengebiet schwierig sei.
Die zunehmende Nutzung von Handys auch in ärmeren Ländern biete nun neue Analysemöglichkeiten, schreibt das Team um Holme. Dank ihnen lasse sich über einen großen Zeitraum hinweg der jeweilige Aufenthaltsort etlicher Menschen erfassen. Die Haiti-Studie zeige, dass sich aus den Handy-Daten sehr gute Prognosen für den Ernstfall ableiten ließen, die bei Hilfseinsätzen eine wertvolle Basis bieten könnten.
Quelle: ntv.de, dpa