Politik

Krise in der Koalition "Ausschließen kann man bei Seehofer nichts"

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(Foto: picture alliance / dpa)

Ministerpräsident Seehofer stellt der Kanzlerin ein Ultimatum. Was wird er tun? SPD-Vize Ralf Stegner spricht im Interview über CSU-Drohungen und ein mögliches Ende der Koalition. Seehofer gibt er eine Mitschuld an der fremdenfeindlichen Stimmung im Land.

n-tv.de: CSU-Chef Horst Seehofer hat der Kanzlerin ein Ultimatum bis Sonntag gestellt. Was glauben Sie, was dann passiert?

SPD-Vizechef Ralf Stegner

SPD-Vizechef Ralf Stegner

(Foto: picture alliance / dpa)

Ralf Stegner: Ultimaten und Drohungen innerhalb der Bundesregierung und in diesem Fall sogar von Schwesterpartei zu Schwesterpartei sind schon bemerkenswert. Es zeigt vor allem die Orientierungslosigkeit, die in der Union herrscht. Seehofers Volten sind mittlerweile Teil des Problems. Wir alle sehen, dass viele Helfer in der Flüchtlingshilfe an ihre Grenzen stoßen. Deshalb müssen Politik und Staat ihr Möglichstes zu tun, um das zu bewältigen. Wir dürfen den Menschen nichts vorgaukeln. Es gibt keinen Schalter, den man umlegen könnte, um das Problem mal eben zu lösen.

Es gibt in diesen Tagen Gerüchte, dass Herr Seehofer die CSU-Minister aus der Koalition abziehen könnte. Aus der Union heißt es sogar, dass Wolfgang Schäuble als Übergangskanzler bereitstünde. Würde die SPD Schäuble zum Kanzler wählen?

Das sind alles Legenden, die eher etwas über den Zustand der Union aussagen als über die Wirklichkeit. Wir haben einen Koalitionsvertrag geschlossen, der gilt bis 2017. Die SPD wird keine politische Instabilität in Deutschland riskieren. Wir würden aber auch keinen Rechtsruck in der Bundesregierung mitmachen. Wir sorgen aktuell dafür, dass die Bundesregierung angesichts dieser riesigen Herausforderungen handlungsfähig ist und verantwortlich handelt.

Als mögliche Reaktion der bayerischen Landesregierung gilt die Option, die Flüchtlinge künftig einfach in den Rest der Republik durchzuwinken. Halten Sie das für möglich?

Bayern ist Teil der Bundesrepublik und damit auch unserer rechtsstaatlichen Ordnung. Insofern fällt es mir schwer, zu glauben, dass die CSU als Teil der Bundesregierung keine politische Verantwortung mehr wahrnehmen will. Aber ausschließen kann man bei Seehofer nichts. Im Übrigen sind die Herausforderungen auch in anderen Bundesländern groß. Bayern ist als Grenzland gefordert, das ist wahr, aber die Verteilung erfolgt ja trotzdem bundesweit. Ich glaube, manche CSU-Kraftmeierei zielt stärker auf Stimmungen ab als auf konkrete Politik. Belohnt wird das mit sinkenden Umfragewerten der CSU. Das hat man davon, wenn man Politik mit Streit und Stammtischgeschwätz ersetzt.

Haben Sie trotzdem Verständnis dafür, dass sich Bayern überfordert fühlt?

Die Lage ist schwierig und viele Ehrenamtliche in Bayern leisten Übermenschliches. Aber wirklich helfen wird nur die Beharrlichkeit des Dreiklangs Kampf gegen Fluchtursachen, Hilfe in den Flüchtlingslagern und Bemühen um eine europäische Lösung. Seehofer war lange Zeit Bundesminister, jetzt ist er Ministerpräsident - deswegen habe ich für seine Irrationalität kein Verständnis. Es geht darum, diese Herausforderung mit den Mitteln zu lösen, die möglich sind. Wir können nicht so tun, als könnten wir eine Mauer bauen und dann kommt niemand mehr. Wer das vorgaukelt, produziert Frust und Enttäuschung. Populismus befördert das, was wir leider zurzeit haben: eine ungeheuer aufgeheizte Stimmung mit Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte und politische Attentate wie in Köln.

Herr Seehofer und Herr de Maizière haben die österreichische Regierung kritisiert, dass sie Flüchtlinge bis an die deutsche Grenze bringt.

Für die Kritik an Österreich habe ich teilweise Verständnis, aber ich sehe keinen praktikablen Vorschlag aus Bayern, der die Lage verbessert. Ich sehe nur ganz viel Stammtisch-Politik. Österreich hat bis vor Kurzem mit Schweden und Deutschland praktisch alleine dafür gesorgt, dass das System nicht kollabiert. Dass das auf Dauer nicht gut geht, ist klar. Der Vorgang zeigt, wie unsinnig es bei Hunderten Kilometern grüner Grenze ist, Masseninternierungslager für Flüchtlingsfamilien zu schaffen.

Die Union verliert bei den Wählern drastisch an Zuspruch. Warum kann die SPD davon nicht profitieren?

Jetzt geht es nicht um die Wahlen 2017, sondern darum, 2015 und 2016 anzupacken. In der gegenwärtigen Lage ist es müßig, sich über parteitaktische Vorteile Gedanken zu machen. Die SPD erklärt den Menschen, dass es möglich ist, die Zuwanderung zu bewältigen, wenn wir die Verfahren beschleunigen und eine solidarische europäische Verteilungspolitik hinbekommen. An den Umfragen sieht man, dass es sich nicht lohnt, die Parolen von rechts zu übernehmen. Gerade jetzt ist eine scharfe Abgrenzung von Demokratiefeinden nötig. Wir brauchen in den kommenden Jahren zweistellige Milliardenbeträge für Bildung, Integration, Wohnungsbau und Arbeit – und zwar nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle. Wir müssen die Gesellschaft jetzt unbedingt zusammenhalten.

Mit Ralf Stegner sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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