"Strompreise werden sinken" Trier steht schon 2026 bei 100 Prozent Erneuerbaren
15.03.2024, 14:51 Uhr Artikel anhören
Trier gehört zu den ältesten Städten Deutschlands. Das Stadttor Porta Nigra wurde ab 170 n. Chr. von den Römern errichtet.
(Foto: IMAGO/Wirestock)
Stadtwerke müssen umsetzen, was die Bundespolitik für Energie- und Wärmewende beschließt. Die Stadtwerke Trier sind nicht mit allen Beschlüssen einverstanden, gehen die Herausforderung aber optimistisch an: "Ich mag es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken", sagt Vorstand Arndt Müller im "Klima-Labor" von ntv. Das Ergebnis? In Trier ist die Energiewende fast geschafft. Aus ihrer Trinkwasserversorgung hat die Stadt etwa ein virtuelles Pumpspeicherkraftwerk gebaut. Biogas von lokalen Landwirten dient als Reserve für Dunkelflauten im Winter. In Blockheizkraftwerken wird daraus nicht nur Strom, sondern auch Wärme erzeugt. Die Bevölkerung profitiert von so viel Kreativität: "Wir werden die Strompreise entgegen dem deutschen Trend weiter senken", sagt Müller. Er ist überzeugt: "Viele Lösungen aus Trier kann man eins zu eins auf andere Städte übertragen."
ntv.de: Was ist derzeit das drängendste Problem der Energiewende?
Arndt Müller: Neben dem schnellen Aufbau einer nachhaltigen Stromerzeugung ist das der Aufbau notwendiger Flexibilitäten, damit der Strom dann zur Verfügung steht, wenn er verbraucht werden soll.
Wie sieht denn die Trierer Stromversorgung künftig aus?
Wir bauen unsere eigene Versorgung seit 2007 auf. Vorrangig mit Wind und Solar, es kommen ein klein bisschen Wasserkraft und Bioenergie über Blockheizkraftwerke dazu. 2023 haben wir die 70-Prozent-Marke überschritten: 70 Prozent dessen, was unsere Kunden verbrauchen, produzieren wir selbst.
Das ist besser als auf Bundesebene, Deutschland steht bei knapp 60 Prozent.
Wir liegen ein ordentliches Stück über dem Durchschnitt, ja. In zwei Jahren möchten wir die 100-Prozent-Marke erreichen.
In zwei Jahren schon?
Die Projekte sind entsprechend vorgearbeitet und müssen nur noch realisiert werden. Anschließend werden wir unsere Kapazitäten auf 125 bis 130 Prozent erhöhen, unsere Investitionsstrategie dann aber ändern, um Flexibilitäten aufzubauen. Die benötigen wir künftig viel zwingender als zusätzliche Kapazitäten.
Warum sind Sie so viel weiter als andere Regionen? Uns war nicht bekannt, dass sich Trier besonders gut für Solarparks oder Windkraftanlagen eignet.
Jede Region hat unterschiedliche Rahmenbedingungen. Trier und umliegende mittelgroße Städte haben einen stark konzentrierten urbanen Raum. Gleichzeitig gibt es im Umfeld viel plattes Land. Das war jahrelang ein wirtschaftlicher Nachteil, durch die Energiewende ist daraus ein Vorteil geworden, denn die Flächen sind perfekt für Photovoltaik und Windkraft geeignet. Das haben wir früh erkannt und begonnen, die Erzeugungskapazitäten gemeinsam mit Kommunen, Kunden und auch Industrieunternehmen, die sich an der Stromerzeugung beteiligen wollen, auszubauen.
Sind Sie dabei auf Widerstand gestoßen?
Es gab kritische Fragen, aber wir haben unsere Kunden immer in die Wertschöpfung eingebunden. In der Energiekrise wurde beispielsweise eine Preisobergrenze von 40 Cent für die Kilowattstunde Strom eingeschoben, weil Energie an der Börse so teuer war. Diese Obergrenze haben wir nicht benötigt, denn wir haben all unseren grünen Strom in unser Portfolio eingearbeitet, unsere Unabhängigkeit vom Markt damit gesteigert und unseren Kunden in der gesamten Zeit Strom für 37 Cent/kWh angeboten. Mittelfristig werden wir die Strompreise entgegen dem deutschen Trend weiter senken. Wenn die Kunden grüne Energie im Geldbeutel spüren, steigt die Akzeptanz schlagartig.
Können Sie diese Entwicklung langfristig beibehalten?
Wenn man nicht zusätzlich baut, sondern vorhandene Möglichkeiten und Infrastruktur nutzt, wird die Energiewende auf jeden Fall ein gutes Stück günstiger. Nehmen Sie die Trinkwasserversorgung: Unsere Trinkwasserhochbehälter, also die Reservoire, wurden jahrelang nachts befüllt und tagsüber von unseren Kunden entleert. Jetzt werden die Behälter befüllt, wenn genügend grüne und selbst produzierte Energie vorhanden ist. Ist das nicht der Fall, werden sie entsprechend geleert und erzeugen über eine Turbine Strom. Die Wasserreservoire waren schon bezahlt. Wir haben sie nur sinnvoll zusammengeschaltet und ein virtuelles Pumpspeicherkraftwerk gebaut.
Das klingt nach einem hoch digitalisierten Konzern, der über Daten verfügt, sie versteht und nutzt.
Ja, vergangenes Jahr sind wir bei einer Bitkom-Untersuchung auf Platz eins der deutschen Energieversorger gelandet. Man muss viele Dinge digitalisieren und Daten aufnehmen, damit man diese Potenziale erkennen, heben und ein zweites Mal nutzen kann.
Trifft das auch auf andere Städte und Gemeinden zu?
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Ich bin überzeugt, dass man viele Lösungen aus Trier eins zu eins auf andere Städte übertragen kann. Wir lernen auch von anderen Städten, die in anderen Bereichen weiter sind. Man muss sich austauschen, ansonsten wird alles zweimal oder dreimal entwickelt und dementsprechend teuer.
Wie viele Kunden haben Sie denn?
In Summe 120.000 Privat- und Geschäftskunden plus Industriekunden.
Hätten Ihre Industriekunden gerne einen gesonderten Industriestrompreis oder sind die glücklich mit dem, was Sie anbieten?
Ein Geschäftsführer eines Industrieunternehmens ist nie glücklich mit seinem Strompreis (lacht). Wir stehen in engem Austausch und arbeiten zusammen an dieser Thematik. Wir bieten unseren Kunden auch Beteiligungen an Photovoltaikanlagen oder Windparks an und haben uns als Stadtwerk neu aufgestellt. Wir sind nicht mehr Verkäufer des Stroms, sondern ein sogenannter Bilanzkreisführer: Ein Unternehmen gibt uns seine Verbrauchskurven. Wir bauen unseren grünen Strom sinnvoll in dieses Profil ein, damit möglichst wenig Strom an der Börse gekauft werden muss, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Diese sogenannten Residualmengen sind sehr teuer. Deswegen wollen wir sie möglichst klein halten und mit neuen Flexibilitäten weiter verkleinern. Das Unternehmen erhält für die ersten zehn Jahre einen festen Strompreis. Weil es rein grüner Strom ist, ist die Entwicklung des CO2-Preises auch kein Problem mehr.
Und wo kommt der Strom in diesen Randzeiten her? Auch der muss CO2-neutral und grün sein.
Kurzzeitige Verschiebungen wie Tag und Nacht oder Sonntage, wenn Industrieunternehmen nicht arbeiten, fangen wir mit Batterien und Pumpspeicherkraftwerken auf. Diese Kapazitäten sind nach wenigen Stunden ausgereizt. Im Winter, wenn Sonne und Wind nachlassen und die Dunkelflaute einsetzt, arbeiten wir mit Landwirten zusammen. Es gibt in der Region viele Biogasanlagen, die aus verschiedenen landwirtschaftlichen Produkten Grüngas produzieren. Dieses Gas wurde bisher direkt in Blockheizkraftwerken in Strom und Wärme umgewandelt. Jetzt haben wir ein eigenes Biogasnetz gebaut, in dem wir Methan vom Grüngas abtrennen und im Erdgasnetz abspeichern. Das kann dann im Winter in den Blockheizkraftwerken verbraucht werden. Diese Kraftwerke werden wie die Trinkwasserversorgung digital zusammengeschaltet und sinnvoll nach Bedarf hoch- und runtergefahren. Und die Landwirte erhalten für das Gas einen 15-Jahresvertrag mit einer festen Vergütung und der Option, ihn um fünf Jahre zu verlängern.
Mit diesem System können Sie Ihren gesamten Bedarf decken?
Aktuell bewegen wir uns bei 70 Prozent, aber wir haben ja noch ein bisschen Zeit.
Sie haben ja auch schon fast alle Ziele der Bundesregierung erfüllt.
Ich mag es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir gehen positiv an die Themen heran und werden das auch weiterhin tun. Insbesondere bei der Wärmewende haben wir aber noch eine größere Aufgabe vor der Brust, denn in Trier stehen viele ältere Gebäude mit Denkmalschutz. Dort können Sie nicht einfach eine Wärmepumpe einsetzen.
Was halten Sie denn vom Heizungsgesetz?
Das Gesetz fand ich weniger schlimm als die Diskussion darum. Das hatte mit dem eigentlichen Thema nichts mehr zu tun. Ansonsten wünsche ich mir Freiheiten, um von fossilen Energieträgern wegzukommen, keine Deutschlandschablone. Jede Region hat andere Rahmenbedingungen. Trier ist nicht Berlin, Bremen oder München. Wie erwähnt, gibt es um uns herum viel grünes Land, das wir nutzen möchten.
Sie haben das Gefühl, dass Sie in ein Korsett gezwängt werden und Ihre Potenziale nicht ausschöpfen können?
Das Korsett hat sich ein Stück weit geöffnet, ich habe Schlimmeres erwartet. Aber die deutsche Kraftwerksstrategie sieht vor, zentral Großkraftwerke zu bauen, die erst mit Erdgas und später mit Wasserstoff laufen. Blockheizkraftwerke werden nicht erwähnt. Bioenergie, die wir in Deutschland haben, auch nicht. Die sollte dezentral genutzt und gefördert werden. Das fehlt mir.
Gerade solche Probleme führen in vielen Regionen zu Unmut. Der große Netzbetreiber Eon hat in einer Umfrage festgestellt, dass 60 bis 70 Prozent der Menschen die Energiewende derzeit negativ wahrnehmen. In einer Studie des Umweltbundesamtes haben 40 Prozent angegeben, dass sie durch die Energie- und Wärmewende ihren ökonomischen Abstieg erwarten. Nehmen Sie diese Stimmung auch wahr?
Nein. Aber wir versuchen auch, unsere Kunden einzubeziehen. Sie können mit uns gemeinsam investieren. Mit Preissenkungen halten wir die Begeisterung aufrecht. Wir gelten auch als innovatives Stadtwerk: Wir erhalten viele Initiativbewerbungen und hatten noch nie so viele Auszubildende wie im letzten Jahr. Die Menschen in Trier fühlen sich nicht abgehängt, im Gegenteil: Ich verspüre eine Aufbruchstimmung. Die Menschen wollen unsere Region energieneutral gestalten.
Mit Arndt Müller sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Quelle: ntv.de