
Putin und Xi versicherten sich einst ihrer "grenzenlosen Freundschaft". Mit dem chinesischen Positionspapier deutet Peking zwar Kritik an Russland an - doch Putin wird keineswegs eine Schuld am Krieg zugewiesen.
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine meldet sich die chinesische Regierung mit einem Positionspapier. Zumindest aus europäischer Sicht ist das Schriftstück geprägt von Widersprüchen. Kann es dennoch einen Friedensprozess auslösen?
Chinas Staatschef Xi Jinping scheint der einzige Regierungschef zu sein, auf den Russlands Präsident Wladimir Putin noch hört. Das zeigte sich etwa in der Atomwaffenfrage. Seit Xi sich gegen deren Einsatz in der Ukraine ausspricht, haben die russischen Drohungen damit stark nachgelassen. Putin hört auch deswegen auf Xi, weil er sonst kaum noch einflussreiche Freunde hat. Man könnte auch sagen: Er hat sich ihm ausgeliefert.
Da macht es Hoffnung, wenn China nun ein Papier zum Krieg in der Ukraine vorlegt. Weist Peking hier den Weg zum Frieden? Bringt China alle Konfliktparteien an einen Tisch? Die kurze Antwort lautet: nein. Darauf deuten auch zahlreiche enttäuschte Reaktionen aus westlichen Staaten hin. Das liegt vor allem daran, dass China weiterhin den russischen Angriff nicht klar als solchen benennt und verurteilt.
Aber was hat es mit diesem Papier auf sich? Immerhin klingen viele Punkte für europäische Ohren nicht schlecht: So fordert Peking etwa, die Souveränität aller Länder zu respektieren, ebenso das Getreideabkommen einzuhalten, bietet Hilfe bei der humanitären Krise an oder fordert alle Seiten auf, im Krieg "nicht die Flammen anzufachen". Die Ukraine und Russland sollten einen Dialog aufnehmen. Und auch gegen Atomwaffen spricht sich die chinesische Führung ein weiteres Mal aus.
Nicht viel Neues
Enttäuschend ist aber, dass dieses Papier doch kein Friedensplan ist, wie Chinas führender Außenpolitiker Wang Yi auf der Münchener Sicherheitskonferenz angekündigt hatte. Es kommt lediglich als "Positionspapier" daher. Und noch dazu als eines, in dem nicht viel Neues steht.
"Die zwölf Punkte, die dort genannt werden, sind mit sehr wenigen Ausnahmen im letzten Jahr immer wieder von offiziellen chinesischen Vertretern genannt worden", sagt Nadine Godehardt von der Stiftung Wissenschaft und Politik ntv.de. "Was wir da lesen, ist keine neue Positionierung Chinas, sondern das, was wir seit einem Jahr beobachten." Die bisherige chinesische Position zum Ukraine-Krieg beschreiben China-Experten wie Godehardt mit "prorussischer Neutralität" - eine widersprüchliche Formulierung, wie sie fast schon typisch ist, wenn es um China geht.
Neutral ist China zwar insofern, als es nicht in den Krieg eingreift und zumindest bis jetzt auch nicht Russland mit Waffen unterstützt. Und auch, indem es sich andererseits nicht an Sanktionen gegen das Land beteiligt, sondern beispielsweise weiter Öl und Gas aus dem Nachbarland bezieht. Auch die Ukraine bekommt keine Hilfe aus China. Auf diplomatischem Parkett aber gibt China Russland Rückendeckung, indem die Führung die russische Propaganda nachbetet, die USA, die NATO, der Westen seien letztlich schuld an diesem Krieg.
Versteckter Bezug auf Taiwan
Auch das chinesische Positionspapier beinhaltet solche Widersprüche: "Gerade aus europäischer Sicht kann man nicht verstehen, wie man auf der einen Seite für territoriale Integrität und nationale Souveränität stehen will und gleichzeitig Russlands Sicherheitsinteressen gewahrt sehen möchte", sagt Godehardt. "Da beißt sich die Katze in den Schwanz." Denn Russland rechtfertigt den Angriff auf die Ukraine in seiner Propaganda mit besagten Sicherheitsinteressen. Dahinter steht aber auch das russische Narrativ, die NATO habe sich immer weiter ausgedehnt, bis an die Grenzen Russlands, und Moskau so gezwungen, sich zu wehren.
Laut Godehardt ist der erste Punkt des Papiers auch im Zusammenhang mit der Taiwan-Frage zu sehen. "Hier will man sehr deutlich machen, dass eben auch die chinesische nationale Souveränität und territoriale Integrität gemeint ist." Damit beziehe sich China auf Taiwan, das ja nach eigener Sichtweise ein Teil der Volksrepublik ist. Hier verbirgt sich also auch der Anspruch auf den benachbarten Staat. "Das ist hier also weniger in Richtung Ukraine gemeint, sondern bestätigt nur das fundamentale Interesse an diesem Prinzip", sagt Godehardt.
Den Krieg in der Ukraine sehe China als Stellvertreterkrieg. Das zeige sich weniger in diesem Dokument als in zwei anderen, die ebenfalls diese Woche veröffentlicht worden seien. In einem davon sei es um die Hegemonie der USA und die angeblich damit verbundenen Gefahren gegangen. "Damit wird sehr deutlich, welche Perspektive in Peking vorherrscht: Dass man in erster Linie die Schuld für diesen Krieg bei den USA sieht." Das sei nicht neu, aber diese Woche mehrfach in verschiedenen Dokumenten betont worden. "Vor diesem Hintergrund wird der Krieg in der Ukraine betrachtet", so Godehardt.
Putin wird nicht verurteilt
Das aber ist ein Knackpunkt in diesem Positionspapier. Die Schuld soll bei den USA liegen? "Man muss ganz klar sagen, dass man da aus europäischer Sicht nicht mit China übereinkommt. Wir haben eine völlig andere Vorstellung darüber, was die Kriegsursachen sind." Zum Beispiel, dass es einen ganz klaren Aggressor gebe. Dieser Punkt ist aber für die Europäer ganz zentral. Entsprechend enttäuscht äußerte sich die Bundesregierung. Zu begrüßen sei etwa die klare Ablehnung jeglichen Gebrauchs von Atomwaffen. "Gleichzeitig fehlen aus unserer Sicht wichtige Elemente, zuvorderst der Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine", sagt ein Regierungssprecher.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte sich ähnlich zurückhaltend. China hat nach seinen Worten nicht besonders viel Glaubwürdigkeit, weil es bisher nicht in der Lage war, die russische Invasion in die Ukraine zu verurteilen. Putin bereite sich derzeit nicht auf Frieden vor, sondern auf mehr Krieg und weitere Offensiven, betonte Stoltenberg. Irgendwann werde der Krieg wohl am Verhandlungstisch enden. Wenn man jedoch eine Verhandlungslösung wolle, bei der die Ukraine als souveräne, unabhängige Nation bestehen bleibe, müsse man das Land militärisch unterstützen. Das aber wird China kaum tun.
Laut Godehardt hat sich China in eine Sackgasse manövriert. Das, was nach Zugeständnissen an die Europäer und die USA aussieht, also etwa die Absage an Atomwaffen, sei "viel zu wenig", um das Vertrauen der Europäer zurückzugewinnen. Das aber wäre notwendig, um überhaupt als Vermittler anerkannt zu werden. China würde sich aber, so Godehardt, in seinem eigenen Lager selbst isolieren, wenn es nun echtes inhaltliches Entgegenkommen zeigen würde, also etwa Putin als Aggressor zu bezeichnen oder einen Sieg der Ukraine unterstützen würde. "Ich sehe keine Hintertür, wie sie da wieder herauskommen sollen."
Quelle: ntv.de