Neue Partei ist gegründet Wagenknecht besetzt ihren eigenen Quadranten
08.01.2024, 17:58 Uhr Artikel anhören
In Berlin stellt Sahra Wagenknecht ihre neue Partei vor, das "Bündnis Sahra Wagenknecht". Mittelfristig soll eine Volkspartei daraus werden, inhaltlich sieht die Partei sich in linker Tradition - will sich aber nicht so nennen.
Die frühere Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat in Berlin zusammen mit Mitstreitern ihre neue Partei gegründet und bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Der erste Parteitag des "Bündnis Sahra Wagenknecht" soll am 27. Januar stattfinden. Erklärtes Ziel ist, in diesem Jahr an den vier wichtigen Wahlen teilzunehmen: an der Europawahl im Juni sowie im September bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.
Bei der Parteigründung seien 44 Gründungsmitglieder anwesend gewesen, sagte Wagenknecht. Inhaltlich positionierte sie sich jenseits der klassischen Einteilung in links und rechts: Viele Menschen könnten mit diesen Begriffen nicht mehr viel anfangen, sagte sie, die Partei werde diese Labels daher nicht benutzen. Allerdings nahm Wagenknecht für ihre Partei in Anspruch, in einer linken Tradition zu stehen.
Diese Darstellung wird von der Politologin Sarah Wagner gestützt. Parteien könne man nicht mehr nur auf einer Rechts-Links-Achse positionieren, betont Wagner im Interview mit ntv.de. Ihr zufolge muss eine zweite Kategorie mitgedacht werden: die Verortung bei soziokulturellen Themen. In einem solchen Koordinatensystem ist die Wagenknecht-Partei wie SPD, Grüne und Linke bei wirtschaftlichen Themen "links" anzusiedeln. Bei soziokulturellen Themen allerdings positioniert sich Wagenknecht wie CDU/CSU und AfD eher auf der konservativen Seite des politischen Spektrums.
Gegen "Lifestylepolitik"
Mit ihrer "linkskonservativen" Ausrichtung hat die Wagenknecht-Partei in diesem Koordinatensystem einen Quadranten ganz für sich allein. "Hier gibt es eine riesige Repräsentationslücke", sagt Wagner. "Es ist leicht vorstellbar, dass es viele Wählerinnen und Wähler gibt, die wirtschaftlich eher linke Vorstellungen haben, sich gleichzeitig aber soziokulturell konservativ verorten."
Wagenknecht und ihre Parteifreunde strichen bei der Pressekonferenz in Berlin vor allem diese Verortung heraus. Der frühere Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel, bis vor Kurzem Mitglied der SPD, erklärte Deutschland zum Sanierungsfall. Der Industriestandort werde von sinnlosen Verboten und Symbolpolitik gelähmt, der soziale Zusammenhalt sei zunehmend gefährdet, die Politik verstecke sich hinter Identitätspolitik und Genderdebatten. Wagenknecht selbst sprach von "Lifestylefragen". Wie Wagenknecht kritisierte Geisel scharf die Sanktionen gegen Russland und die Unterstützung der Ukraine, die einen Krieg führe, "der nicht gewonnen werden kann".
Der frühere Linken-Politiker Fabio De Masi, der 2022 aus der Linkspartei ausgetreten war, nannte die Ampel-Koalition einen "Erntehelfer der AfD". Bundeskanzler Olaf Scholz habe keinen Plan für die Zukunft. Die Proteste der Bauern zeigten, wie groß der Druck im Kessel in Deutschland sei, so De Masi. Wagenknecht betonte, sie teile die Anliegen der Landwirte.
BSW will Volkspartei werden
Mit Blick auf die Asylpolitik sagte Wagenknecht, Verfolgte hätten ein Recht auf Schutz. Die derzeitige Asylpolitik nannte sie "zutiefst unehrlich". Ihre Partei wolle, dass nicht nur diejenigen, die teure Schlepper bezahlen könnten, nach Europa kämen, deshalb sei sie für Verfahren an den Außengrenzen. Den Klimawandel bezeichnete Wagenknecht als ernste Herausforderung. Allerdings könne Deutschland ihn nicht allein bewältigen, "und zweitens sollten wir in Deutschland Schritte gehen, die sinnvoll sind". Das gelte nicht für das Heizungsgesetz.
Die neue Partei soll langsam wachsen. In einem ersten Schritt wolle man 450 Mitglieder aufnehmen. Bei neuen Mitgliedern will Wagenknecht vorsichtig sein, ohne Verbote auszusprechen. So soll eine frühere AfD-Mitgliedschaft kein förmliches Ausschlusskriterium sein. Zugleich betonte Wagenknecht: "Einen direkten Wechsel wird es nicht geben." Die Partei müsse aufpassen, nicht in die Falle zu tappen, "dass wir Menschen aufnehmen, die (...) in eine ganz andere Richtung wollen, als wir sie in unseren Gründungsdokumenten vorgegeben haben". Mittelfristig, so De Masi, wolle man "eine Volkspartei" sein.
Derzeit ist das BSW mit zehn ehemaligen Linken-Abgeordneten im Bundestag vertreten. Zur Europawahl sollen De Masi und Geisel als Spitzenkandidaten antreten. Die Doppelspitze der Partei bildet Wagenknecht zusammen mit der frühen Linksfraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali. Ein detailliertes Programm legte das BSW noch nicht vor - das soll nach Wagenknechts Worten zusammen mit Bürgern und Experten erarbeitet werden. Zunächst blieb es bei der schon im Oktober veröffentlichten Skizze einiger wichtiger Positionen. Dazu zählt eine Begrenzung der Migration "auf eine Größenordnung, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert". Ziel sind zudem "gut bezahlte, sichere Arbeitsplätze", ein "gerechtes Steuersystem", Investitionen in Bildung und Infrastruktur, höhere Leistungen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung.
Die Partei soll nur vorläufig nach Wagenknecht heißen: Bis zur Bundestagswahl will das "Bündnis Sahra Wagenknecht" an dieser Bezeichnung festhalten - so hieß bereits der Verein, der die Parteigründung vorbereitet hatte. Danach solle ein Parteiprogramm beschlossen und ein neuer Name gefunden werden.
Quelle: ntv.de, mit dpa