Politik

Friedenskonferenz in den Bergen Putin fehlt kaum, Xi aus Peking aber schon

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Der Schweizer Bergort Bürgenstock erwartet Vertreter aus 90 Staaten.

Der Schweizer Bergort Bürgenstock erwartet Vertreter aus 90 Staaten.

(Foto: IMAGO/Köbi Schenkel)

Mehr als 90 Staaten nehmen teil an der Ukraine-Friedenskonferenz an diesem Wochenende. Putin allerdings nicht. Hätte man sich also alles sparen können? Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Verhandlungs-Marathon in der Schweiz.

Warum nimmt Russland an der Friedenskonferenz nicht teil?

Aus Moskau kam schon in der Anfangsphase der Planungen das Signal, dass der Kreml eine Teilnahme an den Friedensgesprächen ablehnt. Das wurde gleich mehrfach erklärt. In der Schweiz hat man dann wohl abgewogen, ob es sich überhaupt lohnt, die russische Seite einzuladen. Möglicherweise haben die Ukrainer hier Einfluss genommen mit dem Ziel, dass nur Staaten teilnehmen, die das Völkerrecht achten. Das beinhaltet automatisch, die territoriale Integrität der Ukraine anzuerkennen. Die Schweizer haben sich schließlich dagegen entschieden, Russland überhaupt einzuladen.

Wäre es klüger gewesen, Russland trotzdem einzuladen?

Derzeit wird in den Medien und im Netz sehr viel darüber diskutiert, dass Russland nicht eingeladen wurde. Ohne die russische Seite sei es keine ernstzunehmende Friedenskonferenz, heißt es häufig, und manchmal, die sei auch gar nicht gewollt gewesen. Allein, um dieser Sichtweise vorzubeugen, wäre es wohl klüger gewesen, man hätte Russland trotz seiner ablehnenden Haltung eingeladen - und zwar möglichst öffentlichkeitswirksam. So wäre Präsident Wladimir Putin gezwungen gewesen, die Einladung auch öffentlich abzulehnen. Damit hätte er demonstriert, dass kein Wille zu Verhandlungen da ist, nicht mal in einem so großen Rahmen auf dem Boden der neutralen Schweiz.

Ist es überhaupt sinnvoll, auch ohne Putin zu verhandeln?

Das ist sinnvoll. Denn Friedensverhandlungen, zumal in einem so brutalen und unerbittlichen Konflikt, sind ein langwieriger Prozess. Wenn Gespräche Aussicht auf Erfolg haben sollen, müssen sie sehr gut vorbereitet werden. Sonst müssen sich die Gegner gar nicht erst miteinander treffen.

Worum werden die 90 Teilnehmerstaaten in der Schweiz verhandeln?

Die Konferenz im Schweizer Ort Bürgenstock orientiert sich an einem Friedensplan, den der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits im Jahr 2022 vorstellte. Die Konferenz greift aber nur einzelne Punkte heraus. So soll es um Ernährungssicherheit gehen, um nukleare Sicherheit und um guten Umgang mit Gefangenen. Konkret fordert der Friedensplan etwa ein Ende nuklearer Erpressung. Außerdem soll das Kernkraftwerk Saporischschja unter Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) gestellt werden. Bei der Ernährungssicherheit ist Gegenstand der Verhandlungen, dass Getreideexporte unabhängig vom Kriegsgeschehen möglich sein sollen.

Im Vergleich mit der Größe des Konflikts erscheinen die Fragen, die in der Schweiz im Mittelpunkt stehen, kleinteilig. Das ist so gewollt, denn dahinter steht ein Konzept. Fragen wie Ernährung oder Schutz vor nuklearen Katastrophen sind für viele Länder der Erde relevant. Sie benötigen ukrainisches Getreide oder Düngemittel, sie wollen einen nuklearen GAU vermeiden und ihre Handelsschiffe sicher über die Seestraßen schicken. Darum sind sie bereit, in einen Friedensprozess zu investieren. "Er liegt in ihrem eigenen Interesse, eine Einigung scheint möglich, zugleich lässt sich gut überwachen, ob eine etwaige Lösung von den Kriegsparteien auch eingehalten wird", erklärt die Friedensforscherin Nicole Deitelhoff. "Je mehr Staaten der Welt sich aber engagieren und sich über bestimmte Fragen einig werden, desto stärkeren Druck können sie gemeinsam auf die Kriegsparteien ausüben, sich über diese Punkte ebenfalls zu einigen."

An diesem Wochenende geht es darum, für ein paar wichtige, aber überschaubare Forderungen neue Unterstützer zu gewinnen, aus anderen Regionen und Kontexten. Es sind solche kleinen Entscheidungen, die den Weg ebnen können und müssen, um am Ende einen wirklichen Friedensprozess zu beginnen. Denn der steht laut Deitelhoff immer am Ende eines langen Weges und nicht am Anfang. Diesen Weg überhaupt einmal einzuschlagen, darum geht es in Bürgenstock.

Ein Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine wird gar nicht verhandelt in der Schweiz. Heißt das, die Ukraine hat für diese Forderung keine Unterstützung?

Nein, das heißt es nicht. Das ist schlicht nicht die Art, wie Friedensverhandlungen zum Erfolg führen - wenn man mit dem schwierigsten Thema direkt einsteigt. Wer moniert, dass die Gebiets-Frage in der Schweiz nicht diskutiert wird, hat sich womöglich bislang kaum mit dem Wesen von Friedensprozessen auseinandergesetzt.

Wenn Krieg herrscht, dann ist das Vertrauen zwischen den Gegnern bereits kaputt. A glaubt B nicht, B glaubt A nicht. Ohne Vertrauen kann es aber keine stabile Einigung geben. Der Ukraine wird es besonders schwerfallen, sich auf russische Zusagen zu verlassen. Denn Erfahrungen aus der Vergangenheit haben sie anderes gelehrt.

1994 hat Kiew die Atomwaffen abgegeben im Vertrauen darauf, dass Russland wie vereinbart die ukrainische Grenze respektiert. Stattdessen haben russische Soldaten den Donbass und die Krim besetzt. 2015 hat Kiew das Minsker Abkommen unterschrieben im Vertrauen darauf, dass Russland wie vereinbart die Waffen schweigen lässt. Stattdessen ist Moskaus Armee vorgerückt und hat noch mehr ukrainisches Gebiet erobert.

"Das Vertrauen zwischen diesen Gegnern lässt sich kaum wiederherstellen", sagt Deitelhoff. Möglich sei aber, "Vertrauen nicht in den Gegner herzustellen, sondern in den Prozess". Startet man in kleinen Schritten, muss die Ukraine wenig Zugeständnisse machen und kann den Erfolg bald messen.

Wichtig für das Vertrauen in den Prozess ist ebenso, dass die Ukraine genug Unterstützer im Rücken hat. Diverse Staaten, darunter auch Deutschland, haben Sicherheitsabkommen mit Kiew geschlossen. Die Abkommen sollen der Ukraine Unterstützung auch in einem neuen Kriegsfall garantieren, falls also Moskau nach einem Friedensschluss erneut sein Wort brechen würde.

Die Abkommen werden es Kiew überhaupt erst möglich machen, sich zukünftig auf einen Waffenstillstand einzulassen. Andernfalls wäre das viel zu riskant, denn bei einem erneuten Angriff könnten die Ukrainer plötzlich allein dastehen und einem Gegner gegenüber, der sich in den Jahren der Feuerpause neu bewaffnen und stärken konnte.

Wie sehr fehlt China auf der Konferenz?

Dass China nicht in die Schweiz kommt, ist ein echter Rückschlag. "Peking macht damit sehr deutlich, wie eng es mittlerweile an der Seite Russlands steht", sagt Deitelhoff, die das Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main leitet. "Das war lange Zeit nicht so klar, aber da scheint es doch eine tiefere Verbundenheit zu geben, als wir bisher wussten." Damit steht China als eine Stimme mit enormem Einfluss auf Moskau, die im Sinne einer Friedenslösung vermitteln könnte, wohl nicht zur Verfügung.

Ebenso fehlen Brasilien und wahrscheinlich auch Südafrika als Schwellenländer, die in der Weltpolitik eine Rolle spielen und als Multiplikatoren dienen könnten. Umso erfreulicher immerhin ist die Zusage aus Neu Delhi. Indien ist ein sehr wichtiger Staat in den G20, auch in der BRICS-Gruppe, in der Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika vor allem wirtschaftlich zusammenarbeiten. In beiden Foren hat Indien viel Einfluss. "Das Land hat sich bis jetzt aus dem Russland-Ukraine-Konflikt möglichst herausgehalten. Auch, weil Indien ungelöste Grenzkonflikte mit China hat, und zwar nicht zu knapp. Zudem ist es erheblich auf russische Technologie und Ausrüstung angewiesen, was seine eigene Verteidigung und Sicherheit angeht", sagt Deitelhoff. Entsprechend will Indien nicht zwischen die Fronten geraten.

Vor diesem Hintergrund ist Indiens Teilnahme am Friedensgipfel ein sehr positives Zeichen. Trotz starker nationaler Verflechtungen ist das Land nicht mehr bereit, Russlands fortlaufenden Verstoß gegen das Völkerrecht einfach so hinzunehmen. Zugleich ist es sehr auf Vorsicht bedacht. "Es darf nicht so aussehen, als würden sich die Anwesenden gegen Russland verbünden", sagte der indische Politikberater Pankaj Saran der "Neuen Zürcher Zeitung". Die Teilnehmer müssten vielmehr die Absicht erkennen lassen, die Russen zu einem späteren Zeitpunkt in den Prozess einzubeziehen. Das sei "das absolute Minimum".

Klare Unterstützung für die Ukraine signalisieren, in den Detailfragen, die auf dem Tisch liegen, eine Einigung hinbekommen, weitere Staaten dafür gewinnen, dabei aber die Inder nicht verprellen - ganz einfach wird es nicht für die Ukrainer und ihre Unterstützer an diesem Wochenende im idyllischen Bürgenstock. Aber wie heißt es doch gleich? Wenn’s einfach wär, würden es andere machen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen