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Programm für die Europawahl BSW will strikte Migrationspolitik und Abstand zur EU

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Die Parteispitze: Christian Leye, Generalsekretär, Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali, Parteivorsitzende, beim Gründungsparteitag der Partei «Bündnis Sahra Wagenknecht - für Vernunft und Gerechtigkeit»

Die Parteispitze: Christian Leye, Generalsekretär, Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali, Parteivorsitzende, beim Gründungsparteitag der Partei «Bündnis Sahra Wagenknecht - für Vernunft und Gerechtigkeit»

(Foto: picture alliance/dpa)

Zum ersten Mal tagt die neu gegründete Partei rund um Sahra Wagenknecht in Berlin. Dabei beschließt sie auch ihr EU-Wahlprogramm. Darin strebt sie unter anderem ein Ende der Waffenhilfe für die Ukraine, den Bezug von Öl und Gas aus Russland, sowie Asylverfahren an Außengrenzen und in Drittstaaten an.

Einstimmig beschloss der BSW-Bundesparteitag das Programm für die Europawahl am 9. Juni. Es ist geprägt von scharfer Kritik an der EU und der Forderung nach mehr Entscheidungsgewalt für die Nationalstaaten.

Die Wagenknecht-Partei will "ein selbstbewusstes Europa souveräner Demokratien". Im Programm heißt es: "Die EU in ihrer aktuellen Verfassung schadet der europäischen Idee." Kritisiert werden eine "abgehobene Politik ferner, demokratisch kaum kontrollierter EU-Technokraten" und eine "ausufernde EU-Regelungswut". Im Zweifel sollten die Mitgliedsländer auf nationaler Ebene EU-Vorgaben nicht umsetzen, "wenn sie wirtschaftlicher Vernunft, sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Meinungsfreiheit zuwiderlaufen".

Der frühere Linken-Politiker Fabio de Masi sagte mit Blick auf das Europawahlprogramm, das BSW wolle das Leitmotiv "Weniger ist mehr" für die Arbeit der Europäischen Union. Das bezieht sich auf die Mitgliedsländer: Die Partei will ein "Moratorium für die EU-Erweiterung". Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine sowie Moldau und Georgien werden explizit abgelehnt. Es gehe bei dem Prinzip "Weniger ist mehr" aber auch darum, auf EU-Ebene Steuerdumping von großen Konzerne zu unterbinden; auch eine internationale Mindestbesteuerung müsse durchgesetzt werden, Übergewinne etwa von Energiekonzernen müssten abgeschöpft werden. "Man muss sich mit den Mächtigen anlegen, wenn man etwas für die Mehrheit der Bevölkerung herausholen will", sagte er.

Stopp der Waffenhilfe an die Ukraine als Angebot an Moskau

Zum Ukraine-Krieg fordert das BSW: "Um Russland zur Aufnahme von Verhandlungen zu motivieren, sollte für diesen Fall der sofortige Stopp aller Rüstungsexporte in die Ukraine angeboten werden." Frieden und Sicherheit in Europa könne "stabil und dauerhaft nicht im Konflikt mit der Atommacht Russland gewährleistet werden", heißt es weiter. Eine neue europäische Friedensordnung müsse "längerfristig auch Russland einschließen".

Beim Thema Sicherheitspolitik, aber auch an anderen Stellen, wird Europas Nähe zu den USA kritisiert. "Europa muss eigenständiger Akteur auf der Weltbühne werden, statt Spielball im Konflikt der Großmächte und Vasall der USA zu sein", heißt es in der Präambel des Programms. Sonst bestehe auch "die Gefahr, mit China den wichtigsten Handelspartner zu verlieren". Zudem dürfe Europa "nicht länger eine digitale Kolonie der Vereinigten Staaten sein, sondern muss eine eigenständige digitale Infrastruktur aufbauen".

Wirtschaftliche Wiederannäherung an Russland und Distanz zur USA

Das BSW will "die Öl- und Gaslieferung aus Russland wieder aufnehmen und langfristige Energieverträge schließen". Die EU-Wirtschaftssanktionen hätten "Russland kaum getroffen und den Krieg in der Ukraine nicht gestoppt", der europäischen Wirtschaft aber "massiv geschadet". Unter starkem Beifall der Delegierten forderte Wagenknecht, den Krieg in der Ukraine "so schnell wie möglich" und auf dem Verhandlungsweg zu beenden.

Auch Krieg sei "vor allem ein Geschäft", bei dem es um Rohstoffe, Einflusssphären und Waffenverkäufe gehe. "Deswegen sagen wir Nein zu Krieg und Nein zu Waffenexporten in Kriegsgebiete", das sei ein zentraler Grundsatz ihrer Partei. Das BSW will Europa "erneut zu einem Friedensprojekt machen, als das es einst konzipiert worden war".

In der Verkehrspolitik fordert das BSW außerdem, die Entwicklung verbrauchsärmerer Modelle zu fördern, statt Verbrennerautos zu verbieten. Generell müsse es eine "Re-Industrialisierung Europas" geben.

Warnung vor "Parallelgesellschaften", "Konformitätsdruck" und "Cancel Culture"

Die Wagenknecht-Partei will Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und in Drittstaaten. "Es darf nicht länger kriminellen Schleppernetzwerken überlassen werden, wer Zugang zur EU bekommt", heißt es in dem Programm. Die EU müsse ihre Flüchtlings- und Migrationspolitik "grundlegend" reformieren, so die Forderung. Das BSW warnt, "in Frankreich und anderen Ländern, etwas schwächer ausgeprägt auch in Deutschland", seien in den vergangenen Jahren "islamistisch geprägte Parallelgesellschaften entstanden".

Auch die von Wagenknecht oft beklagte "Cancel Culture" ist Thema des Wahlprogramms. Viele Menschen in der EU "trauen sich nicht mehr, offen zu sagen, was sie denken", heißt es darin. Kritische Stimmen würden "diffamiert, stigmatisiert und ausgegrenzt". Ein solcher "Konformitätsdruck" sei mit einer offenen, liberalen Gesellschaft unvereinbar.

"Die herrschende Politik ist arrogant geworden", kritisierte auch die Ko-Vorsitzende des BSW und die frühere Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion Amira Mohamed Ali. Eine offene Debatte über viele Themen sei häufig nicht mehr möglich, abweichende politische Meinungen würden oft als rechtsradikal diskreditiert.

BSW will die Stimmen enttäuschter Menschen gewinnen

Die neue Partei will die von der Ampel-Koalition enttäuschten Menschen gewinnen. Es gebe "so viele Probleme, Unsicherheit, aber auch Empörung und Wut", so Wagenknecht. Viele Menschen seien "politisch heimatlos" geworden.

Auch Wagenknecht selbst habe "Angst vor dem Erstarken der AfD". Wer die Partei aber wirklich schwächen wolle, solle auch für einen Mindestlohn von wenigstens 14 Euro, höhere Renten und bezahlbare Energie demonstrieren, sagte sie mit Blick auf die derzeitigen Demonstrationen gegen rechts. Die Menschen sollten "am besten gleich für Neuwahlen und ein Ende der unsäglichen Ampel-Politik" auf die Straße gehen, fügte sie hinzu.

"Wir machen uns jetzt auf den Weg, die Politik in Deutschland zu verändern", sagte Wagenknecht unter dem Beifall der knapp 400 Delegierten. "Wir tun das, weil wir spüren, da ist etwas am Kippen in unserer Gesellschaft." Die Frage sei, "mündet der Umbruch in Aufbruch oder in die Katastrophe", fügte sie mit Blick auf das Erstarken rechter Kräfte in Deutschland hinzu.

Die neue Parteiführung

Auf dem Kongress wurde der Parteivorstand um die Vorsitzenden Wagenknecht und Amira Mohamed Ali komplettiert. Die Delegierten wählten Friederike Benda aus Berlin und Amid Rabieh aus Nordrhein-Westfalen zu stellvertretenden Parteivorsitzenden. Beide waren zuvor für die Linke aktiv. Weiterer Parteivize ist der Wirtschaftswissenschaftler Shervin Haghsheno. Generalsekretär ist der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Christian Leye und Schatzmeister der Unternehmer Ralph Suikat.

De Masi und der frühere SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, sollen die neue Partei als Spitzenkandidaten in die Europawahl am 9. Juni führen. Die Wahl der Kandidatenliste stand auf der Tagesordnung des Parteitags.

Mit Blick auf die von jahrelangem Streit geprägte Linkspartei, der Wagenknecht lange angehörte, rief sie die Delegierten zu Geschlossenheit auf. "Wir sind keine Linke 2.0", sagte Wagenknecht. Das müsse auch "für unseren Umgang miteinander gelten", sagte sie.

Quelle: ntv.de, Claudia Haas, AFP

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