Interview mit Hakan Nesser "Intrigo" kommt einem schwedisch vor
26.10.2018, 20:59 Uhr
Für David Moerk (Benno Fürmann) verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit.
(Foto: picture alliance/dpa)
Ein Buch wird ein Drehbuch wird ein Film - in diesem Fall "Intrigo - Tod eines Autors". Der Thriller mit Ben Kingsley, Benno Fürmann und Veronica Ferres in den Hauptrollen führt den Zuschauer in die Irre. Ein Gespräch mit Hakan Nesser dagegen klärt auf.
Seine Frau ist tot - oder doch nicht? Ein Husten im Radio - und David Moerk (Benno Fürmann) ist sich sicher, dass sie - Eva - es gewesen sein muss. Besessen macht er sich auf die Suche nach der Totgeglaubten. Ein Tod, an dem er übrigens nicht ganz unschuldig war. Wie das Leben so spielt befindet sich Moerk gerade beim großen Autor Henderson (Sir Ben Kingsley), um sich von dem zurückgezogen auf einer griechischen Insel Lebenden bei der Arbeit an einem Roman helfen zu lassen. Während seines Aufenthaltes bei dem äußerst merkwürdigen und latent aggressiven Henderson gehen Moerk während ihrer Gespräche immer mehr Lichter auf, er entdeckt unheimliche Parallelen zu seinem eigenen Leben, darunter auch zu dem seiner verschwundenen Frau. Und während sich Wahrheit und Fiktion immer mehr vermischen und der Zuschauer in Rückblenden immer weiter in die Irre geführt wird, wird David von seiner Vergangenheit eingeholt. Und der Zuschauer am Schluss von einer Erkenntnis: Entweder er hat aufgepasst und versteht alles, oder er war Chips holen und tappt weiter im Dunkeln. Ist das jetzt ein typischer Thriller, wie wir ihn von anderen skandinavischen Autoren kennen? Nicht unbedingt - im Gespräch mit Erfolgs-Autor Hakan Nesser kommt uns zwar vieles schwedisch vor, aber es gibt einfach mehr Licht als üblicherweise.
n-tv.de: Zunächst noch einmal herzlichen Glückwunsch zum Film-Preis der Frankfurter Buchmesse. Ist das der erste Preis dieser Art, den Sie erhalten haben?
Hakan Nesser: Danke, ja, ich persönlich habe tatsächlich schon ein paar Preise gewonnen (lacht), aber ich muss da natürlich einhaken: Dieser Preis ist für den Film, für den Regisseur, ich habe nur das Buch geschrieben. Aber ich freue mich trotzdem, darin involviert zu sein.
Dann ist davon auszugehen, dass Sie mit dem Film als Ergebnis Ihres Buches zufrieden sind …

Erfolgs-Autor Hakan Nesser (r.) und Benno Führmann bei der Verleihung des diesjährigen Frankfurter Buchmesse Film Awards.
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Oh ja, ich bin sehr glücklich, der Film ist toll geworden und hat meine Erwartungen ehrlich gesagt übertroffen. Das ist nicht das erste Buch von mir, das verfilmt wurde, aber es ist das erste Mal, dass ich so unglaublich überzeugt bin von dem Film. Und das gilt für die gesamte Intrigo-Reihe. Die beiden anderen Teile sind ja bereits "im Kasten", wie man so schön sagt, und kommen nächstes Jahr in die Kinos. Ich glaube, im Februar und im April.
Wir müssen uns also nicht zu lange gedulden …
Genau, denn es ist sinnvoll, die Filme in einem nicht allzu großen Abstand voneinander zu sehen. Sie haben auf eine gewisse Art und Weise miteinander zu tun. Aber um das gleich vorwegzunehmen: Die Geschichten haben keine direkten Verbindungen.
Das klingt spannend. Werden Dinge, die jetzt vielleicht ein offenes Ende haben, erklärt werden?
Da muss ich kurz nachdenken (lacht), aber nein. Leider nicht.
Okay, das bedeutet, der Zuschauer muss tatsächlich sein eigenes Gehirn benutzen, um sich manches, das wir an dieser Stelle der Spannung wegen mal lieber unerwähnt lassen, zu erklären.
Ja, in einem Buch oder auch einem Film gibt es immer eine gewisse Anzahl von Fragezeichen. Was ist passiert, was wird passieren? Ich finde nicht, dass es die Aufgabe eines Schriftstellers ist, jedes einzelne Fragezeichen aufzulösen. Natürlich möchte man wissen, wie das eine oder andere vonstatten gegangen ist, aber ist es nicht auch schön, ein paar Dinge der Fantasie des Einzelnen zu überlassen? Im Buch, das kann ich Ihnen verraten, ist es sowieso anders als im Film.
Es wäre jedoch spannend zu wissen, wie diese James-Bond-Szene – die mit dem Auto und dem See - wirklich abgelaufen ist.
Stimmt (lacht). Aber ich bin ja nicht verantwortlich für das, was der Regisseur gemacht hat.
Wieviel Einfluss hatten Sie denn auf die Dreharbeiten? Hatten Sie überhaupt Möglichkeiten, sich einzubringen? Wollten Sie das überhaupt?
Nein, ich habe da nicht viel zu sagen gehabt (lacht), das will ich auch gar nicht. Es ist ja nicht mein Business. Es ist macht einen großen Unterschied, ein Buch zu schreiben oder ein Drehbuch. Aber in diesem Fall ist es so, dass der Regisseur Daniel Alfredson auch das Drehbuch geschrieben hat, zusammen mit seiner Frau, und sie haben mich eingeladen, daran ein bisschen teilzuhaben. Wir haben ein paar Punkte gemeinsam erörtert, geschrieben haben sie aber ohne mich. Wie gesagt, das können andere wirklich besser als ich. Insofern war ich aber wirklich zum ersten Mal mehr involviert als üblicherweise.
Wie läuft so etwas ab – jemand ruft an, sagt: "Hey, tolles Buch, ich möchte es gerne verfilmen, darf ich, was willst du dafür haben?"
Ja, im Grunde genommen ist es genau so (lacht). Man hofft natürlich, dass man sein Buch, sein Baby, in gute Hände gibt, aber das ist in diesem Fall ja gewährleistet. Dann wird eine Option auf das Buch gekauft. Und bei neun von zehn Fällen ist es so, dass gar kein Film daraus entsteht. Man muss ja so viel Geld dafür zusammentrommeln … Aber in diesem Fall war ich mir recht sicher, dass etwas daraus wird. Außerdem ist es nicht nur ein schwedischer Film, sondern ein internationaler. Die Produktionsfirma ist durch ganz Europa gereist, um die besten Locations zum Drehen zu finden. Es war kompliziert, aber es hat sich gelohnt. Auch beim Casting hat sich der Daniel unglaublich eingesetzt.
Sie haben gewusst, worauf Sie sich bei Daniel Alfredson einlassen, oder? Er ist der Regisseur der "Millenium"-Reihe, das heißt, er weiß, wie er mit spannenden Themen umgehen muss.
Ja, genau, und der Kameramann hat lange mit Roman Polanski zusammen gearbeitet. Die wussten alle genau, was sie wollen. Das ist diese "Nordic Noir"-Art und Weise, die Dinge zu sehen. Es ist sehr pittoresk.
Die Dialoge sind sehr klar, da ist kein Wort zu viel, alles ist sehr geradeaus. Die Farben und das Licht sind klar, die Inneneinrichtungen eher minimalistisch. Dadurch kann man sich auf die Story an sich konzentrieren – denn die hat es ja in sich.
Exakt! Die Story ist so aufgebaut, dass man ihr folgen muss - man kann nicht zwischendurch mal eben rausgehen und Chips holen. Wenn man eine Nuance verpasst hat, dann hat man unter Umständen den Anschluss an die Geschichte verloren.
Man sollte auf keinen Fall das Kino verlassen zwischendurch, richtig.

Was ist mit Eva passiert? Wer das mitbekommen will, muss "Intrigu" sehr aufmerksam schauen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Es ist wie bei einem Hitchcock-Film: Der Zuschauer muss aufmerksam sein. Ich glaube aber, dass "Tod eines Autors" - der komplizierteste Teil der "Intrigo"-Trilogie ist.
Verliert man als Autor da nicht auch mal den Faden, wenn man eine so komplexe Geschichte aufbaut?
Das ist nicht so dramatisch (lacht). Die Geschichte im Buch ist auch weniger umfangreich als im Film. Wenn man die Story liest erscheint einem vieles einfacher. Im Film geht es schneller, da muss man auf viel mehr achten.
Was lesen Sie denn, wenn Sie keine Thriller schreiben?
Am liebsten Romane. Ich mag Thriller gar nicht so gerne, vor allem, wenn sie zu blutrünstig sind. Ich mag, wenn es sich zwischen den Zeilen abspielt. Ich persönlich lese gerne Geschichten, und ich lese viel, zwei Bücher pro Woche.
Wann und wie schreiben Sie? Nebenbei, wenn Ihnen ein Gedanke kommt, oder setzen Sie sich hin und sagen: So, heute muss ich aber was schaffen.
Ich habe keine feste Routine, muss ich sagen. Ich lebe auf Gotland, einer kleinen Insel in der Ostsee, und wir haben eine Farm mit vielen Tieren. Wir haben Hühner und Pferde und Enten, das heißt, ich muss mich erstmal um die Tiere kümmern. Ich komme erst nachmittags zum Schreiben. Wenn ich aber erstmal eine Geschichte im Kopf habe, dann entwickelt sie sich von ganz alleine weiter und ich muss sie einfach aufschreiben egal, wann oder wo.
Die Hauptdarsteller sind Ben Kingsley und Benno Fürmann …
… ja, und damals, als ich "Intrigo" geschrieben habe, habe ich mir natürlich nicht vorstellen können, dass diese beiden einmal die Hauptrollen in diesem Stück spielen werden. Das ist ja fast 25 Jahre her, unglaublich (lacht).
Sind Sie glücklich mit der Besetzung?
Auf jeden Fall. Benno Fürmann trägt den ganzen Film. Er hat nicht nur eine unglaubliche Präsenz vor der Kamera, er hat auch diese wahnsinnig schöne Stimme, der man aus dem Off gerne zuhört. Er ist so ein komplizierter Mensch in dem Film, er steckt voller Überraschungen. Manchmal mag man ihn, versteht ihn, manchmal ist er – Verzeihung – ein richtiges Arschloch (lacht). Aber so sind Menschen. Und er steht quasi ständig auf der Kippe.
Man kann sich kaum vorstellen, wie weit Menschen bereit sind zu gehen, wenn ihnen etwas Unvorhergesehenes passiert, oder?
Ja, es passiert einfach mit ihm. Die Frage, die man sich dann immer stellt ist doch: Wie weit würde ich gehen?
Und? Wie weit würden Sie gehen?
(lacht) Ich bin normalerweise ein netter Kerl, könnte ich also jemanden umbringen, wenn man mich in die Enge treibt? Ich weiß es nicht. Zum Glück musste ich solch eine Erfahrung noch nicht machen. Aber es ist schon möglich, fürchte ich.
Die Art, wie Benno Fürmanns David mit der Nachricht, die seine Frau ihm eröffnet - sie wird ihn verlassen - umgeht, ist das typisch männlich? Oder ist es menschlich?
Ich fürchte, das ist typisch männlich (lacht). Obwohl – ich weiß nicht. Er reagiert ja auch irgendwie raffiniert, was wiederum sehr weiblich ist.
Frauen vergiften ihre untreuen Ehemänner doch eher, oder?
So sagt man, ja. Wenn eine Frau einen Mann verlässt, dann geht die Eifersucht eher in Gewalt über. Männer handeln primitiver. Sie können mit dem Verlust schlechter umgehen und wollen entweder die Frau umbringen oder den Mann, der ihnen die Frau weggenommen hat (lacht). Frauen reagieren zivilisierter, kühler. Was meinen Sie?
Ich würde da ungern für alle Frauen sprechen, glaube aber tatsächlich, dass Frauen generell zivilisierter sind. Aber auch raffinierter. Wobei "vergiften" nun weder zivilisiert noch raffiniert ist. "Intrigo – Tod eines Autors" ist ein internationaler Film …
Und das finde ich besonders gut, denn es ist ein europäischer Film, kein Hollywood-Movie. Damit will ich nicht sagen, dass ich etwas gegen Hollywood habe, aber ich mag, dass es hier etwas ruhiger zugeht. In einem Film wie diesem hätten wir unglaublich viele schnelle Schnitte und Action-Szenen, wenn er aus Hollywood kommen würde.
Was ist Ihr aktuelles Projekt, Herr Nesser?
Ich promote gerade mein neues Buch in Schweden, es heißt "Der Club der Linkshänder", ein Thriller.
Super, ich bin Linkshänderin.
Dann bekommen Sie beim Kauf eines Buches einen Nachlass von 10 Prozent (lacht).
Quelle: ntv.de