"Ein einziger Flash" Die besondere Reise zweier besonderer Brüder


Johannes und Uli Hauser unterwegs mit ihrem Tandem.
(Foto: privat)
Uli Hauser hat mit seinem Bruder eine Radtour gemacht. So weit, so schön, aber ist das ein großes Ding? Wenn der eine Bruder behindert ist - ja. Dass diese Reise zu den besten Erfahrungen in Hausers Leben gehört, beschreibt er in einem berührenden Buch.
Uli Hauser sieht seit der gemeinsamen Reise mit seinem Bruder vieles in einem anderen Licht: Er erlebt sein ansteckendes Glücksgefühl, die Liebe zu den einfachen Dingen, die Dankbarkeit. "Diese Reise hat mein eigenes Leben auf den Kopf gestellt", ist er sich sicher, dabei fing es ganz simpel an: "Johannes kam eines Abends ins Wohnzimmer unserer Eltern und sagte, dass zwei Männer zu seinem traditionellen Herrenabend sage und schreibe zwei Tüten Erdnussflips mitbringen wollen und er fände das so herrlich." Uli Hauser war so gerührt, dass sein Bruder sich über etwas derart Einfaches freuen kann und sagt deswegen: "Das ist doch ein Spitzenanfang für ein Buch!"
Uli Hauser war lange "Stern"-Reporter, ist Schriftsteller und Bruder von fünf Geschwistern. Einer dieser Geschwister ist sein Bruder Johannes. Johannes ist behindert und lebt in einer entsprechenden Einrichtung. Seit 20 Jahren hat Johannes sein Zuhause bei der Caritas gefunden - für Uli Hauser "das Haus der Liebe, mit vielen schönen, besonderen Menschen", wie er ntv.de im Gespräch erzählt. "Unser Verhältnis war immer eng", sagt Hauser, und dass einer seiner Brüder behindert ist, war nie ein großes Thema in der Familie. "Am Anfang war es hart für meine Mutter, zu der Zeit und in einem kleinen Ort, als sie nicht wusste, was mit ihm los ist", räumt Uli Hauser ein, "und ja, mein Bruder ist ein Mensch, der von Anfang an schwächer war als andere. Aber dann macht man so etwas Einfaches wie ein Fahrrad zu organisieren, und die Freude ist so groß, als wäre solch eine Radtour etwas ganz Außergewöhnliches," sagt er nachdenklich. Um dann festzustellen: "Die Zeit unterwegs mit meinem Johannes war ein einziger Flash."
Liebe ist alles
Mehr aus Zufall lernte der Journalist seinen Bruder also noch einmal neu, ganz anders kennen. Eines Tages, im letzten Sommer, als die bereits alten Eltern gemeinsam zur Kur fahren mussten, kam die Frage auf, was mit Johannes in der Zeit passiert. Für gewöhnlich macht er mit seinen Eltern Urlaub - ihn länger allein im Heim zu lassen, war kein schöner Gedanke. Da kam Uli Hauser ins Spiel: "Ich dachte mir - lass' uns Brüder etwas zusammen unternehmen." Gesagt, getan. Doch was könnte das sein, das beiden Spaß macht? Und vor allem - es musste ja realistisch sein. Uli Hauser fackelte nicht lange und wenn man sich länger mit ihm unterhält, dann ahnt man, dass er grundsätzlich keiner ist, der lange fackelt. Hauser ging los und organisierte ein Tandem.
Uli und Johannes starteten ihre Fahrradtour. Aus diesen besonderen Wochen, den Erlebnissen, aber natürlich auch aus der gemeinsamen Vergangenheit entstand ein Buch, das berührt, das Mut macht. "Gemeinsam anders glücklich - Vom erfüllten Leben meines Bruders mit Behinderung" heißt es und der Titel verrät, dass es tatsächlich möglich ist, ein erfülltes Leben mit einer Behinderung zu führen. Noch besser wäre es, wenn man dann Uli Hauser zum Bruder hätte und seine ganze Familie, die über Jahrzehnte bewiesen hat, dass Liebe alles ist. "Dieses Buch ist passiert, ich habe nichts konzipiert. Es kam gewissermaßen vom Himmel gefallen", sagt Uli, mit 61 Jahren der Älteste von sechs Geschwistern.
Aus einem "Abenteuerbericht" ist dann mehr geworden als eine Geschichte, es ist der lebende (und gut zu lesende) Beweis dafür, dass eine Reise mehr als eine Fortbewegung von A nach B ist und dass Brüder, auch wenn sie schon älter sind und sich ihr ganzes Leben lang kennen, noch immer viel voneinander lernen können. Uli Hauser, als Reporter mit allen Wassern gewaschen, hat völlig neue Erfahrungen an der Seite seines Bruders gemacht. Das liegt hauptsächlich daran, dass er sich getraut hat, seinen jüngeren Bruder Dinge zu fragen, die er sich früher nie getraut hätte. Es sind Fragen an einen Menschen, der zum Kreis derer gehört, die für unsere Gesellschaft oft unsichtbar sind. Johannes antwortete stets ehrlich und ohne Scheu, selbst als sein großer Bruder ihn fragte: "Weißt du eigentlich, dass du eine Behinderung hast?" Johannes' Antwort war verblüffend.
Die Botschaft kommt rüber
Die Geschichte der Brüder berührt. "Johannes hat das Vorwort geschrieben", sagt Hauser, "kurz und knapp und klar." Und: "Ich hab' auch mal geheult an manchen Stellen." Johannes kommt alle zwei Wochen am Wochenende nach Hause; was wird dann, eines Tages, sein, wenn die Eltern nicht mehr sind? Uli versucht, Johannes darauf vorzubereiten - aber wer kann auf so etwas schon vorbereitet sein? "Die Zeit im vergangenen Jahr war ein einziger großer Sommerspaß und hat auch den Rest der Familie - und andere - beglückt", erzählt Hauser. Gemeinsam werden sie alle eine Lösung finden. "It takes a village to raise a child", heißt ein altes Sprichwort. Das Hausersche Dorf hat diesen Spruch ganz sicher verinnerlicht und wird weiterhin füreinander da sein.
Hauser ist es gelungen, nicht nur einen Bericht über die Reise mit seinem behinderten Bruder zu verfassen, es ist darüber hinaus eine ganz besondere Familiengeschichte geworden. Keine wissenschaftliche Abhandlung, wie man dieses und jenes am besten bewerkstelligt, kein Tatsachenbericht zum Stand der Inklusion in Deutschland. Es sind 172 Seiten voller Liebe und Erinnerung. "Meine Geschwister waren anfangs nicht sonderlich begeistert, als ich sagte, dass ich ein Buch schreiben würde und dass sie darin wohl auch vorkommen", erzählt Uli Hauser ntv.de lachend. "Aber sie haben eingewilligt." Die Eltern auch.
Ganz im Moment
Gibt es eigentlich Handy-Fotos von der Tour? "Tatsächlich nicht, denn Johannes wollte das nicht. Er wollte nicht, dass ich mit dem Handy hantiere, weil er den Moment vollkommen pur erleben wollte." Eine neue Erfahrung für den Journalisten, der normalerweise schnell sein Handy zückt, um etwas festzuhalten. "Aber ich hatte ja keine Botschaft in dem Sinne", sagt Hauser, "also habe ich das Fotografieren sein lassen." Es war ja eh nicht geplant, dass er aus einer so persönlichen Geschichte ein Buch machen würde. Ein Mutmacherbuch? "Wenn andere das so empfinden, freue ich mich, denn wir brauchen mehr Mut, mehr Helligkeit. Ich ertrage den Hass nicht mehr." Hauser sieht trotz allem noch immer sehr viel Liebe in der Welt und glaubt: "Das ist der Job, den wir machen sollten. Es gibt zu viele schlechte Nachrichten."
Hauser sieht sich übrigens nicht auf Lesereise, er möchte viel lieber ein "Festival der Liebe" veranstalten, Momente der Begegnung schaffen, einfach "was draus machen", Denkanstöße geben, andere Wohnformen finden. Im Moment sein, wie Johannes, dem es eigentlich immer gut geht: "Er sagt, du bist hier, ich bin hier, wir leben, wir erleben diesen Moment - was willst du mehr?"
Quelle: ntv.de