60 Jahre nach erstem Atomtest China baut Kernwaffenbasis heimlich wieder auf
21.01.2024, 15:23 Uhr Artikel anhören
Animation einer Pilzwolke, die nach einer Atombomben-Explosion entsteht.
(Foto: picture alliance / magann/Shotshop)
China beschäftigt sich wieder mit Atomwaffentests. Das Regime hat ein altes Testgelände wieder flottgemacht, berichtet die New York Times unter Berufung auf Satellitenbilder. Was haben Russland und die USA damit zu tun?
Lop Nor ist ein riesiges Gelände, größer als Österreich. Und kein gewöhnliches: Der ausgetrocknete Salzsee im Nordwesten von China ist ein Testgelände für Kernwaffen. Zwischen 1964 und 1996 wurden in dem kargen und verlassenen Gebiet 45 oberirdische und unterirdische Atomtests durchgeführt. Es waren womöglich nicht die letzten, denn 60 Jahre nach dem ersten Test baut China das Testgelände heimlich wieder auf.
Die Arbeiten haben anscheinend schon vor längerer Zeit begonnen. Der US-amerikanische Geheimdienst verfolge "das Wiederaufleben von Lop Nor seit Jahren", hatte die "New York Times" kurz nach dem Jahreswechsel enthüllt. Die Reporter der Zeitung berufen sich auf Satellitenbilder und berichten von den "bisher deutlichsten Hinweisen" für neue chinesische Ambitionen, erneut Kernwaffen zu testen.
Der Standort in der Provinz Xinjiang im äußersten Westen des Landes wird demnach aufgerüstet, seit Xi Jinping 2013 die Macht in China übernahm. Das Gelände, das nur aus "einer Handvoll Gebäuden" bestehe, sei zu einem "hochmodernen Komplex" für Atomwaffentests geworden, heißt es in der "New York Times". Der klarste Hinweis sind Hunderte Meter tiefe Schächte, die gebohrt wurden. Diese können tödliche Strahlung abfangen, die bei Kernexplosionen auftreten. Auch CNN hatte von den Tunnelbohrungen berichtet.
"Vielleicht müssen sie etwas Exotisches machen"
Was China mit Lop Nor genau vorhat, ist unklar. Atomwaffenexperten vermuten in der "New York Times", dass die Aktivitäten auf eine große Modernisierungs-Offensive hindeuten, um die Durchschlagskraft der schnell wachsenden Raketenstreitkräfte von China zu erhöhen. Möglich sei demnach auch, dass Peking einen Atomtest durchführen wolle, um ein Zeichen zu setzen. Denn während des Kalten Krieges habe China sehr viel weniger Atomwaffen getestet als die USA und Russland.
"Ich weiß, dass China glaubt, dass es im Rückstand ist", berichtet Terry C. Wallace in dem Artikel. Der frühere Direktor von Los Alamos, dem amerikanischen Kernwaffenforschungszentrum, führt aus: "Sie haben vielleicht das Gefühl, dass sie mit ihrem Testwissen so weit zurückliegen, dass sie etwas Exotisches machen wollen."
Zwischen 1964 und 1996 wurden in Lop Nor 45 Kernwaffentests durchgeführt. Das sind deutlich weniger als in den USA und Russland: Moskau ordnete während des Kalten Krieges mehr als 700 Testsprengungen an, die Vereinigten Staaten sogar über 1000 Atomwaffentests.
Dann arbeitete die UN-Abrüstungskonferenz den sogenannten Kernwaffenteststopp-Vertrag aus - 1996 wurde den weltweiten Atomtests damit ein Ende gesetzt, obwohl der Vertrag noch immer nicht offiziell in Kraft ist: Acht Staaten - darunter die USA und China-haben ihn nicht ratifiziert. Dennoch halten sich abgesehen von Nordkorea alle neun Atommächte an das Testverbot. Doch die inzwischen fast 30 Jahre lange Pause bringt Probleme mit sich: Die Vereinigten Staaten, Russland und China würden gern wissen, ob ihre Atomwaffen aus den 1980er- und 1990er-Jahren noch funktionieren, erklärte Nuklearexperte Jeffrey Lewis bei CNN.
China will "nicht auf falschem Fuß erwischt werden"
Die meisten Atomexperten mutmaßen, dass sich China mit der Reaktivierung seines Testgeländes absichern will - für den Fall, dass Russland oder die USA eines Tages wieder Nukleartests durchführen. Die Chinesen "wollen nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden", schätzt der Atomphysiker Richard L. Garwin in der "New York Times" ein.
Denn nicht nur Peking, auch Washington und Moskau haben in den vergangenen Jahren ihre Atomteststandorte im großen Stil ausgebaut. Das belegen ebenfalls Satellitenbilder, die über dem amerikanischen Testgelände in der Wüste des Bundesstaats Nevada und der russischen Polarinsel Nowaja Semlja in der Arktis entstanden sind.
Moskau hat das Atomtestverbot unterschrieben und anerkannt, die Ratifizierung aber voriges Jahr zurückgezogen. Russland müsse die gleichen Möglichkeiten haben wie die USA, begründete Wladimir Putin den Schritt. Neue Tests soll es aber nur geben, wenn auch Washington welche macht, erklärte der Kremlchef. "Wir müssen uns in unseren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten spiegelbildlich verhalten."
Atomtests unter Trump vorstellbar
Die Vereinigten Staaten haben den Vertrag in den 1990er-Jahren zwar unterschrieben, aber nie ratifiziert. Präsident Donald Trump hatte in seiner Amtszeit gesagt, dass er sich Atomtests in den USA vorstellen könne. Die Republikaner sind immer noch dafür. Sie waren es auch, die 1999 im Senat die Ratifizierung verhindert haben. Wird Trump ein zweites Mal Präsident, könnten amerikanische Nukleartests wahrscheinlicher werden.
Aber auch die bloße Modernisierung und Erweiterung von Testarealen reiche schon, um für Unruhe zu sorgen in einer allgemein schwierigen Weltlage, analysiert der ehemalige US-General James Marks bei CNN. "Die Herausforderung besteht darin, dass wir diese potenzielle Verbesserung oder Modernisierung der Nuklearstreitkräfte in einer Zeit des Krieges zwischen einer dieser fortgeschrittenen Atommächte, Russland und der Ukraine, erleben. Das ist der Kontext, der uns alle beunruhigt."
Noch gibt es aber keine konkreten Hinweise auf einen bevorstehenden Test - nicht in der russischen Arktis, in der Wüste von Nevada oder im chinesischen Hinterland.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de