
Michael Müller wendet sich neuen Partnern zu.
(Foto: REUTERS)
Was bedeutet dieses Wahlergebnis für den Bund? Tatsächlich relativ wenig. Die rot-rot-grüne Koalition ist vor allem ein Test für den Fall, dass es nicht anders geht. Denn abgesehen von den Linken ist niemand wirklich scharf auf solch ein Bündnis.
Die Hauptstadt wird künftig von einer rot-rot-grünen Koalition geführt. Das ist das Bündnis, das sich die meisten Berliner wünschen, das ist die Koalition, die gemessen am Wahlergebnis die stabilste wäre. Rot-Rot-Grün in Berlin – in dieser Konstellation, die den Kräfteverhältnissen im Bund relativ nahe kommt, ein Novum in der Republik. Doch die Koalition ist nur in sehr geringem Maße ein Signal für die Bundestagswahl im nächsten Jahr.
Abgesehen von Linken-Politikern gibt es nur wenige in der Bundespolitik, die sich dieses Bündnis wirklich wünschen. Und das verwundert nicht: Während es auf Landesebene vor allem viele Gemeinsamkeiten gibt, trennen SPD, Linke und Grüne auf Bundesebene noch immer unüberwindbar wirkende Hindernisse.
- In der Sozialpolitik steht die Linke nach wie vor für eine radikale Abkehr von der Agenda 2010. Wie sollte es auch anders sein. Die Ablehnung der Hartz-IV-Regeln mit ihren teils harten Sanktionen für Arbeitslose waren es schließlich, die der Partei ihren Gründungsmythos verschaffte. Die SPD hält dagegen an dem Kurs ihres früheren Kanzlers Gerhard Schröder fest, will dem System nur in Details die Härte nehmen.
- In der Außenpolitik könnten die Richtungen, in die sich die Parteien bewegen, kaum unterschiedlicher sein. Die Grünen haben sich immer stärker für Interventionen der Bundeswehr im Ausland geöffnet. Namhafte Mitglieder der Partei sprachen sich etwa dafür aus, die Kurden im Nordirak mit Waffen im Kampf gegen den IS zu unterstützen. Die Linke dagegen hält an ihrem pazifistischem Kurs fest, fordert weiterhin die Auflösung der Nato. Kaum vereinbar ist auch die Haltung der Parteien zu Russlands Staatsführung. Teile der Linken sind trotz der international geächteten Annexion der Krim und des Wirkens Wladimir Putins in der Ostukraine kaum kritikfähig, wenn es um Moskau geht.
- Krasse Unterschiede existieren auch in der Flüchtlingspolitik. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht spricht im Zusammenhang mit Geflüchteten immer wieder von "Gefahrenpotenzialen" und spielte mit dem Gedanken, feste Kontingente für Flüchtlinge festzulegen, ein Vorschlag, der sehr nah an der "Obergrenze" liegt, die die CSU fordert. Mit den Grünen ist solch eine Politik unvorstellbar, obwohl sich die Ökopartei in den vergangenen Monaten zusehends von einem durchweg idealistischen Ansatz in der Flüchtlingspolitik verabschiedet hat.
Thüringens linker Ministerpräsident, Bodo Ramelow, der ein Bündnis mit SPD und Grünen in dem ostdeutschen Bundesland anführt, räumte kürzlich ein, dass seine Partei sich im Bund in grundlegenden Fragen anders aufstellen müsse, um koalitionsfähig zu sein. Ramelow gehört dem realpolitischen Reformer-Flügel der Linken an, einem Flügel, mit dem sich viele Grüne- und SPD-Politiker eine Zusammenarbeit vorstellen könnten. Doch es gibt eben auch den Linken Flügel rund um Wagenknecht, an dem kein Weg vorbei führt.
Die Grünen setzen auf eine Koalition mit der Union
Wer genau hinhört, spürt, dass insbesondere die Ökopartei ganz andere Pläne als Rot-Rot-Grün hat. Parteichef und einer der Wortführer des grünen Realo-Flügels, Cem Özdemir, sagte schon kurz nachdem die ersten Hochrechnungen zur Berlin-Wahl bekannt wurden einen vielsagenden Satz: "Rot-Rot-Grün ist ein Modell für Berlin."
Zwar gibt es in der Ökopartei einen linken Flügel, der sich diese Option unbedingt offen halten möchte. So verwies Jürgen Trittin kürzlich auf die "Schnittmengen" der drei Parteien. Doch der linke Flügel der Partei ist derzeit ausgesprochen schwach. Bei den Grünen zeichnet sich gar ab, dass zwei Realpolitiker die Partei als Spitzenkandidaten in die Bundestagswahl führen werden. Und die setzen vor allem auf eines: Schwarz-Grün.
Belege dafür gibt es zuhauf: Der populäre grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann traf sich während seines Urlaubs zu einem Abendessen mit Kanzlerin Angela Merkel. Die beiden saßen Stunden zusammen. Offiziell ist nichts über die Inhalte des Gesprächs bekannt. Doch man muss kein Hellseher sein, um darauf zu kommen, dass es um die künftige Zusammenarbeit geht. Inhaltliche Hürden für diese gibt es ohnehin nicht mehr viele. Was früher trennte, etwa der Atomausstieg, ist abgeräumt. Auch in der Asylpolitik rückten beide Parteien aufeinander zu. Merkel zeigte mit ihrer Willkommenskultur Haltung. Die Ökopartei ließ sich auf pragmatische Zugeständnisse etwa bei der Debatte über Sichere Herkunftsstaaten ein.
Ein Test mit begrenzter Aussagekraft
Dass Peter Altmaier in Merkels CDU Kanzleramtsminister und Chefkoordinator in der Flüchtlingskrise geworden ist, macht das Ausloten einer Schwarz-Grünen Koalition noch leichter. Altmaier ist Gründungsmitglied der "Pizza-Connection", einer Runde von CDU- und Grünen-Politkern, die schon vor Jahren mit dem Gedanken einer Kooperation im Bund liebäugelten.
Sicher ist Schwarz-Grün allerdings keinesfalls, denn die Union besteht bekanntlich nicht nur aus der CDU, und die CSU erträgt derzeit offensichtlich kaum die Zusammenarbeit mit ihrer Schwesterpartei. Permanent wettert CSU-Chef Horst Seehofer gegen Kurs der Kanzlerin in Flüchtlingskrise. Der Wunsch nach einer "Obergrenze" für Flüchtlinge ist nur einer von vielen Punkten, bei denen die Interessenskonflikte zwischen CDU und CSU kaum überbrückbar erscheinen. Wie soll es da erst mit den Grünen laufen, die trotz aller Sympathien für Merkels Kurs beim Thema Zuwanderung links der CDU stehen?
Rot-Rot-Grün im Bund könnte allenfalls eine Notfalllösung sein, wenn die CSU bei Schwarz-Grün blockiert und eine Neuauflage der Großen Koalition nicht gewollt ist. Wie die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen ist dieses Bündnis in Berlin somit lediglich ein Test, ob sich überhaupt zusammenarbeiten lässt. Es ist wie in Thüringen auch ein Test mit begrenzter Aussagekraft. Der Spitzenkandidat der Linken in Berlin, Klaus Lederer, gehört wie Ministerpräsident Ramelow dem Reformer-Flügel der Partei an. Der stellt bei der Zusammenarbeit bekanntlich das geringste Problem dar.
Quelle: ntv.de