Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Messer her oder Sie werden abgeschoben!

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Was bietet wohl weniger Information: Die Zeitung von gestern oder die Talkshow von Anno Dutt?

Was bietet wohl weniger Information: Die Zeitung von gestern oder die Talkshow von Anno Dutt?

(Foto: imago stock&people)

Während unser Kolumnist auf den nächsten heiter angehauchten Denkanstoß von Frau Kebekus wartet, schaut er wahllos alte Polit-Talkshows und vergleicht Umfragen für die ARD. Nimmt man die Ergebnisse ernst, muss man sagen: Frau Esken hat recht, aus Solingen kann Deutschland tatsächlich nichts lernen.

Ich bin gespannt, was uns Frau Kebekus - jetzt, wo sie das Thema Kinderrechte abgehakt und Deutschland endlich wachgerüttelt hat -, am Sonntag zu bester Sendezeit, freilich neutral, also ganz unparteiisch, wie es sich für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gehört, für einen heiter angehauchten Denkanstoß mit in die neue Woche gibt. Vielleicht etwas zum Thema Morden mit und ohne Messer, das passt prima zum "Tatort", in dem es schließlich immer um das Morden mit und ohne Messer geht, und interessiert die Öffentlichkeit momentan mehr als die Anliegen von - Ihnen und mir - unbekannten Gören. Oje, schrecklich, dieser Zynismus.

Um mir die Zeit zu vertreiben, bis Frau Kebekus erscheint, guck' ich alte Polit-Talkshows. In eine führte die Moderatorin so ein: "Das Leben der Deutschen ist gefährlicher geworden." Sodann verpackte sie, um Spannung zu erzeugen, ihre tollkühnen Thesen in Fragen. "Nach langen Jahren des Friedens auch lebensgefährlich? Ist es das, was Politiker meinen, wenn sie von einer Zeitenwende sprechen? Was kann, was muss der Staat für die Sicherheit seiner Bürger eigentlich tun? Strengere Gesetze gegen Straßengewalt? Abschiebung gegen Kriminalität? Oder müssen wir ganz einfach lernen, mit diesen neuen Gefahren zu leben?"

Sie ahnen schon, was die Gäste sagten. Der Politiker: "Vor Terrorismus weichen wir nicht zurück. Und kriminelle Ausländer werden wir schneller abschieben." Der Gewerkschafter: "Egal, wer regiert. Die Politik hat uns Polizisten in den vergangenen Jahren im Stich gelassen." Die Anwältin: "Von den Neuankömmlingen müssen wir Anpassung und Respekt verlangen. Sonst nehmen sie uns nicht ernst." Ich konnte nicht genug von den vielen Lagebeschreibungen und Ankündigungen kriegen, es war wie eine Sucht, weshalb ich weitere Sendungen mit derselben Moderatorin schaute.

Dresden oder Damaskus

In einer warb eine Politikerin dafür, "den Integrationsturbo anzuwerfen" und Muslimen, Christen und Atheisten "in Dialogen, in Gesprächen klarzumachen: Ich will als Frau von niemandem, egal ob aus Dresden oder Damaskus, angemacht werden." Erst über Benimmregeln reden und dann das Messer wegnehmen? Oder umgekehrt? Jaja, ein fieser Witz über eine ernste Sache. Ich bitte um Pardon, verweise aber darauf, dass Frau Kebekus und Herr Böhmermann auch über ernste Sachen scherzen (dürfen). Zurück zum Polit-Talk: Eine Unternehmerin, die aus dem Iran stammt, fragte: "Wie schaffen wir es? Wann schaffen wir es? Wir haben keinen Plan." Sie bekannte, "besorgte Mutter" zu sein, was gefährlich nach "besorgter Bürger" klang. "Ich habe für meine Kinder Pfefferspray besorgt", sagte sie. "Dafür wurde ich in die rechte Ecke gestellt. Und das finde ich einfach verrückt."

Irre ist vieles in Deutschland. Das ganze Land dreht durch - und ich drehe kräftig mit, auch am Rad. Verrückt ist, dass all die Zitate aus dem Jahre 2016 stammen. Bin ich plemplem, wenn ich das Gefühl habe, dass die Zeit stehengeblieben ist und sich die Argumente, die Beteuerungen, die Mitleidsbekundungen, die Klagen der Polizei und die Versprechen der Politiker kaum geändert haben? Alles bleibt beim Alten. Nur nicht über den Islam reden. DIE Muslime über einen Kamm zu scheren, was niemand mit Verstand tut, ist menschenverachtend. Differenzieren ist wichtig, alles andere hilft DEN Rechten, bei denen keine Differenzierung notwendig ist, die sind - von Merz bis Höcke - alle Nazis. (Ich weiß, worüber ich rede. Klicken Sie in die Schmoll-Ecke hier.)

Alternative für Durchgeknallte

Doch, eine Sache hat sich geändert. Die Deutsch-Iranerin ist 2022 "nach zwölf Jahren" aus ihrer Partei ausgetreten ist. Ihr gingen machtpolitische Spielchen auf die Nerven, wie sie damals verkündete. Obendrein war sie enttäuscht, dass man ihr, einer Frau, die als Kind aus einem Land ohne Meinungsfreiheit zu uns kam, einen Maulkorb vor den Mund hielt. "Von vielen Seiten bekam ich damals recht eindringlich zu hören, ich solle doch die Bundeskanzlerin und die Parteiführung nicht zu sehr kritisieren." Bloß keine Asche auf das Haupt unserer Königin a. D., lang lebe Angela die Unantastbare!

"Wir werden unsere Art zu leben verteidigen", verkündete Fürst Hendrik von Nordrhein-Westfalen, der Königin Angela sehr zugeneigt war (oder ist). Unsere Art zu leben bedeutet, dass jüdische Mitbürger Angst haben, jüdische Stadtfeste und andere Veranstaltungen nach Terrorwarnungen abgesagt werden oder wie Weihnachtsmärkte mit Betonmonstern geschützt werden (müssen). Keine Sorge, ich sehe das Gute an der Einwanderung, aber wir hätten früher offen und ehrlich über die Schattenseiten reden müssen. Dann würden Politiker unserer guten alten Parteien nicht Dinge sagen und fordern, für die sie noch vor zwei oder drei Jahren mit einem Parteiausschluss(verfahren) hätten rechnen müssen, würde die Alternative für Durchgeknallte mit ihrem Programm "Deutschland - aber normal" am Sonntag nicht so triumphieren, wie sie es nun tun wird.

Was machen wir also? Frau Esken meinte: nichts. Weil man aus dem Anschlag von Solingen "nicht allzu viel lernen kann". Das ist irre. Ein Anwärter auf den Thron am Berliner Hofe, von mir Friedrich der Möchte-gern-Große genannt, wünscht eine "nationale Notlage" auszurufen und das individuelle Asylrecht faktisch abzuschaffen. Auch das ist verrückt - und klingt so, dass es von Hans Georg Maaßen kommen könnte. Kommt es nun zum Parteiausschluss für den Parteivorsitzenden? Das wäre saukomisch. Es ist alles so lustig, wäre es nicht zum Heulen. Etwa die Einlassung eines Ampel-Politikers: Friedrich der Möchte-gern-Große sorge mit seinen Vorschlägen "nicht für mehr Sicherheit, sondern für größere Verunsicherung. Das ist im Grunde genau das, was die Terroristen wollen."

Ein seltsames Volk, diese Deutschen

Zur Erinnerung: Verunsicherung ist der zweite Name der Fortschrittskoalition. Auch wegen solcher Einlassungen ahne ich: Das wird eine Schlacht um den Thron, wie wir sie bisher nicht kannten. Friedrich der Möchte-gern-Große fordert, falls es ihm Fürst Markus von Bayern gestattet, unseren König, bekannt als Olaf der Unklare, zum Duell heraus. Nun denn, Recken, lasset die Klingen sprechen - solange es noch erlaubt ist, mit Dolchen und Messern mit längeren Schneiden durch die Gegend zu laufen. Bald heißt es: Messer her oder Sie werden abgeschoben! Nach Afghanistan? Geht nicht, findet die heilige Annalena, obwohl die Taliban nun wahrlich nicht islamophob sind.

Mal schauen, wie das Ganze endet. Und wer gewinnt. Die Deutschen sind ein seltsames Volk, unberechenbar. Ständig ändern sie ihre Meinung. Im Mai - kurz vor der Europa-Wahl - wurde bei den "Tagesthemen", moderiert von Jessy Wellmer, der Deutschlandtrend verkündet. Die "Flucht-, Asyl- und Integrationspolitik" bezeichneten 41 Prozent als das Problem, um das sich die Europäische Union besonders dringend kümmern sollte. In der neuen, sehenswerten ARD-Doku "Machen wir unsere Demokratie kaputt?", für die sich Frau Wellmer verantwortlich zeichnet, wird das Ergebnis einer Umfrage eingeblendet. Und siehe da, das Bild hat sich (scheinbar) binnen weniger Wochen gedreht. Was bedroht unsere Demokratie am meisten? Mit 30 Prozent landeten ganz oben "Rechtsextremismus und Rechtspopulismus".

Wie der Sinneswandel zustande kam? Keine Ahnung. Wurde nicht nach Islamismus und Messerstechern als Bedrohung für die Demokratie gefragt? Keine Ahnung. Wieso ist das Frau Wellmer nicht aufgefallen? Keine Ahnung. Nimmt man jedenfalls beide Ergebnisse ernst, kann das nur heißen: Die EU soll sich zuvorderst um die Asylpolitik kümmern - die Bundesregierung um alles, was rechts ist. Insofern hat Frau Esken dann doch recht: Aus Solingen müssen wir tatsächlich nichts lernen.

Quelle: ntv.de

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