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Bushido-Prozess kurz vor Urteil Was das Verfahren gegen Abou-Chaker so "absurd" macht

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Der Strafprozess gegen Arafat Abou-Chaker begann im August 2020 - nun will die Kammer eine Entscheidung treffen.

Der Strafprozess gegen Arafat Abou-Chaker begann im August 2020 - nun will die Kammer eine Entscheidung treffen.

(Foto: IMAGO/Olaf Wagner)

Seit dreieinhalb Jahren durchleuchtet das Landgericht Berlin den Streit zwischen Bushido und seinem Ex-Manager Arafat Abou-Chaker. Der Aufwand der Justiz in diesem Fall ist enorm - und wirft Fragen auf. Am Ende wird der Angeklagte von der Länge des Prozesses profitieren.

In wenigen Stunden soll der Strafprozess gegen Arafat Abou-Chaker und drei seiner Brüder ein vorläufiges Ende finden. Unabhängig vom Urteil zählt das Verfahren schon jetzt zu den aufsehenerregendsten und aufwändigsten der vergangenen Jahre. Um dem Streit zwischen Rapper Bushido und seinem Ex-Manager auf den Grund zu gehen, hat das Gericht groß aufgefahren: Auf der Zeugenbank nahmen im Laufe der Zeit gleich mehrere Größen der Deutschrap-Szene Platz. Klatschartikel wurden studiert und Folgen der mehrteiligen Bushido-Dokumentation im Gerichtssaal abgespielt. Vor allem aber hat die Justiz ihr wohl knappstes Gut in diesen Fall investiert: Zeit.

Aus der ursprünglich angesetzten Verfahrensdauer von wenigen Monaten wurden 113 Verhandlungstage in dreieinhalb Jahren. Damit reiht sich der Strafprozess gegen Abou-Chaker ein in die Mammutprozesse Deutschlands - allerdings mit einem deutlichen Unterschied. Bindet die Justiz ihre chronisch begrenzten Kapazitäten für eine derart lange Zeit, geht es meist um schwerste Verbrechen oder hochkomplexe Sachverhalte. Im Fall von Bushido und Arafat Abou-Chaker trifft allerdings nichts davon zu. Ernsthaft verletzt wurde niemand. Im Grunde geht es um einen Streit zwischen ehemaligen Freunden und Geschäftspartnern. Im Mittelpunkt steht ein Raum, der möglicherweise für wenige Stunden verschlossen wurde, und eine halb volle Plastikflasche.

Der 47-jährige Arafat Abou-Chaker ist der Hauptangeklagte in diesem Verfahren. Die Anklage wirft ihm unter anderem versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, gefährliche Körperverletzung und Nötigung vor. Mit ihm müssen sich drei seiner Brüder verantworten. Kurz vor der Entscheidung, gewissermaßen dem Showdown in diesem Fall, pocht Oberstaatsanwältin Petra Leister noch einmal auf die Schuld von Abou-Chaker. In ihrem Plädoyer fordert sie vier Jahre, drei Monate und eine Woche Haft. Die Verteidigung hält hingegen nichts anderes als einen Freispruch in den Hauptanklagepunkten für möglich. Die Forderungen machen deutlich: Die Beweislage ist auch nach mehr als 100 Prozesstagen alles andere als eindeutig. Was genau zwischen Bushido und seinem Ex-Geschäftspartner passierte, ist keineswegs klar.

Anklage basiert auf Bushidos Aussage

Es gab Zeiten, da hätte die Beziehung zwischen Arafat Abou-Chaker und Anis Mohamed Ferchichi alias Bushido kaum enger sein können. So zumindest wirkte es nach außen. Ein Foto aus dem Jahr 2010 scheint symbolisch für die jahrelange Symbiose der Geschäftspartner zu stehen: Abou-Chaker umarmt Ferchichi von hinten, beide strecken ihre Mittelfinger in die Kameras, die Message ist klar: Mit uns legt sich keiner an. Abou-Chaker war für Bushido der Rückhalt in einer rauen Szene. Im Gegenzug hat er mit dem Rapper viel Geld verdient - rund neun Millionen Euro sollen es laut Bushido am Ende gewesen sein.

Diese Zeiten sind vorbei: Einst posierten Ferchichi und Abou-Chaker als Duo auf dem roten Teppich.

Diese Zeiten sind vorbei: Einst posierten Ferchichi und Abou-Chaker als Duo auf dem roten Teppich.

(Foto: picture alliance / Eventpress Schulz)

Heute spricht Ferchichi von einer "Zwangsehe", aus der er sich befreien musste. Eskaliert sei es schließlich am 18. Januar 2018 - jener Tag, um den es seit dreieinhalb Jahren vor Gericht geht. Arafat Abou-Chaker und seine Brüder sollen Bushido in sein Büro gesperrt und bedroht haben. "Man muss dich ficken, und wer dich nicht fickt, der muss auch gefickt werden", zitiert der Rapper die Worte anschließend bei den Ermittlern. Er soll mit einer Wasserflasche und einem Stuhl attackiert worden sein. Abou-Chaker habe Geld erpressen wollen, eine Art Ablösebetrag.

Die Anklage stützt sich vor allem auf diese Version des Geschehens, die Berichte von Bushido. Damit ist der Rapper nicht nur Nebenkläger im Prozess, sondern auch der wichtigste Zeuge. Etliche Male sagte der 45-Jährige vor Gericht aus, berichtete umfänglich von seiner Geschäftsbeziehung und Freundschaft zu Arafat, von gemeinsamen Grundstücken, Firmen und schließlich der Drohkulisse, die Abou-Chaker schuf, als er aussteigen wollte. Die Angeklagten hingegen haben zu den Hauptanklagepunkten bis zum Ende des Prozesses geschwiegen. Auch die etlichen Zeugen, Freunde und ehemaligen Freunde aus der Rapszene trugen kaum etwas zur Aufklärung des Falls bei.

Was kann ein Tonband beweisen?

Damit spielt die Glaubwürdigkeit Bushidos für das Gericht eine entscheidende Rolle. Denn für eine Verurteilung von Arafat Abou-Chaker muss das Gericht davon überzeugt sein, dass sich das mutmaßliche Tatgeschehen so zugetragen hat, wie die Anklage es annimmt. Zweifelt die Kammer an dieser Version, muss sie die Angeklagten zwingend freisprechen.

Und tatsächlich, das Gericht hatte Zweifel. Erstmals wurden diese im Sommer 2022 deutlich, der Vorsitzende Richter Martin Mrosk äußerte eine Art Zwischenfazit der Beweisaufnahme. Das Gericht sehe, so sagte er damals, keine Belege für die angeklagte Erpressung und Freiheitsentziehung. Es sei durchaus möglich, dass die Tür nur abgeschlossen wurde, um ungestört zu reden. Zudem habe ein Bruder beruhigend auf Arafat Abou-Chaker eingewirkt, das habe Bushido selbst ausgesagt.

Schließlich wurde ein überraschend aufgetauchtes Tonband in den Prozess eingebracht, das wohl umstrittenste Beweismittel in diesem Verfahren. Es soll eine heimliche Aufnahme des Gesprächs zwischen Bushido und seinem Ex-Geschäftspartner am besagten Tag um Januar 2018 sein, aufgenommen von Abou-Chaker selbst. Zu hören waren Schimpftiraden von Abou-Chaker und ein Streit - allerdings keine Drohungen und Erpressungsversuche. Nachdem Bushido und sein Anwalt die Echtheit der Aufnahme infrage stellten, wurde dies geprüft. Der Sachverständige konnte allerdings weder eine Manipulation noch die Echtheit mit Sicherheit bestätigen.

Justiz betreibt enormen Aufwand

Die Strategie der Verteidiger von Abou-Chaker war seit spätestens diesem Moment klar: Bushido sei nicht zu trauen, seine Version eine Lüge. In ihrem Plädoyer zum Abschluss des Prozesses beschrieben sie den Rapper als "Manipulator" und "Meister der Selbstinszenierung", wie der "Spiegel" aus dem Prozess berichtet. Das würde nicht zuletzt das Tonband beweisen.

Die Staatsanwaltschaft sah hingegen keinen Grund, an ihrem wichtigsten Zeugen zu zweifeln. Sie hielt an ihrer Anklage fest - und die Beweisführung ging weiter. "Ich kenne keinen vergleichbaren Prozess in der Bundesrepublik Deutschland, bei dem ein ähnlicher Aufwand betrieben wurde", fasst es der Strafrechtsprofessor Martin Heger im Gespräch mit ntv.de zusammen.

Stellt sich die Frage nach dem Warum. Ein Zusammenhang mit dem Familiennamen und dem Hintergrund der Angeklagten scheint zumindest nicht ausgeschlossen. So ermittelten die Behörden schon zahlreiche Male gegen Arafat Abou-Chaker, ein Großteil der Verfahren verlief allerdings aus Mangel an Beweisen im Nichts. Zudem werden mehrere Mitglieder der Familie mit Überfällen, Drogen- oder Waffengeschäften in Verbindung gebracht. Immer wieder gibt es Spekulationen, die Behörden erhofften sich mit diesem Prozess einen Schlag gegen Clan-Kriminalität.

"Plötzlich hatte man Zeugen aus der Szene"

Ria Halbritter, Vorsitzende der Vereinigung Berliner StrafverteidigerInnen, hält das für nicht ganz abwegig. "Die Berliner Staatsanwaltschaft fokussiert sich stark auf die strafrechtliche Verfolgung von sogenannten Clans", sagt sie im Gespräch mit ntv.de. Nach der Abkehr Bushidos von Arafat "hatte man dann plötzlich einen Zeugen aus der Szene", so die Strafverteidigerin. Auf diesen Zug sei man gerne aufgesprungen. "Das ist nachvollziehbar, macht es aber nicht richtiger."

So ist es gerade nicht Sinn und Zweck eines Strafverfahrens, ein Exempel im Kampf gegen Clan-Kriminalität zu setzen. Symbolische Strafverfahren gibt es im Rechtsstaat nicht. Im Gegenteil: Es geht einzig um die Schuld des Angeklagten im konkreten Fall. Ob die Behörden beim Angeklagten womöglich andere Straftaten vermuten, darf ebenso wenig eine Rolle spielen wie das Strafregister seiner Verwandten - Sippenhaft gibt es nicht.

Unabhängig davon, wie sinnvoll der massive Aufwand der Anklagebehörde war, hat er vor allem zu einem geführt: einer enormen Überlänge des Prozesses. Für 113 Verhandlungstage benötigte das Gericht rund dreieinhalb Jahre. Zum Vergleich: Im NSU-Prozess brauchte die Kammer für die gleiche Zahl an Prozesstagen nur rund eineinhalb Jahre. "Für mich steht außer Frage, dass dieses Verfahren im Hinblick auf die zugrunde liegende Materie viel zu lange gedauert hat", bilanziert Strafrechtsprofessor Heger. So seien weder der Tatvorwurf noch die Beweisführung in diesem Fall besonders komplex. Tatsächlich gab es weder unauffindbare Zeugen noch etliche überraschende Beweismittel oder solche, die erst hätten entschlüsselt werden müssen.

Prozessführung "aus dem Ruder gelaufen"

Warum wurde der Zeitrahmen in diesem Prozess so massiv gesprengt? Das sei die große Frage, betont Heger. Der Vorwurf des Strafrechtsprofessors richtet sich in erster Linie an das Gericht. Denn seine Aufgabe ist es, die Hauptverhandlung im Vorhinein zu planen, anhand der geplanten Beweisführung eine Art Stundenplan zu erstellen. "Wenn der Richter dann merkt, dass dieser Rahmen nicht eingehalten wird, muss er eingreifen und neu terminieren, um dafür zu sorgen, dass der Prozess zumindest nicht unnötig lange dauert." Genau das sei hier jedoch nicht geschehen. "Das zeigt für mich, dass in diesem Prozess etwas aus dem Ruder gelaufen ist."

Es wirkte fast so, erklärt Heger, als sei einfach immer weiter geforscht worden. "Als hätte keiner richtig realisiert, dass die Planung wieder in die Hand genommen werden muss." Diese Art von Prozessführung könne man, so der Professor, "schon als absurd beschreiben".

Genau das könnte dem Gericht noch auf die Füße fallen. Denn ein Eingreifen des Richters in den Zeitplan des Prozesses wäre nicht nur aus ökonomischen Gründen wichtig gewesen. Es wäre vor allem notwendig gewesen, mahnt Heger, um einen essenziellen Verfahrensgrundsatz zu schützen - das Beschleunigungsgebot. "Das Damoklesschwert einer möglichen Verurteilung darf nicht unnötig lange über dem Angeklagten hängen." Das gilt - selbstverständlich - für Angeklagte mit langem Vorstrafenregister ebenso wie für jene, die sich noch nichts haben zuschulden kommen lassen.

Überlänge muss Abou-Chaker zugutekommen

Das Gericht müsse alles daran setzen, die Belastung durch eine Anklage in der Öffentlichkeit, den Prozess an sich und eine erhebliche Straferwartung möglichst klein zu halten. Denn bis zur rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung. "Hält sich das Gericht nicht daran, kommt das einer moralischen Strafe gleich", erklärt Heger.

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Im Strafprozess gegen Arafat Abou-Chaker und seine Brüder habe das Gericht gerade nicht auf einen zügigen Abschluss hingearbeitet. "Damit liegt aus meiner Sicht ein evidenter Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vor." Tatsächlich verlangt auch die EMRK, dass Strafprozesse im Sinne des Angeklagten zügig vorangehen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nennt als Grenze für eine Instanz im Regelfall zwei Jahre, wobei Ausnahmen möglich sind.

Zum Schluss des Prozesses sagte Arafat Abou-Chaker, er wünsche sich, "dass der ganze Spuk aufhört". Unabhängig davon, ob ihn die Richter in wenigen Stunden verurteilen oder nicht, muss der Angeklagte den "Spuk" nicht einfach hinnehmen. Sollte er freigesprochen werden, könnte er Geldentschädigung für den überlangen Prozess beantragen, erklärt Heger. Kommt es zu einer Verurteilung, müsste die enorme Verfahrensdauer strafmildernd berücksichtigt werden. Andernfalls könnte er sie im Wege der Revision beim Bundesgerichtshof rügen. "Und sollte das nicht klappen, kann er vor den Europäischen Gerichtshof ziehen."

Quelle: ntv.de

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