Politik

BSW-Chefin im Interview "Wir wollen wachsen, aber nach und nach"

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Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali sind die Vorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).

Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali sind die Vorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).

(Foto: IMAGO/Stefan Zeitz)

Heute kommen die Mitglieder der neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht zu ihrem ersten Parteitag zusammen. Beschlossen werden soll ein Europawahlprogramm, in dessen Entwurf es heißt, dass Deutschland sich gegebenenfalls nicht an EU-Regeln halten soll. Ein Aufruf zum Rechtsbruch? Nein, sagt BSW-Chefin Amira Mohamed Ali im Interview mit ntv.de. "Uns geht es darum, dass es von der EU teilweise Vorschriften gibt, die viel besser national geregelt sein sollten." Perspektivisch kann sich Mohamed Ali auch eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei vorstellen.

ntv.de: Sahra Wagenknecht bezeichnet sich selbst als "links konservativ". Ist das ein Begriff, der auch für Ihre Partei funktioniert?

Amira Mohamed Ali: Als Partei wollen wir Zuschreibungen wie "links" und "rechts" vermeiden, weil wir eine neue Kraft sind, die sich von allen anderen Parteien unterscheidet. Mit Blick auf die klassischen Zuschreibungen könnte man aber durchaus argumentieren, dass wir wirtschaftspolitisch eher links zu verorten sind: Wir fordern höhere Löhne und Renten; ein gerechteres Steuersystem, das die Mitte mehr entlastet. Gesellschaftspolitisch bewegen wir uns eher im konservativen Spektrum, wenn man das so bezeichnen möchte.

Amira Mohamed Ali war bis Oktober 2023 Fraktionsvorsitzende der Linkspartei. Seit Gründung des BSW ist sie zusammen mit Sahra Wagenknecht Vorsitzende der neuen Partei.

Amira Mohamed Ali war bis Oktober 2023 Fraktionsvorsitzende der Linkspartei. Seit Gründung des BSW ist sie zusammen mit Sahra Wagenknecht Vorsitzende der neuen Partei.

(Foto: IMAGO/Future Image)

An diesem Samstag will das BSW auf seinem ersten Parteitag ein Europawahlprogramm beschließen. Im Entwurf fordern Sie eine Besteuerung von Superreichen. Haben Sie schon festgelegt, ab welchem Einkommen und in welcher Höhe besteuert werden soll?

Details des Programms werden wir ausarbeiten. Dazu werden wir Expertenräte gründen, um die Inhalte mit Personen auszuarbeiten, die wirklich im Thema sind und tagtäglich mit den Inhalten zu tun haben. Die politische Richtung ist aber klar: Wer zig Millionen oder gar Milliarden Euro auf dem Konto hat, muss sich finanziell stärker für das Gemeinwesen einbringen, damit wir Schulen sanieren, mehr Wohnraum schaffen und Krankenhäuser besser ausstatten können. Wir werden die Grenze hoch genug ansetzen, dass es wirklich nur um Superreiche geht und nicht um Menschen, die zum Beispiel Wohneigentum geerbt haben oder einen mittelständischen Betrieb führen.

Weder in Ihrem Parteiprogramm noch im Entwurf für das Europawahlprogramm steht etwas über eine stärkere Besteuerung von Erbschaften - ein Thema, das unter Linken seit Jahren diskutiert wird. Gibt es dazu eine Debatte im BSW?

Wir werden uns als BSW für eine gerechte Erbschaftssteuer einsetzen, die so gestaltet sein muss, dass ererbtes Wohneigentum oder der mittelständische Betrieb nicht davon betroffen sind. Wenn hingegen sehr große Vermögen vererbt werden, braucht es dafür eine gerechte Besteuerung. Da sind wir uns einig.

In Ihrem Europawahlprogramm heißt es, dass Deutschland sich gegebenenfalls nicht an EU-Regeln halten soll: Das BSW trete "für die Nichtumsetzung von EU-Vorgaben auf nationaler Ebene ein, wenn sie wirtschaftlicher Vernunft, sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Meinungsfreiheit zuwiderlaufen". Sollen sich die Mitgliedsländer künftig aussuchen können, an welche Regeln sie sich halten und an welche nicht?

Uns geht es darum, dass es von der EU teilweise Vorschriften gibt, die viel besser national geregelt sein sollten. Wir rufen natürlich nicht zum Rechtsbruch auf. Aktuell ist es so, dass sich EU-Staaten an bestimmte Dinge nicht halten, weil sie sich von den Vorschriften überfordert fühlen oder sie innenpolitisch nicht umsetzen können. Da muss man doch hinterfragen, ob wir wirklich in der Detailfülle Dinge aus Europa regeln wollen, wie es jetzt der Fall ist. Wenn man nicht Gefahr laufen möchte, dass die EU immer weiter auseinanderdriftet und immer mehr Länder eigene Regeln für sich in Anspruch nehmen, dann muss man die Regeln der EU so verändern, dass alle mitgehen können.

Rein formal ist "Nichtumsetzung von EU-Vorgaben" aber schon ein Aufruf zum Rechtsbruch.

Wir wollen diese Dinge politisch regeln und die Vorgaben so ändern, dass es den Ländern wieder möglich wird, eigene Entscheidungen zu treffen, wo das EU-Recht offensichtlich in Konflikt mit dem demokratischen Willen der Bevölkerung ist. Wenn immer mehr Menschen das Gefühl haben, dass die EU über ihre Köpfe hinwegregiert, ist niemandem geholfen, wenn sie als Institution Regelungen durchpeitscht.

In Europa gibt es nicht viele Parteien, die gesellschaftspolitisch eher konservativ und wirtschaftspolitisch links sind. Haben Sie schon darüber nachgedacht, wie eine Fraktion aussehen könnte, der das BSW im Europaparlament angehören könnte?

Das steht für uns nicht im Vordergrund. Wir gehen einen Schritt nach dem anderen. An diesem Samstag beschließen wir unser Europawahlprogramm und wählen unter anderem unsere Spitzenkandidaten, die bei dieser Frage sehr stark involviert sein werden. Heute wäre es unseriös, wenn ich sagen würde, dass wir uns eine gemeinsame Fraktion mit Partei A oder B vorstellen können.

Sie haben in einzelnen politischen Fragen bisher andere Positionen vertreten als es das BSW heute tut, was Ihnen jetzt auch gelegentlich unter die Nase gerieben wird. Etwa Ihr Interview mit Tilo Jung, in dem Sie sagten, dass Sie "generell gegen Abschiebungen" sind. Ein anderes Beispiel wäre Ihre Haltung zum Verbrenner-Aus - früher dafür, jetzt dagegen. Wie gehen Sie mit solchen Widersprüchen um?

Das Interview mit Tilo Jung ist von 2018. Zum damaligen Zeitpunkt hatten wir in Deutschland eine ganz andere Situation. Die Asylanträge gingen 2018 im Vergleich zu 2015 und 2016 deutlich zurück. Kommunen haben öffentlich erklärt, dass sie Platz hätten für Geflüchtete. Heute sagen viele Städte und Gemeinden zu Recht: Wir können nicht mehr. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir die Migrationszahlen runter kriegen und Abschiebungen für Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis konsequenter durchsetzen müssen. Damit wünsche ich mir gleichzeitig auch, dass wir als Gesellschaft wieder in die Situation kommen, Integration besser ermöglichen zu können, für diejenigen, die ein Recht darauf haben, hier zu bleiben und zu leben.

Was die Verkehrspolitik angeht: Ich bin nach wie vor dafür, dass man perspektivisch aus dem Verbrennungsmotor aussteigt. Aber starre Fristen halte ich nicht für umsetzbar. Es macht keinen Sinn, wenn das Land, das mit die besten Verbrennungsmotoren der Welt baut, als Erstes aussteigt, viel größere Dreckschleudern aber bis zum Ende produziert werden. In dieser Frage hat sich meine Meinung nicht geändert, das habe ich schon früher so gesehen.

Ihr designierter Spitzenkandidat für die Europawahl, Fabio de Masi, hat angekündigt, dass das BSW zunächst nur 450 Mitglieder aufnehmen will. Wie viele sind es aktuell, und wie viele sollen es im Sommer sein?

Die Zahl 450 erklärt sich mit der Größe des Veranstaltungsorts in Berlin, an dem wir unseren ersten Parteitag haben - dort passen nicht viel mehr Menschen rein, und jedes Mitglied muss die Möglichkeit haben, zum Parteitag zu kommen, weil es eine Mitgliederversammlung ist, kein klassischer Delegiertenparteitag. Aktuell haben wir 433 Mitglieder. Wie viele es im Sommer sein werden, kann ich Ihnen nicht sagen, aber wir haben ja schon deutlich gemacht, dass wir kontrolliert wachsen wollen. Es wird nicht so sein, dass jeder, der einen Mitgliedsantrag stellt, sofort Mitglied wird. Wir wollen die Anträge sichten und bearbeiten.

Zunächst einmal wollen wir in allen Bundesländern Landesverbände gründen. Wir streben ja auch an, im September bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg anzutreten. Wachsen werden wir auf jeden Fall, das wollen wir auch - wir freuen uns, wenn Menschen zu uns kommen. Aber das soll nach und nach geschehen und wird sehr davon abhängen, wie schnell wir es schaffen, die Strukturen in den Ländern aufzubauen.

Gibt es Kriterien, nach denen entschieden werden soll, ob eine Person Mitglied werden darf oder nicht?

Starre Kriterien gibt es nicht, aber wir möchten natürlich, dass unsere Mitglieder die Inhalte, für die wir stehen, und die Ziele, die wir haben, auch wirklich teilen.

Noch vor wenigen Wochen waren Sie Fraktionsvorsitzende der Linken. Ist es ein bisschen komisch, wenn Sie heute ehemaligen Parteifreunden auf dem Flur im Bundestag begegnen?

Das ist unterschiedlich. Mit vielen, mit denen ich mich schon immer gut verstanden habe, verstehe ich mich weiterhin gut. Bei anderen ist das Verhältnis etwas angespannter. Einige sind vielleicht auch enttäuscht, weil sie gehofft hatten, dass sich das anders entwickelt. Andere haben einen professionellen Umgang, und wieder andere, mit denen man immer schon irgendwie Schwierigkeiten hatte - naja, die haben jetzt noch einen Grund mehr, einen nicht zu grüßen. Aber dann ist das halt so.

Können Sie sich vorstellen, dass es irgendwann auf Landesebene, wenn die Mehrheitsverhältnisse es erforderlich machen, eine Zusammenarbeit von BSW und Linken gibt?

Ich würde das nicht ausschließen. Es gibt Überschneidungen mit anderen Parteien. Die Linke gehört dazu, aber auch bei SPD oder CDU zum Beispiel gibt es diese, je nach Thema. Am Ende muss man schauen, wie das konkret aussieht.

Was ist Ihr Ziel für die Europawahl und für die Landtagswahlen im September?

Zunächst einmal wollen wir an all diesen Wahlen teilnehmen. Die Umfragewerte sind zum Teil, gerade in ostdeutschen Bundesländern, sehr gut. Aber wir wissen alle: Umfragen sind keine Wahlergebnisse. Wir geben unser Bestes, um gute Ergebnisse zu erzielen. Und wir treten auch mit einem gewissen Selbstbewusstsein an. Aber ein zu großes Selbstbewusstsein kann auch schädlich sein. Wir haben die Partei schließlich gerade erst gegründet; Zahlen auszurufen, wäre nicht zielführend. Natürlich freut man sich, wenn man hört, dass eine Umfrage uns in Thüringen bei 17 Prozent sieht. Aber es ist eben nur eine Umfrage. Was am Ende rauskommt, entscheiden die Wähler.

Mit Amira Mohamed Ali sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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