Zweite Heimat, erste Wahl Deutsch-Bosnier: "Ich bin CDU-Wähler, obwohl ich Moslem bin"
15.02.2025, 15:58 Uhr Artikel anhören
Ernad Deni Comaga "liebt" Deutschland: "Es ist für mich genauso Heimat wie Bosnien, tatsächlich mittlerweile auch mehr."
(Foto: privat)
Mit der anstehenden Bundestagswahl steht für viele Menschen, die kürzlich eingebürgert wurden, eine neue Möglichkeit im Raum: Zum ersten Mal dürfen sie in Deutschland wählen. In der politischen Diskussion wird häufig die Sorge geäußert, dass die Lockerung des Einbürgerungsrechts die Bedeutung des deutschen Passes schwächen könnte - dass er zur "Ramschware" wird, wie die Union es formuliert hat. Die Interview-Serie "Zweite Heimat, erste Wahl" geht dieser Frage nach. Wir sprechen mit den neuen Staatsbürgern: Welche politischen Präferenzen haben sie? Welche Partei würden sie wählen, wie sehen sie ihre Rolle in der deutschen Gesellschaft? Heute mit: Ernad Deni Comaga.
Name: Ernad Deni Comaga
Alter: 38 Jahre
Herkunftsland: Bosnien und Herzegowina, Sarajevo
Wohnort: "schönes, beschauliches Idstein" bei Frankfurt am Main
ntv.de: Wie lange leben Sie schon in Deutschland?
Ernad Deni Comaga: Seit 1993, aber mit Unterbrechungen. Ich habe mittlerweile mein halbes Leben in Deutschland verbracht. Bevor ich nach Idstein kam, habe ich fast überall in Deutschland gelebt: Stuttgart, Berlin, Heidelberg, Frankfurt, Eschborn, auch eine kurze Zeit in München.
Wie kamen Sie nach Deutschland?
Wir waren Kriegsflüchtlinge. Mein Vater hatte durch seine Arbeit als Sänger oft Auftritte in Deutschland und ein Arbeitsverhältnis hier. Als der Krieg in Sarajevo ausbrach, kam er zurück, um uns zu holen, dann konnten wir aber circa ein Jahr nicht raus, weil die Stadt belagert war. Wir sind dann einen sehr riskanten Weg gegangen, sind über feindliche Linien durch, um aus der Belagerung auszubrechen. Wir waren auch unter Scharfschützenfeuer.
Im September 1993, ich war sieben, kamen wir in Deutschland an und bis August 2003 haben wir in Stuttgart gelebt. Da bin ich zur Schule gegangen und habe ein soziales Umfeld aufgebaut. 2003 entschloss sich die Familie, wieder nach Bosnien zurückzugehen. Ich war dort von 2003 bis 2015, mit einer Unterbrechung für ein Austauschstudium in Deutschland zwischen 2011 und 2012. Seit 2015 bin ich wieder hier in Deutschland.
Was machen Sie beruflich?
Ich bin studierter Jurist, aber kein Rechtsanwalt. Ich habe zwei Masterstudiengänge im Bereich Rechtswissenschaften an den Universitäten Heidelberg und Goethe gemacht, davon einen speziell im Legal Tech und Vergaberecht. Seit Kurzem bin ich selbstständig und berate Unternehmen, wie sie an staatliche Aufträge kommen. Ich manage diesen ganzen Prozess bis idealerweise Zuschlagserteilung. Auf der anderen Seite unterstütze ich auch den Staat als Vergabeberater und helfe, Vergaben rechtskonform, wirtschaftlich und sauber durchzuführen und so Steuergelder zu sparen. Auf der anderen Seite unterstütze ich auch den Staat, um alles rechtskonform und sauber durchzuführen und so Steuergelder zu sparen.
Wann wurden Sie eingebürgert?
Ich wurde im August letzten Jahres eingebürgert, nach mehr als 19 Jahren Aufenthalt in Deutschland. Meinen Antrag hatte ich 2019 gestellt - er war fast sechs Jahre in Bearbeitung. Ich muss aber auch sagen, dass ich die letzten zwei Jahre schon die Einbürgerungszusicherung hatte. Ich habe dann noch auf die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft gewartet, um auch die bosnische zu behalten.
Sie behalten Ihre bosnische Staatsangehörigkeit?
Ursprünglich wollte ich die bosnische Staatsbürgerschaft abgeben, aber es war für mich ein ethischer, ein moralischer Kampf. Ich gehöre zu einem Volk, das 1995 einen Völkermord ertragen hat, mitten in Europa. Für diese Staatsbürgerschaft, für ein unabhängiges Bosnien und Herzegowina, haben so viele Menschen ihr Leben gelassen. Ich war als Kind eineinhalb Jahre in dieser belagerten Stadt, hungrig, unter Granaten, unter Scharfschützenfeuer. Meine ganze Familie hat für diesen Staat gekämpft. Das konnte ich nicht so einfach mit meinem Gewissen vereinbaren. Deswegen habe ich dann gedacht, wenn jetzt sowieso das neue Gesetz kommt, dann warte ich lieber ein bisschen ab und habe dann die doppelte Staatsbürgerschaft.
Warum haben Sie entschieden, sich einbürgern zu lassen?
Ich fühle mich hier heimisch. Ich zahle hier Steuern. Ich liebe Deutschland - es ist für mich genauso Heimat wie Bosnien, tatsächlich mittlerweile auch mehr. Jedes Mal entdecke ich auch etwas Neues. Was ich an Deutschland besonders mag, ist diese Vielfältigkeit - nicht nur bezüglich der Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch die Vielfalt der Natur und der Kulturen. Wenn man in den Nordosten fährt, erfährt man eine ganz andere Kultur als in Baden-Württemberg oder Bayern.
Fühlen Sie sich deutsch?
Ich sage oft, dass Deutsch meine zweite Fremdsprache ist - weil die erste Schwäbisch war! Als ich in meiner Studienzeit mal ein paar Bier intus hatte, konnte man mich außerhalb von Schwaben fast nicht mehr verstehen. Ich bin sehr geprägt von Deutschland, aber noch mehr von Baden-Württemberg, also "schaffe, schaffe, Häusle baue". Ich bin wirklich sehr deutsch geworden - wenn jemand, der hier geboren ist, zu mir sagt "Du bist so ein Alman", dann weiß ich, dass ich es geschafft habe. Ganz ehrlich, ich bin inzwischen eher deutsch als bosnisch.
Aber was ist eigentlich deutsch? Das kann keiner so richtig beantworten. Pünktlichkeit? Ordentlichkeit? Ehrlich gesagt: In Bosnien ist das oft strenger. Dort musst du um 08.00 Uhr voll funktionieren, hier ist es gechillter. Ich entdecke immer mehr Bosnien in Deutschland und mehr Deutschland in Bosnien.
Wie fühlt es sich an, zum ersten Mal in Deutschland wählen zu dürfen?
Es fühlt sich natürlich an. Für mich war es unnatürlich, in einem Land zu leben, in dem man seine Familie aufgebaut hat, aber kein demokratisches Mitspracherecht hatte. Ich werde auf jeden Fall mein Wahlrecht wahrnehmen, denn ich lebe hier und will mitbestimmen, wohin dieses Land in Zukunft steuert.
Meine Kinder werden wahrscheinlich auch hier bleiben, die sehen Bosnien nur im Urlaub. Und ich bin nicht jemand, der seine Kinder so erzieht, dass er ihnen sagt: "Eure Heimat ist Bosnien, wir sind hier nur Gäste." Denn es ist nicht so! Meine Kinder sollen wissen, was ihr Background ist, aber sie sollen auch wissen, was vor ihnen liegt - und das ist Deutschland. Ich werde sie so erziehen, dass niemand das Recht hat, ihnen Deutschland wegzunehmen. Ich lasse mir Deutschland von keinem wegnehmen, egal wie sehr er auch kämpft. Ich werde auch dafür kämpfen, dass es immer noch mein Deutschland bleibt - und das Deutschland von uns allen.
Welche Partei wollen Sie wählen?
Ich bin CDU-Wähler, obwohl ich Moslem bin. Die CDU hat den christlichen Hintergrund, aber ich sehe in ihr vor allem den humanistischen Gedanken. Ich bin zwar kein sehr praktizierender, aber von den Werten her ein gläubiger Moslem, und die christlichen Werte der CDU - Nächstenliebe, Respekt, das Miteinander - passen zu 95 Prozent zu meinen religiösen Ansichten. Die CDU hat das auch in der Vergangenheit bewiesen: Helmut Kohl hat über 250.000 bosnische Flüchtlinge aufgenommen, kein anderes Land hat so viel für sie getan. Und dann die Flüchtlingskrise 2015 - ob Merkel richtig oder falsch gehandelt hat, sei dahingestellt. Aber was man nie vergessen darf: Da kam der humanistische Gedanke durch. Wir müssen anderen, die in Not sind, helfen. Das sind für mich die größten Werte.
Natürlich gibt es auch Punkte, wo ich nicht mit der CDU übereinstimme. Die doppelte Staatsbürgerschaft zum Beispiel ist etwas, was in der globalisierten Welt nicht zur Debatte stehen müsste. Was aber das Thema schnelle Einbürgerung angeht, da bin ich eher der Auffassung der CDU: Man kann nach drei Jahren einfach nicht so gut integriert sein. Es braucht eine gewisse Zeit. Dass man für sich selbst versteht: Ist es jetzt meine Heimat oder nicht? Und einfach so den Pass zu geben, mit der Hoffnung, dass man sich hier wohlfühlt, ist meines Erachtens keine Lösung.
Haben Sie vor, an den Wahlen in Bosnien teilzunehmen?
Vor kurzem waren Lokalwahlen und ich habe nicht teilgenommen. Ich finde, als jemand, der nicht lokal präsent ist, sollte ich keinen Einfluss nehmen. Was Wahlen für Staatsoberhäupter angeht, da bin ich noch unsicher. Bosnien und Herzegowina ist ein sehr fragiles Land, und ich habe ein Interesse daran, dass dieser Staat erhalten bleibt und nicht zerstückelt wird. Deswegen werde ich da wohl an den Wahlen teilnehmen.
Was läuft in Bosnien besser als in Deutschland?
In Bosnien sind die Steuern viel niedriger - wenn du selbstständig bist, zahlst du nur zehn Prozent Einkommenssteuer. Die Bürokratie ist etwas einfacher gestrickt als in Deutschland.
Was stört Sie in Deutschland? Welche Veränderungen wünschen Sie sich?
Wir müssen als Gesellschaft pragmatischer werden. Wir haben zu viel Bürokratie - zum Beispiel gibt es keinen günstigen Wohnungsbau, weil 30 Prozent der Kosten allein für Planung, Gutachten und Ähnliches anfallen. Oder wenn eine Behörde etwas Wichtiges beschaffen will - sagen wir ein neues Feuerwehrfahrzeug -, dauert es oft fast ein Jahr, bis es tatsächlich geliefert wird. Weil wir im Vorfeld etliche von Hürden, Vorgaben, Prozessen und Gutachten haben, bevor wir beschaffen können. Aber das Feuer kann ja morgen ausbrechen.
Wir haben so viel Innovationskraft, die aber nicht in Deutschland, sondern in Amerika oder anderswo umgesetzt wird, das finde ich wirklich traurig. Nach dem Motto: "Du hast zwar eine sehr gute deutsche KI-Lösung mit großem Potenzial, aber hey, das verstößt gegen dies, das und die Datenschutzverordnung." Mein lieber Scholli, dann ändere die Datenschutzverordnung, damit hier ein Milliardenunternehmen entstehen kann! Auch hier müssen wir wirtschaftlich pragmatischer und marktorientierter werden!
Was darf sich in Deutschland nicht ändern, nicht verloren gehen?
Die Demokratie. Das ist das größte Gut, das wir in Deutschland haben. Wir müssen sie schützen und alles tun, damit sie bewahrt bleibt. Ansonsten - wir sind eine sehr offene Gesellschaft. Viele sagen, in Deutschland sei es schwer, Freunde zu finden, die Menschen seien kalt und so weiter. Tatsächlich sind die Menschen hier etwas zurückhaltender, aber sobald man Anschluss gefunden hat, sind sie sehr warm, offen und hilfsbereit. Das ist etwas, das wir als Gesellschaft unbedingt bewahren müssen. Allgemein sehe ich uns - Krisen hin oder her, die gab es immer und überall -, aber ich sehe uns auf einem guten Weg, als Land und als Gesellschaft. Wir sind bereit für die Zukunft.
Mit Ernad Deni Comaga sprach Uladzimir Zhyhachou
Quelle: ntv.de