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"500.000 Soldaten ab 30 Tagen" Die NATO zeigt Moskau ihre Muskeln

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US-Präsident Joe Biden beim Gipfelfoto mit den anderen Staatschefs.

US-Präsident Joe Biden beim Gipfelfoto mit den anderen Staatschefs.

(Foto: AP)

Nur keine Schwäche zeigen, insbesondere nicht gegenüber Russlands Präsident Putin, danach klingt bislang alles beim NATO-Gipfel. Im Abschlussdokument wird der Ukraine der Beitritt zum Verteidigungsbündnis versprochen. China wird zum Kriegshelfer erklärt. Der Elefant im Kongresszentrum ist jedoch Donald Trump.

Draußen knallt die Sonne auf die gepanzerten Fahrzeuge der Nationalgarde, die den NATO-Gipfel mitten in der US-Hauptstadt sichert. Im Veranstaltungszentrum zeigt das transatlantische Verteidigungsbündnis seine Muskeln in Richtung Moskau. Die Staats- und Regierungschefs um US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz sind noch nicht angekommen, da geht es bei den Veranstaltungen schon ums Eingemachte. In den ersten Stunden lösen sich US-Außenminister Anthony Blinken, Verteidigungsminister Lloyd Austin, der scheidende NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und nicht zuletzt der Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa, General Christopher Cavoli, mit ihrer Sicht auf die Sicherheitslage in Europa ab.

Der Krieg in der Ukraine ist beim Gipfel allgegenwärtig. Wegen der russischen militärischen Aggressionen hat sich das Selbstverständnis und die Arbeitsweise der NATO grundlegend verändert. General Cavoli gibt einen praktischen Einblick, wie sehr. Für einen Verteidigungsfall, also einen Angriff auf einen der Mitgliedsstaaten, gebe es inzwischen detaillierte Einsatzpläne für verschiedene Regionen, so Cavoli. Diese würden koordiniert mit den verschiedenen Armeen der Mitglieder. Es gebe auch ausreichende Munition. Lediglich bei den Nachschublinien müsse noch justiert werden. Dies sei ein "riesiger Umschwung" von den kleinen Kampftruppen von zuvor.

Früher habe die NATO die Mitglieder gefragt, welche Streitkräfte sie im Ernstfall zur Verfügung stellen würden. Inzwischen frage das Bündnis, was sie nicht entsenden könnten. Mehrere Staaten hätten ihr gesamtes Militär bereitgestellt. Die NATO könne so innerhalb von "30 bis 100 Tagen" reagieren und bei einem Verteidigungsfall in Europa 500.000 Soldaten mobilisieren. Dazu kämen die weiteren Teilstreitkräfte. "Ich bin mir sicher, dass jeder Zoll des Bündnisses verteidigt werden kann", sagt Cavoli. Er habe die nötige Befehlsgewalt und angesichts solcher Vorkommnisse wie in Butscha, als die russischen Streitkräfte kurz nach Beginn der Großinvasion in einem ukrainischen Dorf wüteten, auch die moralische Verpflichtung dazu.

Ukraines Beitritt "unumkehrbar"

US-Außenminister Anthony Blinken hatte davor nochmals die neuen Luftabwehrsysteme für die Ukraine bestätigt und erntete Applaus für die Ankündigung, dass der Transfer der F-16 aus Dänemark und den Niederlanden "im Gange" sei und die Kampfflugzeuge "noch in diesem Sommer durch den Himmel der Ukraine fliegen werden". Kiew müsse gewinnen, sagt er, und gewinnen bedeute eine starke, unabhängige Ukraine.

Es finde eine globale Neuausrichtung statt, so der Minister: China führe Manöver mit Belarus durch, nordkoreanische Ausbilder seien in Russland aktiv, dazu die Beteiligung des Iran. Es gebe neue Realitäten, neue Aggressionen. "Wenn China weiterhin die russische Rüstungsindustrie anheize, ist das inakzeptabel für Europa", versichert er. "70 Prozent der Werkzeugmaschinen und 90 Prozent der Mikroelektronik Russlands kommt aus China." Blinken zufolge muss das Konsequenzen wie Sanktionen haben.

In einer bedächtigen Rede zeigt Pentagon-Chef Lloyd Austin danach klare Grenzen auf. Der Verteidigungsminister zieht Parallelen zur NATO-Gründung vor 75 Jahren und sagt: Seit Russland sich im Jahr 2014 die Krim und die Ostukraine angeeignet hat, hätten die Bündnismitglieder ihre Rüstungsausgaben um 72 Prozent erhöht. Er nennt den Angriffskrieg "imperialistisch" und macht klar: "Wir werden uns nicht in (Wladimir) Putins Krieg hineinziehen lassen, aber jeden Zoll der NATO verteidigen." Ein Angriff auf einen Verbündeten sei ein Angriff auf alle. "Jeder Versuch, die NATO zu untergraben, untergräbt die Sicherheit Amerikas."

Das kann als Anspielung auf Donald Trump verstanden werden, ein Skeptiker gegenüber dem Bündnis. Der designierte republikanische Präsidentschaftskandidat ist ohnehin der Elefant im Kongresszentrum. Was geschieht, wenn er die Wahl im November gewinnt? Die NATO rüstet sich für diesen Fall: Die neue, von den USA unabhängigere Kommandozentrale in Wiesbaden, ein neues Trainingszentrum in Polen, ein Sondergesandter in Kiew, eine Vielzahl bilateraler Abkommen von Mitgliedsländern mit der Ukraine und vielleicht die stärkste Zusage, die ohne eine Unterschrift möglich ist: Der Weg des Landes in das Verteidigungsbündnis sei "unumkehrbar", heißt es in der gemeinsamen Erklärung aller Mitglieder.

"Sehr schwierige Situation"

"Dies ist die Zeit, in der wir auf die Probe gestellt werden", mahnt danach NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Das Bündnis habe bei Russland ein Muster erkannt, "sie haben sich Stück für Stück der Ukraine angeeignet". Damit es einen Waffenstillstand geben solle, müsse man 100 Prozent sicher sein, dass dies aufhört. Er hält eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine für "keine Frage von ob, sondern von wann". Es gehe bei diesem Gipfel darum, "Risiko zukünftiger Verzögerungen und Lücken" in der Unterstützung der Ukraine zu minimieren. Garantien gebe es keine, sagt er, es liege an den einzelnen Ländern; eine weitere Anspielung auf einen möglichen Wahlsieg Trumps.

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Monatelang hatte ein US-Hilfspaket für die Ukraine im Kongress festgehangen und die europäischen Verbündeten konnten nicht die versprochene Munition liefern. Dies habe in der ersten Jahreshälfte eine "sehr schwierige Situation" verursacht, sagt Stoltenberg, in der die Ukraine trotzdem mehr oder weniger die Front gehalten hätte. Die Unterstützung sei nun wieder größer und "in den vergangenen Wochen" lieferten die Verbündeten wieder mehr Munition. Doch zugleich sei China ein "entscheidender Helfer" für Russlands Krieg in der Ukraine.

In Richtung Peking findet Stoltenberg klare Worte. Praktisch alles, was Moskau gegen Kiew einsetze, komme aus China. "Sie können nicht eine normale Beziehung mit NATO-Mitgliedern in Nordamerika und Europa erwarten, aber weiterhin den Krieg anheizen, der die größte Bedrohung der Sicherheit Europas seit dem Zweiten Weltkrieg ist." Über Konsequenzen bleibt er nebulös: "Wir werden sehen, wie weit wir bereit sind, zu gehen." Dies liege in der Hand der EU und der einzelnen Bündnisstaaten.

Quelle: ntv.de

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