Unterhaltung

Fan der "schönen Angela Merkel" 95 - und Martin Walser schreibt immer weiter

Martin Walser am 1. März in seinem Haus, neben ihm Sandra Richter, Direktorin des Deutschen Literaturarchivs (DLA). Das DLA hat mithilfe verschiedener Geldgeber Walsers Vorlass gekauft, insgesamt rund 75.000 handschriftliche Seiten.

Martin Walser am 1. März in seinem Haus, neben ihm Sandra Richter, Direktorin des Deutschen Literaturarchivs (DLA). Das DLA hat mithilfe verschiedener Geldgeber Walsers Vorlass gekauft, insgesamt rund 75.000 handschriftliche Seiten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Zwar ist es still um ihn geworden und Gespräche meidet Martin Walser fast völlig - doch das liegt an Corona. Der Stift in seiner Hand ruht nicht; ohne Worte gäbe es ihn nicht, hat der Schriftsteller einmal gesagt. Nun wird Walser 95 - kurz vor seinem Geburtstag erscheint sein neues Buch und er sitzt schon am nächsten.

Still ist es zuletzt geworden um Martin Walser - zumindest bezogen auf das gesprochene Wort. Mit Beginn der Corona-Pandemie habe er sich zurückgezogen, sagte der Schriftsteller der "Rheinischen Post" im vergangenen Jahr. "Ich habe keinerlei Berührung mit der gefährlichen Corona-Welt." Diesem Kurs ist Walser weitgehend treu geblieben. "Er würde ein Gespräch führen, allerdings nur persönlich", sagt eine Sprecherin des Rowohlt Verlags vor seinem 95. Geburtstag am 24. März. "Aber wegen der Covid-19-Situation möchte er derzeit keine Besuche empfangen."

Gratulationen werden ihn aus der Ferne dennoch erreichen. Mit Walser feiert der vielleicht berühmteste lebende deutsche Schriftsteller Geburtstag. Für seine Dutzenden Romane und Geschichten, die er in 67 Jahren literarischen Schaffens geschrieben hat, wurde er mit fast allen bedeutenden Preisen ausgezeichnet (nur der Nobelpreis, für den er immer wieder gehandelt wird, fehlt). Über die Jahrzehnte lösten seine Texte oder öffentlichen Reden Bewunderung, aber auch heftige Kritik aus.

Neues Buch erscheint zwei Tage vor Geburtstag

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Und obwohl ihn, wie er zum Beispiel vergangenes Jahr einem Journalisten des "Spiegel" erzählte, langsam sein Gedächtnis verlasse, bleibt er aktiv in dem, was ihm erklärtermaßen am wichtigsten ist: dem Schreiben. Zwei Tage vor seinem Geburtstag erschien im Rowohlt Verlag mit "Das Traumbuch - Postkarten aus dem Schlaf" das nächste Werk - nur gut ein Jahr nach der Veröffentlichung von "Sprachlaub". Der Verlag bestätigt außerdem, dass Walser bereits an seinem nächsten Buch sitze.

Geboren wurde Martin Walser 1927 als Sohn eines katholischen Gastwirts im bayerischen Wasserburg. Schon als Zwölfjähriger soll er erste Gedichte geschrieben haben, nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er unter anderem Literaturwissenschaft. Seinen ersten Erzählband "Ein Flugzeug über dem Haus" veröffentlichte er 1955, den ersten Roman "Ehen in Philippsburg" 1957 - in den Jahren darauf folgten unzählige Werke.

"Ein titanisches Werk"

Martin Walser, hier 2015, hat ein umfangreiches Werk geschaffen.

Martin Walser, hier 2015, hat ein umfangreiches Werk geschaffen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Inzwischen umfasst Walsers Material zwei Dutzend Romane, zahlreiche Novellen und Geschichtensammlungen, eine Vielzahl von Theaterstücken, Hörspielen und Übersetzungen sowie Aufsätze, Reden und Vorlesungen. "Ein titanisches Werk", sagte Literaturkritiker Denis Scheck im vergangenen Jahr über Walsers Wirken als Autor.

Dazu passt auch der Ort, an dem Walsers gesamtes Material seit Anfang März aufbewahrt wird. Im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar befinden sich die rund 75.000 handschriftlichen Seiten in Gesellschaft von Manuskripten von Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin, Franz Kafka und Hermann Hesse.

Attestierte Angela Merkel Schönheit

Auch wenn sich Walser darüber hinaus schriftlich oder mündlich äußerte, stießen seine Worte oft auf große Resonanz - etwa als er der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrfach Schönheit attestierte: "Bei Frau Merkel werden wir Zeuge, wie Geist und Natur zusammenfinden, und eben deshalb ist sie schön."

Es gebe immer wieder Themen, "da kann ich nicht schlafen, wenn ich mich nicht dazu verhalten habe", sagte Walser einmal. "Ich habe zwar auch Literatur und Philosophie studiert. Und trotzdem war ich dem Aktuellen ausgesetzt und dem Zwang, reagieren zu müssen. Obwohl ich mir doch mit Franz Kafka hätte sagen müssen: Ist doch alles unwichtig. Aber es nützte nichts."

Umstrittene Rede 1998

Eine der größten Kontroversen löste seine umstrittene Rede zur Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1998 in der Frankfurter Paulskirche aus. Walser hatte damals von der "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken" gesprochen. "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung." Für seine Worte erntete der Schriftsteller heftige Kritik - es entbrannte eine monatelange Diskussion über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland.

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Walser selbst war immer wieder mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. Im Sammelband "Unser Auschwitz" (2015) dokumentierte Walser seine lebenslange Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld. Viele Kritiker sahen in dem Buch das Umdenken eines alternden Schriftstellers oder gar den Versuch einer Rehabilitierung. "Ich finde das absurd", sagte er nach Erscheinen des Buchs. "Entschuldigung, Rehabilitation, was heißt denn das? Das heißt, irgendein Verbrecher muss rehabilitiert werden. Da sieht man den leichtfertigen Umgang mit Fremdwörtern."

Mit gesprochenen Worten hält sich Walser in der Öffentlichkeit in diesen Tagen zurück. Die Corona-Pandemie erlebt er bislang vor allem in seinem Haus in Überlingen am Bodensee. "Ich bin immer für mich. Und so erfahre ich alles nur aus den Nachrichten, aber nichts am eigenen Leibe", sagte Walser der "Rheinischen Post" nach dem ersten Jahr Pandemie. "Ich verspüre keinen Grund, Kontakt zu haben." Stift und Notizblock hat Walser ja weiter bei sich.

Quelle: ntv.de, Frederick Mersi, dpa

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