Reizwäsche aus dem Mittelalter Vier BHs schreiben Geschichte
19.07.2012, 15:15 Uhr
Heute geht es vor allem bunter zu. Der mittelalterliche BH war aus weißem Leinen.
(Foto: Institut für Archäologien, Universität Innsbruck / B. Nutz)
1889 patentierte eine Französin den ersten modernen Büstenhalter. Vorher – so dachte man bisher – trug frau Leibchen. Doch in einem Tiroler Schloss fand man vier BHs, die schnittigen Modellen von heute erstaunlich ähnlich sind. Mit wenig Stoff taten sie ihre Wirkung. Der Knüller: Sie stammen aus dem 15. Jahrhundert.
Unter Füllmaterial für Gebäudezwickel stellt man sich eigentlich etwas anderes vor. Doch in Schloss Lengberg in Tirol verwendete man dafür eben nicht nur Äste, Hölzer und Stoffe, sondern offenbar auch griffbereite Unterwäsche.
Bei Umbauarbeiten am Schloss trat das ungewöhnliche Material zutage. Beatrix Nutz, Textilforscherin an der Universität Innsbruck, hat die Textilien nun datiert. Das Ergebnis überrascht: "Die Wäsche war irgendwann zwischen 1440 und 1485 im Gebrauch", sagt Nutz in einem Interview mit der "Welt". Und so steht fest: "Das sind die ältesten BHs, die man bisher gefunden hat." Eine Analyse der Fasern mit der Radiokarbonmethode brachte Klarheit.
Damals hieß er "Tuttenseck"
Nun muss die Geschichte des Büstenhalters wohl neu geschrieben werden. Denn bislang ging man davon aus, dass frau bis ins 19. Jahrhundert hinein Leibchen trug oder sich die Brust mit Leinenbinden umwickelte. Wäscheteile, die wir heute als BH bezeichnen würden, wurden in Europa erstmals 1889 patentiert.
Im Mittelalter hatte das stützende Kleidungsstück noch keinen offiziellen Namen. Doch in einem satirischen Gedicht aus dem 15. Jahrhundert, so der Hinweis von Forscherin Nutz, wurde es "Tuttenseck" genannt.
Drei der vier in Schloss Lengberg gefundenen Exemplare stützten einen offenbar recht üppigen Busen. "In etwa Körbchengröße C", sagt Nutz. Sie trägt die Forschungsergebnisse in ihrer Dissertation "Unters Kleid geguckt. Die Textilien aus der Zwickelfüllung von Schloss Lengberg" zusammen.
Enge Höschen für die Männer

So sah es aus: das Höschen für den mittelalterlichen Mann.
(Foto: Institut für Archäologien, Universität Innsbruck / B. Nutz)
Dort findet dann auch das Wäschestück Erwähnung, das zusammen mit den BHs in den Schlosshohlräumen gefunden wurde: ein Höschen nämlich, rechts und links geschnürt. Es bedeckt, wie die Forscherin beschreibt, "gerade einmal das Nötigste". Das klingt sexy, besonders in Kombination mit dem BH. Doch nein, dieses Bild rückt Nutz sofort zurecht. Das tangaähnliche Kleidungsstück war für einen Mann. "Die Unterhose galt im Mittelalter auch als Symbol der männlichen Macht", sagt die Expertin. "Frauen, die Hosen anhatten, waren verpönt."
Was Frauen damals unter ihren Kleidern trugen, dürfte damit klar sein: "Vermutlich nichts", sagt Nutz. "Auf alten Abbildungen sieht man meist nur Kurtisanen und ähnlich verruchte Damen in Unterhosen", weiß die Doktorandin. Der Schlüpfer, so fügt sie hinzu, wurde erst im Laufe des 16. Jahrhunderts schicklich.
Doch die Textilien aus Schloss Lengberg sind eben älter. Und damit in jeder Hinsicht eine Sensation.
Quelle: ntv.de, asc