Wissen

Gefangener Körper, grenzenloser Geist Stephen Hawking wird 70

Stephen Hawking in seinem Element: Hier erklärt er seinen Zuhörern, warum der Mensch das All besiedeln sollte.

Stephen Hawking in seinem Element: Hier erklärt er seinen Zuhörern, warum der Mensch das All besiedeln sollte.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Er war Anfang 20, als die Ärzte ALS bei Hawking feststellten. Drei Jahre gaben sie ihm noch bis zum Tod. Doch diese Prognose war für den Astrophysiker nicht der Anfang vom Ende, sondern Ansporn, noch vieles zu erreichen. Das ist ihm gelungen. Hawking ist weltberühmt und schon zu Lebzeiten ein Mythos. Nicht alle halten das für berechtigt.

… Der Treibhauseffekt wird die Erde erhitzen bis sie brodelt wie die Venus, und es wird Schwefelsäure regnen. Will der Mensch dem entgehen, muss er innerhalb der nächsten 200 Jahre das All besiedeln. Nur so kann er sein Überleben sichern. Mithilfe der Gentechnik wird er sich an die langen Raumreisen anpassen können ... Von einer Kontaktaufnahme zu Außerirdischen ist dabei dringend abzuraten. Dass es Leben fern der Erde gibt, steht außer Frage. Nur welcher Art, ist unklar. Sollte es tatsächlich Wesen anderer Planeten gelingen, auf unserem Globus zu landen, ist davon auszugehen, dass ihre Absichten alles andere als ehrenhaft sind. Sie kämen auf der Suche nach Rohstoffen, die ihre eigene Umgebung nicht mehr hergibt. Für die Erdbewohner hätte das verheerende Folgen. Außerirdische sind nicht freundlich …

Es klingt wie die ersten Ideen für das Drehbuch eines katastrophenlastigen Science-Fiction-Streifens. Aber es sind ernst gemeinte Warnungen an die Menschheit, außerhalb jeder Fiktion. Hätte sie ein unbekannter Kopf ausgerufen, man würde sie wohl belächeln, sie als übertrieben und abgedreht beurteilen und dann sofort vergessen. Doch diese Äußerungen finden weltweit Gehör. Nicht jeder nimmt sie ernst, aber viele halten sie für zumindest bedenkenswert. Denn hinter der apokalyptisch-futuristischen Weltsicht steckt eine wissenschaftliche Autorität, ein renommierter Astrophysiker: Stephen Hawking.

Blitzkarriere zum Newton-Lehrstuhl

Im Dezember 2011 spürten Astronomen die bislang größten schwarzen Löcher im All auf. Die Eigenschaften dieser Masse-Monster beschäftigen auch Stephen Hawking.

Im Dezember 2011 spürten Astronomen die bislang größten schwarzen Löcher im All auf. Die Eigenschaften dieser Masse-Monster beschäftigen auch Stephen Hawking.

(Foto: picture alliance / dpa)

Am 8. Januar 1942 geboren und in Oxford und St Albans aufgewachsen, startete der Brite 1959 eine universitäre Blitzkarriere. Bereits mit 24 Jahren hatte er seine Promotion in Kosmologie abgeschlossen. Kurze Zeit später sagte Hawking voraus, dass Schwarze Löcher unter bestimmten Umständen Energie verlieren. Dieses Konzept gehört zu seinen größten Erfolgen – auch wenn die "Hawking-Strahlung" bisher nicht beobachtet werden konnte.

Nur wenige Jahre nach der Entwicklung der Theorie wurde Hawking der Lucasische Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Cambridge übertragen. 30 Jahre lang hielt er sich auf dem Posten, den einst Isaac Newton inne hatte. Hawkings Arbeit wird hoch geschätzt. Doch nicht sie ist es, die den Wissenschaftler allgemein bekannt werden ließ. Selbst Nobelpreisträger seines Faches – Hawking ist zweifellos ein Anwärter auf diese Auszeichnung – bleiben außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft oft genug unbekannte Größen.

Fernes ganz nah

Hawking hat neben der Forschung noch eine zweite Mission: Er will der Menschheit den Kosmos näher bringen. "Jeder kann und jeder sollte ein ungefähres Bild davon haben, wie das Universum funktioniert und was unser Platz darin ist", sagt er. Damit trifft er offenbar die Bedürfnisse der Massen. In seinen Büchern spricht Hawking an, was alle interessiert. Das sind weniger die Besonderheiten Schwarzer Löcher als vielmehr die Fragen, warum wir auf der Welt sind, wie das uns umgebende Universum entstanden ist, ob ein Schöpfer seine Finger im Spiel hatte oder nicht, und eben auch, ob Außerirdische mehr sind als Hirngespinste und Verkaufsgaranten.

Illustre Gesellschaft: Hawking beim Poker mit Einstein, Newton und Data.

Illustre Gesellschaft: Hawking beim Poker mit Einstein, Newton und Data.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Seit 1988, dem Jahr, in dem sein populärwissenschaftlicher Bestseller "Eine kurze Geschichte der Zeit" erschien, gilt Hawking gemeinhin als Genie. So wie Albert Einstein gern als Popstar der Erkenntnis gefeiert wird, inszeniert sich Hawking als Popstar der Physik. In einer Folge von "Raumschiff Enterprise" tritt er höchstpersönlich als Holodeck-Figur auf, um beim Poker gegen Newton, Einstein und Data zu gewinnen. Auch bei den "Simpsons" – er ist ein großer Fan der Serie – wirkte er mit. Hawking spricht selbst von einem "Medien-Hype", wenn es um seine Erfolge geht. Die Menschen "brauchen eine Einstein-ähnliche Figur, die sie anrufen können", meint er. Mehr als zehn Millionen Mal wurde die "Kurze Geschichte der Zeit" verkauft, in rund 40 Sprachen wurde sie übersetzt. 237 Wochen und damit viereinhalb Jahre lang hielt sie sich auf der Bestsellerliste der Sunday Times.

Sterne vom Himmel holen

Mit solchen Zahlen gelingt Hawking der Griff nach den Sternen. Doch er ahnt, dass daran nicht allein die Inhalte des Werkes, ihre ebenso vereinfachte wie faszinierende Darstellung und eine gelungene Öffentlichkeitsarbeit schuld sind. "Wahrscheinlich", gibt Hawking zu bedenken, "hat meine Behinderung zum Verkaufserfolg des Buches beigetragen. Wenn dem so ist, finde ich das bedauerlich."

Denn während Hawkings Geist keine Grenzen kennt und unermüdlich in die Unendlichkeiten des Universums ausschweift, ist sein Körper an den Rollstuhl gefesselt und zu keiner Bewegung fähig. Seit 1962 leidet Hawking an einer unheilbaren Amyotrophen Lateralsklerose, kurz ALS. Nervenzellen, die die Muskeln steuern, wurden durch die Krankheit zerstört. Wer ALS hat, kann damit – so ist es in den meisten Fällen – maximal fünf Jahre leben. Bei ihrer Diagnose gaben die Ärzte Hawking noch drei Jahre bis zum Tod. Seinen 24. Geburtstag hätte er demnach nicht mehr erreicht. Heute wird Hawking 70.

Pupillen bilden Worte

2007 durfte Hawking seinen Körper bei einem Parabelflug als schwerelos erleben.

2007 durfte Hawking seinen Körper bei einem Parabelflug als schwerelos erleben.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Der Wissenschaftler ist vollständig gelähmt. Er kann nicht schreiben, seit einem lebensnotwendigen Luftröhrenschnitt im Jahr 1985 auch nicht mehr sprechen. Zur Verständigung benutzt er einen Sprachcomputer, den er mit seinen Pupillen steuert. Hawking versucht, der Krankheit so wenig Bedeutung wie möglich beizumessen. Er trägt sie mit Humor. "Ich sitze hier auf Newtons Lehrstuhl. Aber der Stuhl hat sich stark verändert. Er wird jetzt elektrisch betrieben", sagte er einmal. Die ALS-Diagnose war für ihn Ansporn, noch vieles zu erreichen. Schon allein dafür zollen ihm die Menschen Bewunderung.

Doch Hawking hat durchaus auch Kritiker. Auf der menschlich-privaten Ebene ist da zum Beispiel seine Ex-Frau Jane, mit der er drei Kinder hat. Sie beschreibt den mehrfach ausgezeichneten Professor als Haustyrann, den sie gelegentlich daran erinnern musste, dass er nicht Gott sei. "Wir, seine Familie, waren die Niedrigsten der Niedrigen, zusammengekauert am Fuße einer Leiter, an deren Spitze die Engel (Stephens Pflegerinnen) die Gottheit umsorgten, den Herrn des Universums." So schildert Jane Hawking ihre Eindrücke im 1999 erschienenen Rückblick "Music to Move the Stars. A Life with Stephen".

Übertriebene Ehre?

US-Präsident Obama im Gespräch mit dem Astrophysiker. Hawking erhielt 2009 die höchste zivile Auszeichnung der USA, die Presidential Medal of Freedom.

US-Präsident Obama im Gespräch mit dem Astrophysiker. Hawking erhielt 2009 die höchste zivile Auszeichnung der USA, die Presidential Medal of Freedom.

Die aus der Fachwelt kommende Kritik liest sich naturgemäß anders. Als 2001 Hawkings Buch "Das Universum in der Nussschale" erschien, schrieb ihm Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer einen Humor in "Stammtischqualität" zu. Stephen sei die alberne Ausgabe von Albert, kalauerte Fischer. Er wirft Hawking vor, Einstein sowohl in dessen wissenschaftlicher Leistung als auch in seiner Popularität imitieren zu wollen. Doch die Substanz seines Vorbildes, so Fischer, erreiche Hawking nicht. Für Fischer steht fest, dass Hawking übertriebene Ehre zuteil wird.

Mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. Wissenschaftsjournalisten sprechen mit Blick auf die "Nussschale" mitunter von "Erbauungsliteratur" und bemängeln Hawkings Neigung zu Prophezeiungen und Spekulationen.  Diese kommen erst recht im jüngsten Werk des Astrophysikers, "Der große Entwurf" (2010), zum Tragen. Das Bild, das Hawking vom Universum – oder besser von Milliarden an Paralleluniversen – skizziert, beruht kaum noch auf exakter Wissenschaft. Hawking stützt sich auf mathematische Modelle und Gedankenspiele. In der Realität sind diese nicht beweisbar.

Gott ist überflüssig

Auch Kirchenvertreter und Gläubige brachte Hawking mit dem "Großen Entwurf" gegen sich auf. Denn einen Schöpfer hält er, das bringt der Forscher in dem Buch deutlich zum Ausdruck, für überflüssig. "Gott ist der Name, den Menschen dem geben, was sie nicht verstehen", so Hawking. "Aber Wissenschaft erklärt das Universum so, dass wir es alle verstehen können."

Allein geht aufgrund der Krankheit schon lange nichts mehr. Aktuell sucht Hawking einen neuen Assistenten.

Allein geht aufgrund der Krankheit schon lange nichts mehr. Aktuell sucht Hawking einen neuen Assistenten.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Folgerichtig rechnet der Atheist auch nicht mit einem Leben nach dem Tod. "Ich sehe das Gehirn als einen Computer an, der aufhört zu arbeiten, wenn seine Einzelteile nicht mehr funktionieren", sagt Hawking. "Es gibt kein Leben nach dem Tod für kaputte Computer; das ist ein Märchen für Leute, die Angst im Dunkeln haben."

Hawking jedenfalls ist schon jetzt ein Mythos und wird als solcher unsterblich bleiben. Sein von den Ärzten prognostiziertes physisches Ende hat der Astrophysiker nunmehr um fast 50 Jahre überlebt. - Happy Birthday, Mr. Hawking!

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen