Zweite Heimat, erste Wahl Deutsch-Belarussin: "Zum ersten Mal zählt meine Stimme wirklich"
17.02.2025, 16:45 Uhr Artikel anhören
Maria Rudz will eine Partei wählen, die sich "aktiv für ein demokratisches Belarus einsetzt und die Ukraine unterstützt".
(Foto: privat)
Mit der anstehenden Bundestagswahl steht für viele Menschen, die kürzlich eingebürgert wurden, eine neue Möglichkeit im Raum: Zum ersten Mal dürfen sie in Deutschland wählen. In der politischen Diskussion wird häufig die Sorge geäußert, dass die Lockerung des Einbürgerungsrechts die Bedeutung des deutschen Passes schwächen könnte - dass er zur "Ramschware" wird, wie die Union es formuliert hat. Die Interview-Serie "Zweite Heimat, erste Wahl" geht dieser Frage nach. Wir sprechen mit den neuen Staatsbürgern: Welche politischen Präferenzen haben sie? Welche Partei würden sie wählen, wie sehen sie ihre Rolle in der deutschen Gesellschaft? Heute mit: Maria Rudz.
Name: Maria Rudz
Alter: 34
Herkunftsland: Minsk, Belarus
Wohnort: Berlin
ntv.de: Wie lange leben Sie in Deutschland?
Maria Rudz: Ich lebe seit 2017 in Deutschland und seit 2019 in Berlin.
Wie kamen Sie nach Deutschland?
Ich bin 2015 für ein Freiwilliges Ökologisches Jahr nach Deutschland gekommen, um als Freiwillige in einer Umweltjugendherberge in Bayern zu arbeiten. Danach war ich ein Jahr zurück in Minsk. 2017 kam ich dann wieder nach Deutschland für mein Masterstudium in "Bildung für nachhaltige Entwicklung" in Eichstätt. Und so bin ich dann auch letztendlich geblieben. Nach Berlin bin ich ursprünglich für das Internationale Parlamentsstipendium des Deutschen Bundestags gekommen. Danach habe ich eine Stelle in einem Berliner Verein gefunden und später noch ein weiteres halbes Jahr im Abgeordnetenbüro eines Abgeordneten der Linken gearbeitet.
Was machen Sie beruflich?
Ich bin Zweite Vorsitzende der Belarusischen Gemeinschaft Razam, einem Verein, der 2020 von Belarussen im Exil gegründet wurde. Ich bin hier hauptamtlich tätig und koordiniere ein Projekt zur Unterstützung der belarussischen Zivilgesellschaft im Exil.
Wann wurden Sie eingebürgert?
Ganz frisch, Ende Dezember 2024.
Warum haben Sie entschieden, sich einbürgern zu lassen?
Die Situation für Belarussen im Exil und generell im Ausland ist jetzt ganz speziell. Seit Herbst 2023 kann man keinen neuen belarussischen Pass mehr in Konsulaten oder Botschaften beantragen. Man muss dafür nach Belarus reisen, und das bringt viele in Gefahr, die sich gegen Lukaschenko engagiert haben oder weiterhin engagieren. Mein Pass läuft im Mai 2025 ab. Ohne zweite Staatsbürgerschaft wäre ich in einer sehr schwierigen Situation und hätte keine gültigen Ausweispapiere, also war die deutsche Staatsbürgerschaft für mich essenziell.
Behalten Sie Ihre belarussische Staatsangehörigkeit?
Ja. Einerseits ist es mir wichtig, weiterhin belarussische Staatsbürgerin zu bleiben, auch wenn ich überhaupt nicht unterstütze, was im Land gerade passiert. Ich hoffe auf einen demokratischen Wandel und engagiere mich aktiv dafür. Zweitens ist es momentan sehr schwierig, aus der belarussischen Staatsbürgerschaft auszutreten - dafür müsste ich nach Belarus reisen, und das kommt für mich nicht infrage.
Fühlen Sie sich deutsch?
Schwierige Frage. Ich spreche Deutsch, arbeite in deutschen Organisationen, bin ganz gut integriert, habe viele deutsche Freunde. Aber ich würde nicht sagen, dass ich mit dem deutschen Pass über Nacht deutsch geworden bin. Ich habe eine starke belarussische Identität und werde sie auch behalten.
Wie fühlt es sich an, zum ersten Mal in Deutschland wählen zu dürfen?
Das ist für mich die erste freie, demokratische Wahl überhaupt, an der ich teilnehmen werde. In Belarus war das nie möglich. Ich bin stolz und ein bisschen aufgeregt, weil meine Stimme diesmal endlich etwas zählt. Ich verfolge die politischen Debatten in Deutschland und finde es sehr wichtig, zur Wahl zu gehen und eine demokratische Partei zu wählen. Ich möchte auch sehr gerne die Leserinnen und Leser ermutigen, ihr Wahlrecht zu nutzen und ihre Stimme abzugeben. Dieses Privileg muss man nutzen und bewahren.
Welche Partei wollen Sie wählen?
Das behalte ich für mich. Aber es wird eine demokratische Partei sein. Ich werde auf jeden Fall darauf achten, welche Partei sich aktiv für ein demokratisches Belarus einsetzt und die Ukraine unterstützt. Es ist wichtig für die ganze Region, dass die Ukraine in diesem Krieg bestehen kann. Ich komme aus dem Umweltschutzbereich, also sind auch Nachhaltigkeit und Klimaschutz für mich wichtig. Genauso wie Frauenrechte und Inklusion - besonders mit Blick auf die Migrationsdebatte.
Haben Sie vor, an den Wahlen in Belarus teilzunehmen, wenn dort zum nächsten Mal gewählt wird?
Ja, auf jeden Fall - bei den nächsten freien und demokratischen Wahlen in Belarus bin ich dabei.
Was läuft in Belarus besser als in Deutschland?
Belarus ist kleiner und hat weniger Bevölkerung als Deutschland, vielleicht funktionieren deshalb manche Dinge besser. Zum Beispiel der Bahnverkehr - es gibt nicht so viele Züge, dafür sind sie pünktlich. Oder die Digitalisierung - da ist Belarus Deutschland ein bisschen voraus. Aber in Sachen Demokratie ist Belarus kein gutes Beispiel.
Was stört Sie in Deutschland? Welche Veränderungen wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir mehr Toleranz und mehr Zusammenhalt, weniger Hassreden. Besonders gegen bestimmte Gruppen wie Menschen mit Migrationshintergrund, die LGBTQ+-Community oder Frauen. Ich hoffe sehr, dass die Entwicklungen in den USA und dem Rest der Welt die deutsche Demokratie nicht stören, sondern sie nur verstärken werden.
Was darf sich in Deutschland nicht ändern, nicht verloren gehen?
Die Demokratie müssen wir behalten. Aber dafür braucht es aktive Menschen - das passiert nicht von allein.
Mit Maria Rudz sprach Uladzimir Zhyhachou
Quelle: ntv.de