Politik

Zweite Heimat, erste Wahl Deutsch-Syrerin: "Die Grünen haben da ein bisschen verkackt"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Lubna Al Aswad kam als Kind mit ihrer Familie nach Deutschland. Heute studiert sie Jura in Hannover.

Lubna Al Aswad kam als Kind mit ihrer Familie nach Deutschland. Heute studiert sie Jura in Hannover.

(Foto: privat)

Mit der anstehenden Bundestagswahl steht für viele Menschen, die kürzlich eingebürgert wurden, eine neue Möglichkeit im Raum: Zum ersten Mal dürfen sie in Deutschland wählen. In der politischen Diskussion wird häufig die Sorge geäußert, dass die Lockerung des Einbürgerungsrechts die Bedeutung des deutschen Passes schwächen könnte - dass er zur "Ramschware" wird, wie die Union es formuliert hat. Die Interview-Serie "Zweite Heimat, erste Wahl" geht dieser Frage nach. Wir sprechen mit den neuen Staatsbürgern: Welche politischen Präferenzen haben sie? Welche Partei würden sie wählen, wie sehen sie ihre Rolle in der deutschen Gesellschaft? Heute mit: Lubna Al Aswad.

Name: Lubna Al Aswad
Alter: 22 Jahre
Herkunftsland: Syrien
Wohnort: Hannover

ntv.de: Wie lange leben Sie in Deutschland?
Lubna Al Aswad: Seit 2015, im Sommer werden es zehn Jahre sein.

Wie kamen Sie nach Deutschland?

Ich bin 2015 mit meiner Familie nach Deutschland gekommen, aber unsere Flucht begann schon viel früher. Wir lebten zunächst drei Jahre in der Türkei, nachdem wir aus Syrien geflüchtet waren. Von dort aus haben wir uns an einem Aufnahmeprogramm für Flüchtlinge beworben. Es gab damals die Möglichkeit, ein Visum zu bekommen, und unser Asyl wurde beantragt. So sind wir legal nach Deutschland gekommen - mit einem Flugzeug und einem Schengenvisum.

Als wir ankamen, wurden wir in ein kleines Dorf in der Region Hannover zugeteilt. Dort bin ich zur Schule gegangen. Heute wohne ich in Hannover, aber meine Eltern leben immer noch im selben Dorf. Sie haben sich gut eingelebt, arbeiten dort und fühlen sich wohl, es ist ja ihr Zuhause. Ich habe zwei Brüder und zwei Schwestern. Meine älteren Geschwister sind längst ausgezogen, und meine jüngere Schwester macht gerade ein Auslandsjahr in Italien. Wenn sie zurückkommt, wird sie wahrscheinlich wieder bei unseren Eltern wohnen.

Mehr zum Thema

Was machen Sie beruflich?

Ich studiere Jura an der Leibniz Universität Hannover, bin im dritten Semester. Neben dem Studium bin ich auch politisch aktiv. Während meiner Schulzeit war ich Mitglied im Jugendparlament in Pattensen, einem kleinen Ort in Niedersachsen. Dort konnte ich mich das erste Mal aktiv an politischen Diskussionen beteiligen, was mir sehr viel bedeutet hat. Seitdem ich in Hannover lebe, interessiere ich mich mehr für internationale Themen wie den Nahost-Konflikt und natürlich Syrien. Zusammen mit anderen Syrerinnen und Syrern, die in Deutschland leben, habe ich das Netzwerk "Change for Syria" aufgebaut. Unser Ziel ist es, Probleme von syrisch-deutschen Bürgern darzustellen und politisch zu vermitteln.

Wann wurden Sie eingebürgert?

Im Mai 2024. Ich habe den Antrag im März gestellt und hatte bereits nach zwei Monaten meine Einbürgerungsurkunde in der Hand. Ich war wirklich überrascht, wie reibungslos alles verlief.

Warum haben Sie entschieden, sich einbürgern zu lassen?

Es gab viele Gründe. Zum einen habe ich fast die Hälfte meines Lebens in Deutschland verbracht. Und das war die prägendste Zeit - hier bin ich zur Schule gegangen, habe mich politisch engagiert und meine Meinung gebildet. Es fühlte sich nur richtig an, diese Verbindung auch offiziell zu machen. Ich wollte auch wählen dürfen, eine Stimme haben.


Ein weiterer Grund war mein Flüchtlingspass, den ich bisher hatte. Damit waren meine Möglichkeiten begrenzt. Er konnte auch jederzeit entzogen werden. Mit dem deutschen Pass fühle ich mich sicherer. Außerdem möchte ich meine Verwandten, die außerhalb Europas leben, die ich zum Teil seit 14 Jahren nicht gesehen habe, irgendwann wiedersehen. Der deutsche Pass ermöglicht es mir.

Behalten Sie Ihre syrische Staatsangehörigkeit?

Ja, die syrische Staatsangehörigkeit ist mir genauso wichtig wie die deutsche. Sie gehört zu meiner Identität, zu meiner Kultur, meiner Sprache und meiner Geschichte. Während der Assad-Diktatur wollte ich sie nicht behalten. Für mich stand sie damals für eine Regierung, die ihr eigenes Volk unterdrückt, Menschenleben zerstört und meine Familie dazu gezwungen hat, alles aufzugeben und zu flüchten. Doch nach dem Sturz der Regierung habe ich erkannt, dass die Staatsangehörigkeit für mein Volk, meine Heimat und die Kultur steht, die mich geprägt hat, und nicht für die Regierung.

Welche Bedeutung hat der deutsche Pass für Sie?

Der deutsche Pass bedeutet Sicherheit und Zugehörigkeit. Er gibt mir das Gefühl, dass ich hier vollständig anerkannt werde. Es ist ein großes Privileg, die gleichen Rechte wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger zu haben.

Fühlen Sie sich deutsch?

Ich fühle mich sowohl deutsch als auch syrisch. Deutschland ist mein Zuhause, hier habe ich Freundschaften geschlossen, Werte übernommen und bin Teil der Gesellschaft geworden. Gleichzeitig ist Syrien ein wesentlicher Teil meiner Identität.

Lubna feiert mit ihrer Familie den Sturz des Diktators Assad im Dezember vergangenen Jahres.

Lubna feiert mit ihrer Familie den Sturz des Diktators Assad im Dezember vergangenen Jahres.

(Foto: privat)

Wie fühlt es sich an, zum ersten Mal in Deutschland wählen zu dürfen?

Die Bundestagswahlen sind für mich super wichtig, weil ich zum ersten Mal aktiv mitentscheiden kann, welche Richtung dieses Land einschlagen soll. Ich habe mich schon immer für Politik interessiert, die Wahlprogramme gelesen und mit Freundinnen darüber diskutiert, welche Partei wir gut finden oder warum bestimmte Themen wichtig sind. Aber bisher durfte ich nie selbst wählen - und jetzt endlich schon.

Wissen Sie schon, welche Partei Sie wählen werden?

Ich bin mir noch unsicher. Vor ein paar Jahren hätte ich sofort gesagt, dass ich die Grünen wähle. Sie standen für mich immer für Klimaschutz und Menschenrechte. Aber seit ihrer Zustimmung zur GEAS-Reform sehe ich sie kritischer. Dieses neue europäische Asylsystem macht es für Flüchtlinge viel schwerer, Schutz in Europa zu bekommen. Es ist, als ob man einen Zaun um sich zieht und sagt: "Alle, die draußen sind, bleiben draußen." Und die Grünen, die sich immer für Menschen in Not eingesetzt haben, unterstützen plötzlich etwas, das dazu führt, dass mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken. Das ist einfach unmenschlich. Und es hat mich enttäuscht - ich will das nicht so umgangssprachlich sagen, aber ja, sie haben da ein bisschen verkackt.


Welche Parteien kommen für Sie infrage?

Rechte Parteien wie die AfD, CDU und auch das BSW will ich nicht wählen. Auch wenn das BSW nicht offiziell als rechts gilt, sehe ich sie so. Diese Parteien stehen einfach nicht für meine Werte. Die SPD hat zwar immer solide Arbeit geleistet, aber sie wirkt auf mich zu veraltet. Sie macht nichts Neues.

Die Grünen, die SPD und die Linke sind die drei Parteien, die für mich infrage kommen. Sie haben Aspekte, die ich gut finde, aber keine von ihnen repräsentiert mich vollständig. Themen wie Asylpolitik, soziale Gerechtigkeit und der Umgang mit dem Nahost-Konflikt sind mir sehr wichtig. Aber ich finde keine Partei, die mich in allen Bereichen überzeugt. Es fühlt sich an, als müsste ich mich entscheiden, welches Thema mir am wichtigsten ist, weil keine Partei alles abdeckt. Trotzdem haben diese drei Parteien zumindest gute Ansätze. Aber ich finde, sie könnten alle viel, viel besser werden.

Werden Sie auch an Wahlen in Syrien teilnehmen?

Ja, ich möchte unbedingt an den Wahlen in Syrien teilnehmen. Es wäre ein wichtiger Schritt, um die Zukunft des Landes mitzugestalten, besonders jetzt, wo die politische Situation im Wandel ist.

Was läuft in Syrien besser als in Deutschland?

Schwer zu sagen, weil ich Syrien als Kind vor 14 Jahren verlassen habe. Ich kenne auch keine "echten" Syrer, sondern nur die, die im Ausland leben. Aber was ich bewundere, ist die Stärke und der Optimismus unseres Volkes. Die Syrerinnen und Syrer haben in den letzten Jahren so viel erlitten - trotzdem schaffen sie es immer wieder, das Beste aus sich zu machen. Das sieht man auch in Deutschland. Viele Syrerinnen und Syrer arbeiten hart, um voranzukommen, und sind inzwischen ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Man findet sie in allen möglichen Berufen - viele arbeiten als Ärztinnen und Ärzte oder in anderen wichtigen Bereichen. Wir sind ein Volk, das nicht aufgibt. Trotz allem, was passiert ist, gibt es diesen starken Willen, sich zu integrieren, zu lernen und neu anzufangen.

Was stört Sie in Deutschland? Welche Veränderungen wünschen Sie sich?

Mich stört der Rechtsruck in Deutschland, besonders wie die AfD immer mehr gehypt wird und Zustimmung bekommt. Rechtsextreme Ideen sind keine Lösung für unsere Probleme, und Flüchtlinge als Sündenböcke darzustellen, macht es nur schlimmer. Ich wünsche mir mehr Verständnis für Migranten und Flüchtlinge, denn niemand sucht es sich aus, Flüchtling zu werden. Die Lösung für viele Probleme in Deutschland ist es, eine offenere und innovativere Politik zu gestalten, und nicht stattdessen Abschiebungen durchzuführen oder Hetze zu verbreiten.


Was mich auch stört, ist die Einseitigkeit in den Medien. Besonders beim Gaza-Krieg oder anderen Konflikten wie dem Ukraine-Krieg fehlt oft Neutralität. Ich wünsche mir unabhängigen Journalismus, der Fakten liefert, ohne eine bestimmte Meinung oder Agenda. Wenn wir für den Rundfunk Gebühren zahlen, dann muss der Journalismus neutral sein und den Menschen Fakten so vermitteln, dass sie sich eine eigene Meinung bilden können.

Was darf sich in Deutschland nicht ändern, nicht verloren gehen?

Das Grundgesetz. Besonders Artikel 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Dieser Satz bedeutet mir unglaublich viel. Solange wir das Grundgesetz bewahren und anwenden, können alle Menschen in Deutschland ein würdevolles und gerechtes Leben führen. Für mich hat die Würde des Menschen eine besondere Bedeutung, weil ich erlebt habe, was es heißt, ohne sie zu leben. Meine Eltern haben in Syrien alles aufgegeben - ihr Zuhause, ihre Arbeit, ihren Status - um ihre Würde zu bewahren. Mein Vater war in der Opposition, weil er unter der Regierung keine Würde hatte.

Das Grundgesetz erinnert mich daran, warum meine Familie für die Revolution in Syrien aufgestanden ist: für die Würde des Menschen. Und das gibt es hier. Das darf sich nie ändern. Es muss für immer so bleiben, dass die Würde des Menschen über allem steht.

Mit Lubna Al Aswad sprach Uladzimir Zhyhachou

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen