Wird Deutschland unversicherbar? "Es stehen 336.000 Gebäude in Überschwemmungsgebieten"
04.04.2024, 13:20 Uhr Artikel anhören
Auch im Ahrtal werden Häuser derzeit wieder in denselben Risikogebieten aufgebaut, in denen sie 2021 zerstört wurden.
(Foto: picture alliance/dpa)
Naturkatastrophen brechen wegen des Klimawandels immer häufiger über die Welt herein, werden intensiver und somit teurer. Auch in Deutschland: "Jahrhundertfluten treten inzwischen alle zehn Jahre auf", warnt Anja Käfer-Rohrbach. Im "Klima-Labor" von ntv erklärt die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV), dass Schäden durch Sturm, Hagel und Hochwasser nicht nur Betroffene, sondern auch Versicherer zunehmend belasten. "Wenn Ihr Haus weggerissen wird, bauen wir es mit Ihnen neu auf - zu den aktuellen Preisen", sagt sie. Viele Versicherer würden deshalb bereits ohne Gewinn arbeiten. Das noch größere Problem? Viele Häuser werden dort aufgebaut, wo sie zerstört wurden: im Flutgebiet. "Ketzerisch gesprochen", sagt Käfer-Rohrbach, "werden Neubaugebiete im Flussbett genehmigt". Ihre Forderung? Die Risiken wie in Österreich transparent machen und die Häuser so bauen, dass Hagel und Hochwasser Dach und Wärmepumpe nicht länger zerstören.
ntv.de: Ist Deutschland noch versicherbar?
Anja Käfer-Rohrbach: Ja. Wir haben momentan keinerlei Probleme, müssen politisch aber die Weichen stellen, damit es dabei bleibt, denn die Schäden sind in den letzten zwei Jahrzehnten gestiegen. Einmal wegen Jahrhundertfluten wie im Ahrtal, die durch die Medien gehen, aber auch durch kleinere Ereignisse wie das Weihnachtshochwasser in Niedersachsen.
Von welchen Schäden reden wir bei diesen Katastrophen?
Das teuerste versicherte Naturereignis war tatsächlich das Regen-Tief "Bernd". Das hat im Ahrtal und in Nordrhein-Westfalen Schäden von 8,5 Milliarden Euro verursacht. Zusammen mit anderen Ereignissen waren es 2021 insgesamt rund 13,2 Milliarden Euro. Letztes Jahr (4,9 Mrd.) ist kein Ereignis herausgestochen, trotzdem hat etwa Hagel in Bayern massive Kosten verursacht. Generell werden die Windgeschwindigkeiten und Schäden bei Stürmen höher. Die bekommen nicht die große Aufmerksamkeit, aber wir sehen einen stetigen Anstieg an wegfliegenden Dachschindeln, Hagelschäden, Bäumen, die auf Autos fallen, oder Überschwemmungen. Man darf auch nicht vergessen: Zu der höheren Frequenz an Extremwetterereignissen kommen immer teurere Häuser, weil im Keller eine neue Wärmepumpe steht.
Ist das noch ein lohnendes Geschäft? Muss man davon ausgehen, dass Versicherungen in Zukunft sehr viel teurer werden?
In unserer Branche gibt die "Combined Ratio" an, ob sich eine Versicherung lohnt: die Schaden-Kosten-Quote. Aktuell liegt sie bei 100 Prozent, Versicherer machen also keinen Gewinn mehr.
Jetzt schon?
Ja, weil die Schäden steigen, die Inflation spielt auch eine Rolle. Eine Wohngebäudeversicherung etwa versichert den gleitenden Neuwert, sprich: Wenn Ihr Haus weggerissen wird, bauen wir es mit Ihnen neu auf - zu den aktuellen Preisen.
Das neue Haus wird deutlich teurer als das zerstörte?
In der Regel ist das so. Selbst wenn wir die Prämien anschließend erhöhen, hinken wir dieser Entwicklung hinterher.
Wie lange ist dieses Geschäft dann noch interessant?
Wenn es heißt, dass man in Florida oder Kalifornien keine Versicherung mehr abschließen kann, hat das weniger mit der Attraktivität des Geschäftsfelds zu tun als mit den Aufsichtsregeln: In Europa gibt die Solvency-II-Regelung vor, dass Versicherungen Eigenkapital für ein sogenanntes 200-jährliches Ereignis vorhalten müssen, um zu gewährleisten, dass die Versicherungswirtschaft nicht ins Wanken gerät, wenn es eintritt. Sie schauen also, wie groß die Schäden waren und passen an, wie viel Geld notwendig wäre.
Wenn ein solches Ereignis in Florida eintritt, würde die Versicherung bankrottgehen?
Das ist stark vereinfacht, aber ja: Versicherer müssen schauen, ob sie diese Schäden noch darstellen können. In Florida und Kalifornien haben viele Anbieter entschieden, dass sie aus Feuer- oder Sturmversicherungen aussteigen, weil sie so hohe Prämien verlangen müssten, dass es nicht mehr bezahlbar wäre. Das wird auch von der Aufsicht beobachtet. In Deutschland hat etwa die BAFIN mit Blick auf die KFZ-Versicherung gesagt, dass die Versicherer bitte die Prämien erhöhen müssen, damit es nicht zu einer Unterdeckung kommt. Die Frage ist also nicht, ob sich das Geschäft noch lohnt, sondern, ob wir die Eigenkapitalquote aufbringen können.
Das Ergebnis ist am Ende des Tages aber dasselbe: Je mehr Versicherer aus dem Geschäft aussteigen, desto größer wird die Versicherungslücke. Immer mehr Menschen leben also in Häusern, die nicht versichert sind und bleiben im Zweifelsfall auf den Schäden sitzen.
2023 haben Naturkatastrophen und Extremwetterereignisse weltweit Schäden von 250 Mrd. US-Dollar verursacht. Anders als in den Vorjahren gab es laut Rückversicherer Munich Re in Industrieländern wie Deutschland keine Mega-Katastrophen. Stattdessen waren viele regionale Unwetter verantwortlich. In Nordamerika und in Europa waren die Gewitterschäden demnach so hoch wie nie. Allein in Europa betrugen sie umgerechnet 9,1 Mrd. Euro. Das Problem: Während in Europa noch 7,3 Mrd. Euro der Schäden versichert waren, waren es weltweit nur 95 Mrd. US-Dollar: "Die ganze Welt wird unversicherbar" hatte vor knapp einem Jahr bereits Peter Bosshard im "Klima-Labor" von ntv gewarnt. Speziell in Küstenregionen wie Florida oder in Waldbrandgebieten wie Kalifornien sei es unmöglich, eine bezahlbare Versicherung zu finden, weil Versicherungen nicht länger für diese Schäden aufkommen können oder wollen.
Deswegen müssen wir uns Gedanken machen, wie wir diese Lücke vermeiden können. Die unterschiedlichen Jahrhundertfluten treten inzwischen leider alle zehn Jahre auf und immer wieder verfällt die Politik in dieselbe Diskussion: Wir brauchen eine Pflichtversicherung, dann wird es billiger. Das stimmt aber nicht, wenn man sich die Solvenzregeln anschaut, denn wird die Versicherungsdichte erhöht, steigt im Normalfall auch die Schadensdichte. Die Versicherer müssen also mehr Eigenkapital zurückhalten und ihre Prämien erhöhen.
Sie und der GDV sind klar gegen eine Pflichtversicherung?
In der Tat, wir brauchen ein Gesamtkonzept. Der Versicherungsteil ist ein Baustein von mehreren. Wir müssen uns mit dem Thema "Klimafolgen-Anpassung" beschäftigen, denn der Klimawandel ist da und wird zunehmen. Bei dieser Frage passiert leider wenig. In Deutschland ist die Rauigkeit von Handläufen am Treppengeländer geregelt, damit man nicht abrutscht, aber es gibt keine Vorschrift für das Hochwasser angepasste Bauen. Wir bauen wie vor 150 Jahren!
Wir können die Bauwirtschaft schon stöhnen hören …
Wir müssen uns in den Bereichen Prävention, Klimafolgen und Anpassung aber Gedanken machen. Eigentlich schon bei der Stadtplanung, denn wo bauen wir? 336.000 Gebäude stehen in amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebieten. Das sind keine Schwarzbauten, die Häuser wurden genehmigt - direkt neben Flüssen der Kategorien eins und zwei. Das sind die großen. In diesen Zonen entstehen jedes Jahr 1500 bis 2000 Neubauten. Ich verstehe die Not, wir brauchen mehr Wohnraum, aber es bringt nichts, in solchen Zonen zu bauen. Wir reden hier über den Schutz von Leib und Leben und die Menschen wollen ihr Haus auch nicht ständig neu aufbauen. Für die Stadtplanung sind aber Gemeinden und Kommunen zuständig und die Länder, die jetzt nach einer Versicherungspflicht schreien.
Im Ahrtal ist es leider auch vielfach der Fall, dass das Haus an derselben Stelle aufgebaut wird, an der es zerstört wurde. Können Sie als Versicherung dann nicht sagen: Wir bauen gerne woanders, aber hier nicht.
Wenn der Versicherte unbedingt an derselben Stelle bauen will, bauen wir. Wir würden aber schauen, ob man bei regelmäßigen Schäden vorsorgen kann. Wir würden das Haus auch woanders mit aufbauen. Dafür bräuchten wir von den Gemeinden aber Ausweichflächen. Deswegen wollen wir dieses Thema transparent machen und ein bundeseinheitliches Naturgefahrenportal aufbauen, in dem jede und jeder die Adresse eingeben und schauen kann, mit welchen Gefahren man es zu tun hat und wie man sich schützen kann. In Österreich gibt es dafür bereits das Portal HORA. Dort kann man sämtliche Gefahren simulieren und sich 3D-Animationen möglicher Schäden anschauen, die eine zwei Meter hohe Flutwelle anrichten würde. Gibt es diese Transparenz, wird plötzlich gefragt, warum - ketzerisch gesprochen - Neubaugebiete im Flussbett genehmigt werden.
Muss man speziell mit Blick auf Einfamilienhäuser auch die Besitzer schulen, dass man sich vor dem Hausbau mit solchen Fragen beschäftigt?
Der Fehler liegt im System, denn wann versichern Sie Ihr Haus? Wenn es steht. Dann kann ich den Sockel aber nicht mehr erhöhen, weil ständig Wasser ins Haus läuft oder die Heizung im Dachboden statt im Keller einbauen. Es gibt dieses Sprichwort: Wer billig kauft, kauft zweimal. Das gilt auch mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel. Und dass es anders geht, sehen wir: In Donau- und Hochwasser-Städten wie Regensburg befinden sich die Heizungen im Dachboden. In Österreich werden dickere Dachziegel verbaut, die nicht sofort bei jedem Hagel kaputtgehen. Wir dagegen benutzen die etwas dünneren, weil sie günstiger sind.
Mit Anja Käfer-Rohrbach sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.
Quelle: ntv.de