Gefahr einer zweiten Welle Virologen warnen vor Sorglosigkeit
25.07.2020, 18:35 Uhr
Wer jetzt schon in Partylaune ist, riskiert einen Corona-Kater im Herbst.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das RKI meldet deutlich gestiegene Zahlen von Neuinfektionen, Politiker warnen vor einer zweiten Welle oder sehen sie schon im Land angekommen. Virologen sehen dafür noch keine Anzeichen, registrieren allerdings "kritische Signale"..
Dass Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gesagt hat, die zweite Corona-Welle sei schon da und finde bereits jeden Tag statt, schlägt hohe Wellen in Deutschland. Das RKI meldete in den vergangenen Tagen bei den registrierten Neuinfektionen deutlich gestiegene Zahlen, Jens Spahn führt aus Sorge vor importierten Covid-19-Fällen kostenlose Corona-Tests für Reiserückkehrer ein und überlegt, sie nach Landungen aus Risikogebieten sogar zur Pflicht zu machen. Dem Gesundheitsminister bereiten viele kleine Ausbrüche Sorgen, die er vor allem auf Reiseaktivitäten zurückführt. Auch die Virologen Jonas Schmidt-Chanasit und Alexander Kekulé finden die Entwicklung bedenklich, sie sehen die Situation aber differenzierter.
Infektionsketten schwerer nachvollziehbar
"Wir sind noch längst nicht in einem Bereich, wo die Gesundheitsämter die Nachverfolgung nicht mehr hinbekommen würden", sagte Schmidt-Chanasit dem "Spiegel". Aber der Virologe sieht "kritische Signale". Bedenklich findet er vor allem, dass es "nicht den einen zentralen Herd, sondern einen allgemeinen Anstieg in der Fläche" gibt. Die Infektionsketten seien so schwieriger nachvollziehbar und nicht so leicht zu unterbrechen. "Man muss jetzt genau hinschauen und prüfen, woran es liegt: An größeren Versammlungen, die jetzt wieder erlaubt sind? An wiedereröffneten Kitas und Schulen? Oder sind es vor allem Reiserückkehrer?"
Tatsächlich wurden in jüngster Zeit eine ganze Reihe von eingeschleppten Ansteckungen registriert. Unter anderem kam eine vierköpfige Familie infiziert aus dem Mallorca-Urlaub zurück oder in Hamburg wurde eine türkischstämmige Pflegekraft nach einem Familienbesuch positiv getestet. Besonders gefährlich sind derzeit aber Reisen in Balkanländer, wo die Zahl der Neuinfektionen rapide ansteigt. Laut SWR zählte alleine Baden-Württemberg vom 15. bis 22. Juni 59 Fälle bei Rückkehrern aus Serbien. 28 Personen waren im Kosovo, 16 in Bosnien-Herzegowina und 13 in Kroatien.
Partylaune führt zu steigenden Zahlen
Auch Alexander Kekulé sieht einen bedenklichen Trend, nachdem Deutschland jetzt einen leichten Anstieg über vier, fünf Tage gesehen habe. Das Besondere sei, dass mit Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg hauptsächlich zwei Bundesländer für die gestiegenen Zahlen verantwortlich seien, sagte er dem NDR. "Wie das Robert Koch-Institut sagt, haben die Neuinfektionen viel mit privaten Familienfeiern oder Freizeitverhalten zu tun. Das ist natürlich schwerer in den Griff zu bekommen, als wenn es Infektionen an einem Ort wie etwa in einem Krankenhaus gibt."
Bei solchen Ausbrüchen sei es in der Regel so, dass sie in bestimmten Bevölkerungsgruppen besonders häufig seien. "Ich gehe davon aus, dass sich hier ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung aus verschiedenen Gründen nicht so richtig mit den Corona-Regeln abfinden kann - und dass aus diesem Bereich letztlich die neuen Infektionsherde kommen." Als Beispiel nennt er "junge Leute, die einfach nicht verstehen, worum es geht."
Mehrheit muss vernünftig bleiben
Kekulé warnt vor einer zu großen Sorglosigkeit, die die aktuell gute Situation im Land hervorrufe. "Wir kennen aus der Epidemiologie das Phänomen, dass immer dann, wenn etwas gut funktioniert, die Menschen sorglos werden. Wir nennen das Vorsorge-Paradox." Solange dies nur kleine Gruppen der Bevölkerung betreffe, könne dies die vernünftige Mehrheit kompensieren. "Aber in dem Moment, in dem das Ausscheren zu einer Bewegung wird und zusätzlich noch Reiserückkehrer dazukommen, kann ganz schnell ein Punkt überschritten werden, an dem die Situation kippt." Die Behörden könnten dann die neuen Fälle nicht mehr einfangen und identifizieren. "Dann laufen wir wirklich Gefahr, ähnliche Situationen zu erleben wie wir sie im Süden der USA oder in Israel gesehen haben", befürchtet Kekulé.
Davon ist Deutschland allerdings noch weit entfernt. Auch die stark gestiegenen Zahlen an registrierten Neuinfektionen sind an sich kein Grund zur Sorge, da sie zu einem guten Teil an einem erhöhten Testaufkommen liegen. So ist die Rate der positiven Befunde mit 0,6 Prozent konstant geblieben. Trotzdem sei die Entwicklung "sehr beunruhigend" und man werde die Entwicklung sehr genau beobachten, teilte das RKI mit.
Die Ansicht teilt Epidemiologe Timo Ulrichs im Interview mit RTL. Er fürchtet, "dass wir in der Disziplin nachlassen, Abstände einzuhalten und den Mundschutz zu tragen." Dabei sei es gerade jetzt im Sommer wichtig, die Zahlen niedrig zu halten. Denn wenn sich die Menschen mit den niedrigeren Temperaturen im Herbst wieder mehr in Innenräumen aufhielten, steige das Risiko einer Übertragung generell, sagt Ulrichs.
Quelle: ntv.de, kwe