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Roadtrip mit Umwegen "Koller", die Liebe und ein Koi-Karpfen-Teich

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Kollers Oma hat in Klütz Koi-Karpfen gezüchtet.

(Foto: picture alliance / Jochen Tack)

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Die Liebe trifft sie in einem Park in Leipzig wie ein Blitz. Wenige Stunden später brechen Chris und "Koller", so auch der Titel von Annika Büsings neuem Roman, zu einem Roadtrip auf. Ihr Ziel: ein Koi-Karpfen-Teich an der Ostsee. Mit im Gepäck: Ängste und Verletzlichkeiten.

Ein zweites Buch zu veröffentlichen, ist für Schreibende vermutlich immer auch ein kleines Wagnis. Besonders dann, wenn der Erstling von Leserschaft und Kritik so positiv aufgenommen wurde wie im Fall von Annika Büsing. Für "Nordstadt", eine berührende Annäherung zweier Außenseiter, bekam sie den renommierten Mara-Cassens-Preis für das beste deutschsprachige Debüt. Schon ein Jahr später legt Büsing, die an einem Bochumer Gymnasium als Lehrerin arbeitet, mit einem weiteren Roman nach. Und "Koller" ist fast noch ein bisschen großartiger.

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Koller, der eigentlich Kolja heißt, und Ich-Erzähler Chris begegnen sich in einem Park in Leipzig und verlieben sich sofort heftig ineinander. "Wir stehen in der Abendsonne herum. Ich weiß, dass du etwas sagen wirst, und bete, dass es mich überrascht und nicht langweilt." Ein Pfirsichkaugummi und eine Nacht später fragt Koller: "Wie dringend willst du ans Meer?" Und schon sitzen sie in einem altersschwachen Polo II und fahren Richtung Ostsee. Ihr Ziel ist Klütz, wo Kollers Oma gelebt und Koi-Karpfen gezüchtet hat.

Koller und Chris sind beide um die 30 Jahre alt und extrem unterschiedlich. Koller mit den pinken Fingernägeln und einem abgebrochenen Medizinstudium ist der Typ spontaner Draufgänger. Chris denkt lieber erst nach, bevor er handelt. Ständig bekommt er gesagt, er solle mehr essen, mutiger und empathischer werden. Und er ist sich einfach nicht sicher, ob Koller es ernst mit ihm meint, denn der telefoniert immer wieder mit Ella. Koller aber macht klar: "Ich breche keine Herzen. Regeln vielleicht, aber keine Herzen."

Über Ludwigsburg und das geflutete Ahrtal

Beide Männer tragen Ängste und Verletzlichkeiten aus ihrer Vergangenheit mit sich herum. Bei Chris blitzt immer wieder die gefühlskalte Beziehung zu seiner Mutter auf, die eher auf wissenschaftliche Analyse als auf Emotionen setzt. Koller hat seine Freundin geschwängert, wollte aber kein Kind und irrt etwas planlos durchs Leben. Auch an die Ostsee gelangen die Männer nicht auf direktem Weg. Ein Abstecher führt sie nach Ludwigsburg zu Kollers behinderter Schwester, ein anderer ins Ahrtal, die Geschichte spielt im Juli 2021 zur Zeit des Jahrhunderthochwassers. Koller, Chris und der immer stärker lädierte Polo schaffen es auf abenteuerliche Weise und mithilfe eines geklauten Treckers über den Fluss.

Schließlich landen sie dann doch noch an der Ostsee. "Das Meer riecht genau richtig nach Meer. Nicht zu salzig und nicht zu ölig, nicht nach Fisch und nicht nach Lunge. (…) Ich blicke auf seine Füße und bin überrascht, dass ich sie okay finde. Er sieht mich nicht an. Er raucht und blickt aufs Meer. Wir haben fünf Tage zusammen verbracht. Ich kenne seinen Geruch am Morgen. Wir haben uns nur ein einziges Mal geküsst. Seitdem warte ich darauf, dass es mich davonspült, so wie Krebse und Muscheln vorne im Saum. Aber das passiert nicht."

Diese Zeilen stammen nicht etwa von den letzten Seiten des Buches, es sind die allerersten Sätze. Büsing verteilt ihre Geschichte - in Anlehnung an die Schöpfung - auf sieben Tage, an denen sie Chris aber nicht chronologisch erzählen lässt. Immer wieder springt der Ich-Erzähler in der Zeit zurück und folgt seinem ganz eigenen assoziativen Bewusstseinsstrom, der auf die Leserinnen und Leser eine mitreißende Wirkung hat. Daran hat auch die Sprache ihren Anteil: Büsing findet unverbrauchte Bilder, wechselt gekonnt zwischen einem feinfühlenden und einem rotzigen Ton und mischt daraus einen unwiderstehlichen Gesamtsound.

Am Ende stehen Koller und Chris in Klütz vor dem ausgetrockneten Koi-Karpfen-Teich - und der Name "Koller" wird buchstäblich Programm. Wie die Geschichte der beiden seelisch angegriffenen Männer, die vorsichtig versuchen, eine Beziehung zueinander zu entwickeln, ausgeht, bleibt ein wenig in der Schwebe. "Ich habe selber am Ende drüber nachgedacht, wie ich es weiterdenken würde, und finde je nach Tagesverfassung etwas anderes möglich", verrät Büsing dem NDR. Auch das macht das Buch zu etwas Besonderem. Und falls es jemals einen Preis für den besten Zweitling geben sollte: Annika Büsing wäre mit "Koller" eine ganz heiße Kandidatin.

Quelle: ntv.de

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