"Das sind rauchende Pistolen!" Ankläger nehmen Trump in Schlussplädoyer genüsslich auseinander


Hörte sich alles von der Anklagebank aus an: Donald Trump.
(Foto: AP)
Mit einem Gerichtsmarathon geht die Verhandlung des Schweigegeldprozesses gegen Donald Trump zu Ende. Dessen Anwalt stürzt sich in seinem Schlussplädoyer auf Kronzeuge Cohen. Doch dann ist die Staatsanwaltschaft an der Reihe - und zerpflückt die Verteidigung.
Am großen Tag des historischen Strafrechtsprozesses ist die Polizei spät dran. Vor dem Gericht stehen die Journalisten bereits am frühen Morgen um den halben Block, damit sie Stunden später ins trutzige Gebäude gelangen können. Die Beamten schicken Dutzende Wartende wieder weg - sie haben keine Chance mehr auf einen Platz im Gerichts- oder im benachbarten Beobachtersaal. Dort werden im Schweigegeldprozess gegen Ex-Präsident Donald Trump die Schlussplädoyers zu sehen und zu hören sein. Schuldig? Unschuldig? Müsste der Prozess gar neu aufgerollt werden? Anklage und Verteidigung werden den zwölf Geschworenen für ihre Entscheidung ihre Beweise und Argumente noch einmal präsentieren. Richter Juan Merchan setzt später das mögliche Strafmaß fest.
Über zweieinhalb Stunden lang wird Trumps Anwalt Todd Blanche an diesem Schlussverhandlungstag daran festhalten, dass Trump in allen 34 Fällen der Anklage unschuldig ist, sich dabei zuweilen in Details verrennen und vor allem die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Michael Cohen infrage stellen. Für die Verteidigung fällt damit auch die Anklage in sich zusammen. Trump sei vielmehr ein Opfer von Cohen und des Finanzchefs der Trump Organization, Allen Weisselberg. Staatsanwalt Joshua Steinglass wird auf ihn folgen - und Trumps Verteidigung in rund fünf (!) Stunden genüsslich auseinandernehmen. Für ihn war Trump nicht Marionette, sondern Strippenzieher.

Zur Unterstützung in Manhattan: Trumps Söhne Donald Jr. (links) und Eric
(Foto: IMAGO/USA TODAY Network)
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Trump, dessen persönlicher Anwalt Cohen und Boulevardpresse-Verleger David Pecker hätten sich im Jahr 2016 verschworen, die Rechte an potenziell schädigenden Geschichten für Trump aus Wahlkampfgründen gekauft und dem Markt entzogen - und damit auch den Wählern. Die hätten aber ein Recht auf Informationen über die Kandidaten gehabt, argumentiert die Anklage. Laut Belegen zahlte Cohen weniger als zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton der Pornodarstellerin Stormy Daniels 130.000 US-Dollar. Trump habe sie danach in zwölf Raten je 35.000 US-Dollar - als Bezahlung für Anwaltstätigkeiten Cohens getarnt - mit anderen Posten zusammen zurückgezahlt.
"Sie können ihm nicht glauben"
Während des Wartens vor dem Gericht und drinnen im 15. Stock ist die Stimmung merklich anders als an vorhergegangenen Verhandlungstagen. Die langen Wochen der Geschworenenauswahl, der Eröffnungsreden von Anklage und Verteidigung sowie der Zeugenbefragungen sind vorbei. Nur noch wenige Schritte fehlen bis zu einem Urteil im ersten Strafprozess gegen einen ehemaligen US-Präsidenten. Viele bekannte Gesichter aus US-Fernsehsendern sind zu sehen, unter anderem von CNN, NBC, Fox News. Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben sich eine Woche lang auf ihre Plädoyers vorbereitet.
"Sie sollten mehr wollen und erwarten als die Aussage von Michael Cohen", sät Trumps Anwalt Todd Blanche vor seinen Ausführungen erste Zweifel am Kronzeugen. Wieder und wieder wirft er Cohen danach Lügen vor, stellt den Juristen, der sich 2018 gegen sein jahrzehntelanges Vorbild Trump wandte und seither mit der Staatsanwaltschaft kooperiert, als unzuverlässigen Zeugen dar, der nur aus Profit- und Rachsucht handle: "Sie können Präsident Trump nicht für schuldig befinden, ohne Cohen zu glauben, und Sie können ihm nicht glauben."
Beweise für klare Lügen bleiben aus. Stattdessen greift Blanche schon wie beim Kreuzverhör gegen Cohen nach vielen Details, kann aber nur teilweise überzeugend darlegen, wie diese Trumps Unschuld belegen sollen. Mithilfe von E-Mails, ein paar Zeugenaussagen und immer wieder der Behauptung, von Cohen angegebene Gespräche oder Treffen mit Trump hätten nie stattgefunden, geht er vor; und ohnehin, der Ex-Präsident habe nicht gewusst, was vor sich ging, weil sein Anwalt auf eigene Faust gehandelt habe.
Minutiöses Schlachtfeldmanöver
Die Anklage hat ihre 34 Punkte an 34 Dokumenten festgemacht, die sie als falsch erachtet und teilweise von Trump unterzeichnet sind: Rechnungen, Schecks und Bucheinträge. Blanche dementiert die Beteiligung des Ex-Präsidenten trotzdem, Cohen habe schließlich die Rechnungen an Finanzchef Weisselberg adressiert, nicht an Trump selbst. "Cohen hat Sie angelogen", säuselt er der Jury entgegen. Trump, Cohen, Lügen, kein anderes Wort spricht Blanche häufiger aus; manchmal leise, dann wieder laut und bezichtigend; als sei nicht Trump, sondern Cohen angeklagt. Der aber wurde 2018 schon verurteilt für das, was die Staatsanwaltschaft nun dem Ex-Präsidenten vorwirft: illegale Wahlkampffinanzierung.
Cohen war Trumps "persönlicher Anwalt", der Titel brachte ihm 2017 Beraterverträge im Umfang von vier Millionen US-Dollar ein. Etwa zehn Tage habe er zugleich für Trumps Familie in dessen erstem Präsidentschaftsjahr gearbeitet und dafür nichts in Rechnung gestellt. Die Verteidigung stellt es anders dar, sagt, eben dafür seien die insgesamt 420.000 US-Dollar gewesen, die im Jahresverlauf an Cohen flossen. Was ergebe mehr Sinn, stichelt Blanche: Dass er dafür bezahlt werde, oder er "umsonst" arbeite und die Schweigegeldzahlung an Daniels erstattet bekomme? "Die einfachste Antwort ist meistens die richtige!"
Blanche führt ein minutiöses Schlachtfeldmanöver. Ob die Geschworenen folgen können? Ein wenig wirkt es, als imitiere er Trumps Redestil: immer auf dem Sprung, ständig um Zweifel trippelnd, bis der Zuhörer sich womöglich in einer Verwirrung verliert, aber trotzdem etwas bei ihm hängenbleibt. In diesem Fall: eine von Cohens angeblichen Lügen, oder "MEIN-EID", wie er einmal tönt. "Das sind berechtigte Zweifel, meine Damen und Herren", argumentiert er. Trump sei ständig unterwegs gewesen, permanent unterbrochen worden, "er war der Präsident der Vereinigten Staaten!".
Zum Ende zeigt Blanche eine Liste von "manipulierten Beweisen" der Anklage, etwa Aufnahmen von Anrufen, die nie stattgefunden hätten. "Michael Cohen verkörpert berechtigte Zweifel", schließt er: "Er ist der GLOAT, der größte Lügner aller Zeiten!" Nur Cohen habe über Stormy Daniels Bescheid gewusst. Trump habe ohnehin nicht geglaubt, dass ihm die Frauengeschichten schaden könnten.
Große Linien statt Kleinklein
Die Verteidigung macht Trump klein, die Anklage ihn danach riesengroß. Staatsanwalt Steinglass zeichnet ein umfassendes Bild des damaligen Präsidentschaftskandidaten und seines Machthungers. Immer wieder greift er nach dem großen erzählerischen Bogen, geht aber chronologisch vor; vom ersten verschwörerischen Treffen von "drei reichen Männern hoch oben im Trump Tower, die noch mächtiger werden wollen"; also Trump, Cohen und Pecker. "Dieser Plan, den diese Männer zu diesem Zeitpunkt ausgeheckt haben, könnte dazu geführt haben, dass Präsident Trump gewählt wurde."
Der Staatsanwalt nimmt jedes vorherige Argument von Blanche auseinander. Trump hatte keinen Sex mit Daniels? "Sie können darauf wetten, dass Donald Trump nicht 130.000 Dollar an jemanden zahlen würde, nur weil der ein Foto mit ihm auf einem Golfplatz hat." Cohen lüge auch im aktuellen Prozess? Die Aussage des früheren Anwalts sei seit 2018 konstant - seit er sich von Trump abwandte. Trump habe seinen persönlichen Anwalt hauptsächlich beschäftigt, weil er loyal war: "Trump beschäftigte Cohen genau wegen der Eigenschaften, die sie ihm jetzt vorwerfen. Er war gewillt, für ihn zu lügen und zu betrügen."
Doch Steinglass wird noch deutlicher: Die vorgelegten Dokumente und anderen Zeugenaussagen reichten völlig aus, um Trumps Schuld zu belegen, Cohen mache es nur noch klarer, weil er Dinge wisse, die andere nicht wüssten. Schließlich sei er der Kontaktmann gewesen. Dies sei ein übliches Argument der Anklage, tickert kurz darauf die "New York Times": "Wenn Sie wissen wollen, was in der Gosse vor sich geht, müssen Sie mit den Ratten reden."
Der Staatsanwalt legt mit viel Dynamik, gelegentlichen Witzen seine Argumente dar. Das Plädoyer macht ihm eindeutig Spaß. Trump, sein Umfeld und die Republikaner hätten nach der Veröffentlichung der "Access Hollywood"-Aufnahme mit seinem berüchtigten Satz "grab 'em by the pussy" keine weiteren Frauengeschichten in den Medien sehen wollen, erklärt er. Also sollte auch Stormy Daniels unter allen Umständen ruhig gestellt werden. "Wenn fünf Prozent der Menschen es für wahr halten, vielleicht zehn Prozent, gewinnen wir nicht", sagt Trump in einem Videoclip, den der Staatsanwalt vorspielt. Daniels erhielt ihr Schweigegeld von Cohen zwölf Tage vor dem Wahltag.
Die Anklage bezeichnet Peckers Verlag als "verdeckten Arm des Trump-Wahlkampfes", was sie mit den Zeugenaussagen unterstreicht. Pecker wusste demnach: Er tat etwas Illegales, berichtete es aber nicht an die Wahlbehörde. Der einflussreiche Verleger wollte Trump helfen. "Er war gewillt, seinen Profit für seinen Wahlkampf zu opfern. Das ist die Antithese einer normal funktionierenden Presse", unterstreicht Steinglass. "Das ist eine illegale Wahlkampfhilfe eines Unternehmens."
"Ziel war Verschleierung"
Steinglass' Plädoyer ist eindrücklich; weil er es mit einer Selbstverständlichkeit vorträgt, mit Videoschnipseln von Trump oder Zitaten aus dessen Büchern unterfüttert. "Sie können den Fall nicht verstehen, wenn Sie das damalige Klima nicht verstehen." Die "Access Hollywood"-Aufnahme habe alle aufgeschreckt, und Trump verteidigte sich öffentlich, dies seien ja nur Worte gewesen, er habe nichts getan. Aber im Hintergrund hätten sie mit einem Pornostar verhandelt, der eine Veröffentlichung vorbereitete: "Stormy Daniels war die wandelnde Erinnerung, dass es nicht nur Worte waren", erläutert der Staatsanwalt.
Daniels bekommt 2016 ihr Geld, Trump gewinnt Anfang November die Präsidentschaftswahl. Im Gerichtssaal kommt Steinglass auf die Rückzahlungen zu sprechen. Der Staatsanwalt wird nun etwas unruhiger, er gelangt zum Kern der Anklage: "Dokument 35 und 36 sind die rauchenden Pistolen!", begeistert er sich richtiggehend. "Sie machen das Argument der Verteidigung völlig zunichte!" Es sind Cohens Überweisungsbeleg an Stormy Daniels und ein weiteres Dokument, auf denen Weisselberg und Cohen die Kalkulation vermerken, nach der er seine Auslagen plus einen Bonus und Steuern erstattet bekommen soll. Was dann eben mit Schecks samt Trumps Unterschrift geschieht.
Wenn Trumps Team zugäbe, dass die Zahlungen eine Erstattung waren, müsste es auch zugeben, dass es ein Verbrechen war, schlussfolgert Steinglass. Der damalige Präsident selbst habe es schließlich gesagt - auf Fox News und in seinen sozialen Netzwerken. Ein weiterer Zeuge aus Trumps Unternehmen sagte es im Prozess aus. Der Staatsanwalt witzelt: "Der Scheck vom 1. Dezember 2017 wurde um 09.11 Uhr ausgestellt. Welche Anwaltstätigkeit machen Sie in elf Minuten für 35.000 US-Dollar?"
Mit allerlei weiteren Belegen macht die Anklage glaubhaft, dass Trump kein überforderter Präsident, sondern ein penibler Manager war, der alles im Blick haben wollte, was in seinem Einflussbereich vor sich ging. "Die Verteidigung will Sie glauben machen, Cohen und Weisselberg hätten allein gehandelt. Wenn Sie sich die Beweise in ihrer Gesamtheit ansehen, werden Sie erkennen, dass wir die Schuld ohne berechtigten Zweifel belegt haben."
Wahrscheinlich hätte Steinglass noch weiterreden können, aber nach einem Verhandlungstag von nahezu elf Stunden ist glasklar: Die Staatsanwaltschaft argumentiert wesentlich überzeugender als Trumps Anwälte. "Das Ziel des Spiels war Verschleierung", sagt Steinglass zum Ende nochmals eindringlich, und zwar von illegaler Wahlkampffinanzierung. "Alle Wege führten zu dem Mann, der am meisten davon profitierte: Donald Trump." Die Geschworenen werden nun beraten, ob sie das genauso sehen - und ob sie den Ex-Präsidenten im historischen Strafprozess einstimmig für schuldig befinden.
Quelle: ntv.de