Gefeiert, aber auch kontroversSchriftsteller Martin Walser ist tot

Martin Walser zählt zu den profiliertesten und bekanntesten Autoren der Nachkriegszeit, ist aber auch besonders umstritten. Er erhält fast alle wichtigen literarischen Preise. Bis zu seinem Tod ist Walser enorm produktiv.
Der Schriftsteller Martin Walser ist im Alter von 96 Jahren gestorben, wie der Rohwolt Verlag mitteilte. Walser war einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller in Deutschland. Sein Tod löste breite Betroffenheit aus.
Walser kam 1926 als Sohn eines Kohlehändlers und Bahnhofsrestaurantbetreibers in Wasserburg am Bodensee zur Welt. Das Milieu seiner Kindheit schilderte er in seinem Roman "Ein springender Brunnen". Sein erstes literarisches Werk, der Erzählband "Ein Flugzeug über dem Haus", veröffentlichte er 1955. Kritiker wie Marcel Reich-Ranicki, mit dem er Jahre später einen erbitterten Streit führte, lobten es, die Öffentlichkeit war ebenso positiv begeistert.
Zwei Jahre später veröffentlichte er den Roman "Ehen in Philippsburg", wofür er den Hermann-Hesse-Preis erhielt. In diese Zeit fiel auch die Familiengründung mit seiner Frau Katharina "Käthe" Neuner-Jehle. Gemeinsam mit ihr hatte er vier Töchter. Unehelich hatte Walser außerdem den Sohn Jakob Augstein - der wahre Vater des in der Öffentlichkeit lange als Kind von "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein geltenden Publizisten wurde erst spät öffentlich.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kondolierte Käthe zum Tod ihres Mannes. "Unser Land hat einen großartigen Menschen und einen Schriftsteller von Weltrang verloren", hieß es in einer Mitteilung. "Alle Versuche, Martin Walser in eine politische oder weltanschauliche Ideologie einordnen zu wollen, verkannten, was diesen Schriftsteller im Innersten antrieb: den eigenen Empfindungen so wahrhaftig wie möglich Ausdruck zu verleihen", so Steinmeier weiter.
Monatelange Diskussion über Umgang mit NS-Vergangenheit
Walser veröffentlichte zeit seines Lebens rund 70 Erzählungen und Romane, ein gutes Dutzend Theaterstücke und Hörspiele, zudem noch Essays und verschriftlichte Reden. Sein Werk wurde mit so gut wie allen wichtigen literarischen Preisen ausgezeichnet - bis auf den Nobelpreis. Der Schriftsteller gilt dennoch als einer der bedeutendsten Erzähler der Nachkriegsliteratur. Innere Konflikte, das Scheitern als solches, bilden ein wiederkehrendes Motiv seiner Schriften. Doch nicht nur seine Romane trugen zu seiner Popularität bei. Walser gilt auch als umstritten, durch sein Leben ziehen sich einige Kontroversen.
Die größte löste eine umstrittene Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 in der Frankfurter Paulskirche aus. Walser hatte damals von der "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken" gesprochen. Auschwitz eigne sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung. Für seine Worte erntete der Schriftsteller heftige Kritik - es entbrannte eine monatelange Diskussion über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland. Sie ging als "Schlussstrich-Debatte" in die Geschichte ein. Walser selbst fühlte sich missverstanden.
Produktiv bis ans Ende
Bis zu seinem Tod wollte Walser schreiben. "Das Traumbuch" veröffentlichte er im vergangenen Jahr, zu seinem 95. Geburtstag. Walser skizzierte schon vor rund 20 Jahren in einem Interview mit der "taz", welch große Bedeutung Träume seiner Meinung nach für den Menschen haben: "Träume sind unser Größtes, unser Unausschöpfbares." Dies breitete er auch in seinem letzten Werk aus, so wie Walser gern in seinen Werken sein Inneres nach außen kehrte. So hinterließ er in seinem 2019 veröffentlichten "Spätwerk" auch seine Sicht aufs Alter: "Das Alter ist ein Zwergenstaat, regiert von jungen Riesen."
Walser war auch im hohen Alter enorm produktiv. Er veröffentlichte fast jährlich neue Schriften. Das unzählige Seiten umfassende Werk zeigt sich auch im Umfang der Manuskripte und Texte, die das Deutsche Literaturarchiv in Marbach im Jahr 2022 von Walser erwarb. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge gehören allein 75.000 von Hand geschriebene Seiten zu der Sammlung. Das bedeutet, dass Walser an jedem Tag seines 96-jährigen Lebens mehr als zwei Seiten per Hand schrieb.
Update vom 04.08.2023: Martin Walser ist bereits am 26. Juli gestorben und damit zwei Tage früher als zunächst berichtet. Das teilte eine Sprecherin des Rowohlt-Verlags in Hamburg mit und räumte einen Übermittlungsfehler bei der ursprünglichen Todesmeldung ein.