Unterhaltung

Vip Vip, Hurra! Empört euch!

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Freund und Feind der Medien: der Komiker Oliver Pocher.

Freund und Feind der Medien: der Komiker Oliver Pocher.

(Foto: picture alliance / DeFodi Images)

Der SWR steht in der Kritik, Oliver Pocher versteht die ganze Aufregung nicht und Gil Ofarim ist plötzlich auch wieder Thema. Die Promi-Kolumne in dieser Woche auch über eine Republik, die regelmäßig auf der Empörungswelle reitet.

"Bitte, Verena, das musst du dir unbedingt anschauen! Es ist Wahnsinn, was da geschieht!", schrieb mir neulich jemand. Der Nachricht war ein Link zu einem Social-Media-Account beigefügt und damit, liebe Leser, heiße ich Sie auch in dieser Woche wieder herzlich willkommen zu "Vip Vip, Hurra!" - der Promi-Kolumne. Eine Warnung vorab, sollten Sie diese Kolumne nicht kennen oder mit der Welt der Stars und Sternchen nichts anfangen können, an dieser Stelle der lieb gemeinte Tipp: einfach hier aussteigen und was anderes lesen! Ich erwähne dies nur zu Ihrem Besten, ich möchte wirklich nicht, dass Sie sich aufregen und ihrer Empörung in bösen Nachrichten an mich freien Lauf lassen - wie kürzlich ein Herr, der emotional entgleiste, weil ich ihm "die Zeit und seine Nerven" gestohlen hätte.

Falls Sie also weiterlesen und sich anschließend nach meiner Entlassung sehnen: Ich bin freie Kolumnistin und darf hier, stellen Sie sich das bloß mal vor, tatsächlich jeden Freitag schreiben, was ich denke. Und das, obwohl man in diesem Land "heutzutage ja überhaupt nicht mehr sagen darf, was man denkt"! Doch! Darf man. Man muss aber damit klarkommen, wenn Leute anderer Meinung sind.

Lassen wir es drauf ankommen! Ich sage jetzt, was ich denke. Achtung, Trommelwirbel! Meiner Meinung nach gehört der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) reformiert! Ich halte den ÖRR für wichtig und richtig, aber inzwischen ist daraus dermaßen ein Selbstbedienungsladen geworden, dass es so nicht weitergehen kann. Er hat an einigen Stellen ein massives Problem mit seiner Glaubwürdigkeit und der Erfüllung seines "Auftrages". Huhu, ich bin immer noch nicht abgesägt! Keine Zensur! Also weiter im (Privat)-Programm.

Pocher und "das junge Publikum"

Man kann meiner Meinung zustimmen oder auch nicht. Manche sehen in dieser Meinungsäußerung, um sich künstlich zu echauffieren, vielleicht auch ein "Bashing". Das klingt halt auch knackiger als das schnöde Wörtchen Kritik. Die hat vor allem der SWR in dieser Woche verdient. Lädt sich der Südwestrundfunk doch allen Ernstes einen der polarisierendsten Komiker dieses Landes für sein Sommerfest ein und wundert sich, wenn die Nummer nach hinten losgeht! Denn, huch, wir konnten ja nicht ahnen, dass Oliver Pocher in seiner Comedy nicht nur nach oben, sondern oft auch nach unten austeilt! Der Mann, der sich regelmäßig abfällig über seine Ex-Frauen und Ex-Freundinnen äußert und den Harald Schmidt schon vor vielen Jahren als "kleine, miese Type" bezeichnete, lässt die Gemüter aktuell verständlicherweise hochkochen.

Dabei ist es schier lächerlich vom SWR, sich so ahnungslos zu stellen, als habe man von der Pocher'schen Comedy keine Ahnung gehabt! Ja, man kann sich darüber empören, was da mit "der Zuschauerin in der ersten Reihe" geschehen ist. Mann kann aber auch gleichzeitig den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisieren, der - fett durch Milliarden Gebührengelder - ein Publikum ansprechen will, das vom SWR sonst, Zitat: "unzureichend versorgt" wird.

Obschon der öffentlich-rechtliche Rundfunk aufgrund seines Auftrages keinerlei Druck im Rücken verspürt und nicht, wie das private Fernsehen, alles selbst erwirtschaften muss, versucht er, "das junge Publikum" zu gewinnen. Daran ist erst einmal nichts verkehrt. Nur das "Wie" ist problematisch. Und wir reden hier nicht darüber, dass die Kritik schon lange vor allem aus den eigenen Reihen kommt, etwa von Schauspielern, die seit Jahren Alarm schlagen und nicht begreifen können, wieso regelmäßig Influencer auf dem "Traumschiff" landen. Ja, warum nur? Ganz einfach: weil man es auf ihre Reichweite in den sozialen Medien abgesehen hat.

Mittlerweile führen reichweitenstarke Influencer als Moderatoren sogar durch eigene Sendungen, in denen sie wiederum anderen Influencern herrlich plumpe Schönwetter-Fragen stellen.

"Wenn der Sheriff reiten geht"

Ich habe schon länger das Gefühl, dass unsere Debattenkultur immer mehr in Empörung ausartet. Polarisierende Meinungen verbreiten sich eben schneller als sachliche Argumente. Emotionalität erhält durch die Algorithmen der sozialen Medien um ein Vielfaches mehr Aufmerksamkeit. Vielleicht sollte sich die gesamte Republik vor die Kamera setzen und kollektiv anfangen zu heulen! Yippie, da dreht der Algorithmus durch!

Erinnern Sie sich noch, wie Gil Ofarim, das arme Hascherl, sich - heuli, heuli - medienwirksam als Antisemitismus-Opfer gerierte? Und das Urteil über den bösen, bösen "Herrn W." schon gefallen war, ehe überhaupt ermittelt wurde? Dann kam heraus, dass der Musiker gelogen hatte und all jene, die am lautesten nach Herrn Ws. unverzüglicher Entlassung krakeelt haben, waren plötzlich ganz leise.

In der Causa Ofarim an dieser Stelle ganz sachlich die Meldung, dass der 41-Jährige nicht imstande ist, die gegen ihn vom Gericht verhängte Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro zu zahlen. Vorgesehen ist die Kohle für eine gemeinnützige Organisation. Sechs Monate hatte Ofarim für die Zahlung Zeit gehabt - offenbar zu wenig. Nun hat er einen Antrag auf Verlängerung der Frist gestellt, der ihm in dieser Woche bewilligt wurde.

Kann man sich über die Zahlungsmoral des Künstlers, der den Juden weltweit einen Bärendienst erwiesen hat, auch wieder empören? Natürlich! Die Sache ist nur die: Dadurch wird er auch nicht eher zahlen. Verwunderlich aber ist es schon, dass einer, der so lange im Geschäft ist, der einen "Spiegel"-Bestseller geschrieben und auf mehr als fünf Millionen verkaufte Tonträger stolz sein kann, nicht fristgerecht finanziell für den Bockmist aufkommen kann, den er selbst verzapft hat.

Ich bin von all der Empörung um mich herum müde geworden. Unsere Republik führt an so vielen Stellen regelrechte Stellvertreter-Empörungen. Ich könnte jetzt empört darüber sein, wie empört alle sind. Bietet die kollektive Aufregung doch eine herrlich einfache Möglichkeit, sich moralisch überlegen zu fühlen, ohne wirklich in Materien eintauchen zu müssen. Gähn-Emoji. Diese reflexhafte Empörung ist mittlerweile ein probates Mittel, um sich Gehör, Likes und Aufmerksamkeit zu verschaffen, ohne das Problem an der Wurzel zu packen, frei nach dem Motto von D.A.F: "Wenn der Sheriff reiten geht, reiten alle mit."

Quelle: ntv.de

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