Politik

Buyx warnt vor Konsumverboten "Niemand hat Bock auf Verlustgeschichten"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Alena Buyx wurde 2016 in den Deutschen Ethikrat berufen. Von 2020 bis April 2024 war sie dessen Vorsitzende.

Alena Buyx wurde 2016 in den Deutschen Ethikrat berufen. Von 2020 bis April 2024 war sie dessen Vorsitzende.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Klimawandel belastet, Klimaschutz auch. Wer muss wie viel leisten? Wie nimmt man die Menschen mit? Nicht mit Verlustgeschichten, ist Alena Buyx überzeugt. "Wir brauchen positive Visionen und Ideen von einem guten Leben", sagt die langjährige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats im "Klima-Labor" von ntv. Auch von Regeln nur für einzelne Bevölkerungsgruppen rät sie dringend ab. "Man darf nicht nur darauf achten, was Privatpersonen mit Konsum und Leben machen", warnt die Ethikerin im Interview. Dennoch hält Buyx Einschränkungen für angebracht, etwa in der Wirtschaft: Im Bau oder der Landwirtschaft gebe es große Potenziale für eine klimafreundliche Produktion.

ntv.de: Welches Klima- oder Umweltgesetz wäre wirklich gerecht?

Alena Buyx: Das kann man leider so nicht beantworten. Eine der Hauptaussagen unserer Stellungnahme "Klimagerechtigkeit" ist gerade, dass man ein Gesamtkonzept braucht, so kompliziert das ist. Denn mit einer einzelnen Maßnahme hat man immer das Problem: Eine Gruppe wird besonders stark belastet, Stichwort: Autofahrer, Häuslebauer und so weiter.

Wenn man die belastet, muss man die Nicht-Autofahrer auch belasten?

Wir haben eine absolute Notwendigkeit zu handeln und dürfen nicht wegdiskutieren, dass die Maßnahmen gegen den Klimawandel bestimmte Bereiche der Gesellschaft unterschiedlich belasten werden. Da braucht es Transparenz. Man darf aber nicht in die Individualisierungsfalle tappen und nur darauf achten, was der oder die Einzelne mit ihrem spezifischen Konsum und Lebensverhalten beiträgt. Bei Themen wie dem Auto wird gerne vergessen, dass Privatpersonen sich die Art und Weise der Mobilität nicht ausdenken. Im Dorf hat das Auto eine andere Notwendigkeit als in einer Stadt mit öffentlichem Nahverkehr. Es wäre ungerecht, diese Dinge Individuen in so unterschiedlichen Welten zu überlassen und zu erwarten, das löst es jetzt.

Trotzdem müssen beim Klimaschutz und der Energiewende einzelne Menschen mitziehen. Wie stellt man das an?

Ohne Individualisierungsfalle, aber wir sprechen gleichzeitig dennoch von einer moralischen Mitwirkungspflicht.

Das klingt nach dem bekannten "moralischen Zeigefinger".

Dafür haben wir im Ethikrat auf den Deckel bekommen, aber in der Tat sagen wir das klar: Viel Verantwortung liegt bei Politik und Akteuren wie Unternehmen, aber eben auch beim Einzelnen. Man sollte alles gleichzeitig in den Blick nehmen und eben nicht alles auf den Einzelnen werfen: Es frustriert ja, wenn man Verantwortung übernehmen möchte, aber aufgrund irgendwelcher Widerstände nicht kann. Weniger Fleisch zu essen, ist auch eine finanzielle Frage. Deswegen wäre es schön, den Druck dort zu erhöhen, wo diese Hürden bestehen: Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen. Branchen wie der Bau oder die Landwirtschaft haben große Potenziale, um klimafreundlicher zu produzieren. Es gibt Unternehmen, die das bereits machen. Wir sollten als Gesellschaft nicht nur über Verbote und Verluste des Einzelnen sprechen, sondern brauchen positive Visionen und Ideen von einem guten Leben. Davon hört man zu wenig.

Müssten wir dafür nicht komplett neue Politiker schnitzen? Denn die reagieren letztlich nur auf das, was die Wähler sagen: Wir wollen nichts für spätere Generationen leisten.

Ich möchte widersprechen. Natürlich kann man aus Zukunftsprojekten, bei denen der Ertrag spät kommt, nicht innerhalb von vier Jahren politisches Kapital schlagen. Der Ausbau und Umbau der Stromnetze wird viele Jahre dauern. Aber es muss ja trotzdem passieren und es gibt erfolgreiche Beispiele, die zeigen, dass es geht: Finnland hatte in den späten 60er-Jahren die schlechteste Herzgesundheit überhaupt in Europa. Die Menschen waren zu dick, haben geraucht, sich nicht bewegt und sind früh an Herzinfarkten und Schlaganfällen gestorben. Jahrzehnte später sind sie absolute Spitze.

Bei einem Herzinfarkt geht es aber auch um die persönliche Gesundheit. Ein Extremwetterereignis trifft den Wohnort vielleicht in 15 oder 20 Jahren, wenn überhaupt.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

Dieses Interview ist eigentlich ein Podcast, den Sie auch anhören können.

Wo? Sie finden das "Klima-Labor" bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify und als RSS-Feed. Klicken Sie einfach die Links an.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.

Früher hätte ich Ihnen recht gegeben. Den Herzinfarkt kennt jeder oder auch jemanden, der einen hatte. Das Risiko bezieht man auf sich selbst. Das war früher beim Klimawandel überhaupt nicht der Fall, der passierte anderswo. Das ist vorbei. Die Menschen nehmen die Hitze im Sommer wahr. Der Klimawandel hat meine Schwiegermutter nie wirklich umgetrieben, aber sie hat einen wunderbaren Garten und sagt seit einigen Jahren: Ich spüre, wie sich die Pflanzen verändern. Das ist nur die Hitze. Der Gesamtverband der Versicherer (GDV) hat vor Kurzem eine Studie veröffentlicht: Gut 1,5 Prozent aller Haushalte befinden sich in Überschwemmungsgebieten. In manchen Bundesländern sind es 2,5 Prozent.

Und trotzdem werden nach wie vor Neubauten in Hochwassergebieten genehmigt; trotzdem möchten viele Menschen im Ahrtal das Haus an derselben Stelle aufbauen, an der es zerstört wurde, obwohl die Versicherungen sagen: Bitte nicht.

Wenn ich das Haus wieder dort baue, wo es durch eine Überflutung kaputt gemacht wurde, ist das natürlich eine schlechte Entscheidung. Aber es macht einen Unterschied, ob man an einer Stelle lang verwurzelt ist oder ob es sich um einen Neubau handelt. Das muss man politisch angehen.

Es ist aber auch eine Frage der Gerechtigkeit: Natürlich ist es in einer Solidargemeinschaft richtig, Menschen nach einer Flutkatastrophe mit Steuermitteln zu unterstützen. Aber müssen wir Verantwortung für schlechte Entscheidungen Einzelner übernehmen, wenn wider besseres Wissen ein Haus in einem Überschwemmungsgebiet gebaut wird?

Diese Frage finde ich schwierig, weil wir jetzt wieder auf einzelne Personen gucken, die da nun mal leben und nicht wegwollen.

Man muss diese Frage nicht aufs Ahrtal beziehen. Kommunen weisen nach wie vor Überschwemmungsgebiete als Neubaugebiete aus.

Genau, das ist das Problem. Das ist eben keine rein individuelle Entscheidung. Deswegen sollte man nicht auf den Einzelfall schauen, bei dem eine Familie ihr Haus verloren hat und es an derselben Stelle aufbauen möchte. Man muss zwei Schritte zurückgehen, gucken, wer das genehmigt hat, ob eine Risikoberechnung einbezogen wurde und ob man dieses Regelwerk nachjustieren kann. Deswegen ist es wirklich wichtig, alles gleichzeitig zu denken. Es wird aber noch komplizierter: Wenn eine Bundesregierung innerhalb von vier Jahren etwas Nachhaltiges schaffen will, muss sie auch die verschiedenen Sektoren bedenken. Welcher Politiker und welche Politikerin hat darauf Lust?

Muss man auch über Verbote sprechen?

Es hängt vom Gesamtkonzept ab. Im Ethikrat sind wir mit Verboten zurückhaltend, denn vor allem bei Konsumverboten weist man wieder einzelnen Menschen zu einseitig Verantwortung zu.

Wie sieht es mit Unternehmen aus? Ist es sinnvoll, in ein Lieferkettengesetz reinzuschreiben, dass Kinderarbeit verboten ist?

Dazu sagen wir nichts, aber es ist tatsächlich ethisch einfacher zu begründen, Unternehmen bestimmte Beschränkungen vorzugeben, als in die Konsumentscheidungen vieler einzelner Menschen einzugreifen. Das gibt es ja auch schon seit Ewigkeiten. Also etwa: Ihr habt bisher auf eine bestimmte Art und Weise produziert. Jetzt sollten ein paar Sachen anders laufen. Es gibt ja schon viele Beispiele von so etwas. Das ist nichts Außergewöhnliches.

Gleichzeitig sagen viele Unternehmen beim Lieferkettengesetz und ähnlichen Regelungen: Damit werden die deutsche und die europäische Wirtschaft erstickt. Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig, verlieren Industrie, Arbeitsplätze und auch unseren Wohlstand. Dann sind die Menschen ebenfalls dagegen und sagen: Solange nicht alle anderen mitmachen, will ich das nicht.

Das ist das Argument des Trittbrettfahrens, zu dem es eine Reihe von Antworten gibt, die wir in der Stellungnahme auch formulieren: Wir haben eine gewisse historische Verantwortung, denn viele schmutzige und CO2-intensive Technologien wie der Verbrennungsmotor wurden in Deutschland entwickelt. Zweitens: Es ist zum Augenrollen, wenn man hört, dass Deutschland nur zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht, aber niemand erwähnt, dass wir sehr viel Produktion ausgelagert haben. Das ist lächerlich. Drittens kann man natürlich warten, bis alle anderen mitmachen, aber ganz ehrlich - das kann man vergessen. Auch bei großen multilateralen Errungenschaften wie der Deklaration der Menschenrechte, der Weltgesundheitsorganisation, der NATO und anderen Bündnisse ist es nie so gewesen, dass man gewartet hat, bis der allerletzte sagt: Das ist eine tolle Idee! Man braucht Leute, die vorangehen und die solche Veränderungen positiv erzählen. Wenn alles als Verlustgeschichte verkauft wird, ist es kein Wunder, dass niemand Bock drauf hat.

Wie die Stadtwerke Trier, die schon 2026 bei 100 Prozent erneuerbaren Energien stehen und wo die Menschen sehr viel zufriedener auf die Energiewende blicken als in anderen Landesteilen?

Solche Geschichten müssen die Menschen hören oder von Beispielen wie Paris, das sich von einem Auto-Moloch wieder zu einer wahnsinnig schönen und lebenswerten Stadt verwandelt hat. Die Stadt erkennt man nicht mehr wieder, wenn man durch die Gegend läuft. Das kann man spüren.

Mit Alena Buyx sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen