Politik

SPD für gerechtes Heizungsgesetz "Die 80-Jahre-Grenze ist nicht haltbar"

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"Statt Stimmungsmache ist Sacharbeit gefragt", sagt Nina Scheer.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

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Das geplante Gebäudeenergiegesetz stößt auf viel Kritik, weil die Abkehr von Öl- und Gasheizungen mit hohen Kosten für Eigentümer einhergeht. Für die SPD-Fraktion verhandelt die Abgeordnete Nina Scheer das Gesetz mit aus. Im Interview mit ntv.de erklärt Scheer, wie die Sozialdemokraten allen Betroffenen den Umstieg auf Erneuerbare Energien ermöglichen wollen. Scheer, Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin ihrer Fraktion, stellt die Ausnahmeregelung für über 80-Jährige in Frage und will weniger Konzentration allein auf die Wärmepumpe. Am Heizungstausch führe aber auch angesichts der zu erwartenden Preissteigerungen für Öl und Gas kein Weg vorbei.

ntv.de: Die Union hat am Donnerstag eine Unterschriftenkampagne gestartet gegen das Gebäudeenergiegesetz. Steigt der Druck, dieses Heizungsgesetz ausreichend sozial gerecht auszugestalten?

Nina Scheer: Die Unterschriftenkampagne schürt Ängste. Das ist angesichts der gesellschaftlichen Aufgabe, auch im Wärmesektor so schnell wie möglich auf Erneuerbare Energien umzusteigen, unverantwortlich. Die Preisentwicklungen zeigen: Das größte Preisrisiko ist es für die Menschen, weiter von fossilen Energien abhängig zu sein. Das wollen wir mit gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Ermöglichung der Wärmewende ändern. Das parlamentarische Verfahren steht noch bevor. Statt Stimmungsmache ist Sacharbeit gefragt.

Droht das Gebäudeenergiegesetz zum Kulminationspunkt zu werden, an dem die Debatte kippt und die Klimaziele aus Angst vor individueller Überforderung mehrheitlich nicht mehr mitgetragen werden?

Wer von politischer Seite in Prognosen spricht, läuft Gefahr, deren Eintritt herbeigeredet zu haben. Deswegen konzentriere ich mich auch in der Kommunikation auf unsere Ziele und Forderungen. Unser sozialdemokratisches Ziel ist ein Ermöglichungsgesetz, damit die Menschen so schnell wie möglich von fossilen Energien wegkommen. Die Ermöglichung steht für uns im Mittelpunkt.

Mehrere Bundesländer, auch unter SPD-Führung, fordern die geplante Ausnahmeregelung für über 80-Jährige auf alle Rentner zu erweitern. Wie blicken Sie darauf?

Die 80-Jahre-Grenze sieht die SPD-Fraktion als nicht haltbar, da sie nicht gerecht ist. Der Umstieg auf Erneuerbare Energien muss etwa auch 79-Jährigen ökonomisch ermöglicht werden. Und was ist beispielsweise mit schon überschriebenen Immobilien, in denen ältere Menschen lebenslanges Wohnrecht genießen?

Obwohl das Gesetz bis zum Juli verabschiedet sein soll, gibt es noch so viele offene Fragen?

Ja, es gibt viele zu klärende Fragen aufgrund der vielen unterschiedlichen Anwendungssituationen, bei denen die Breite an Erneuerbaren Energien und Nutzungsformen zur Anwendung kommen soll - von Holz, über Abwärme, die Wärmepumpe, bis hin zum Wasserstoff. Wichtig ist zudem die Verzahnung mit der kommunalen Wärmewende. Wo kommunale Wärmeversorger Fernwärmeanschlüsse planen oder andere Angebote mit Erneuerbaren Energien vorbereiten, sollen die Menschen dies nutzen können. Auch solche Fragen werden wir im Parlament neben der gerechten Ausgestaltung von Förderungen zu klären haben.

Was heißt in diesem Zusammenhang gerecht?

Es muss niemand Geld vom Staat bekommen, der oder die ohnehin so wohlhabend ist, dass er oder sie ohne Weiteres auf erneuerbare Systeme umsteigen kann - zumal ja der Umstieg auf Erneuerbare Energien insgesamt ohnehin auch ökonomisch entlastet. Gerecht heißt an dieser Stelle, dass der Schritt des Umstiegs auf Erneuerbare Energien den Menschen gleichermaßen ökonomisch ermöglicht werden muss, wenn sie dies allein nicht leisten können. Auch Mieterinnen und Mieter wollen wir im Bundestag verstärkt in den Fokus nehmen, damit hier keine Überforderung entsteht, etwa bei der Modernisierungsumlage.

Sie haben die kommunale Wärmeplanung angesprochen: Sollte die nicht erst einmal bundesweit abgeschlossen sein, bevor das Verbot neuer Öl- und Gasheizungen greift? Statt Anfang 2024 stehen ja auch die Folgejahre 2025 bis 2027 in der Debatte.

Wir wären weiter, wenn es in den früheren Jahren schon klare Rahmenbedingungen von Bund und Ländern gegeben hätte und wenn für die Kommunen sowie generell beim sektorübergreifenden Ausbau Erneuerbarer Energien oder etwa der Umstellung des Gasnetzes auf Wasserstoff nicht so viele Hemmnisse aufgebaut worden wären. Wir können nicht aufholen, was in den letzten Jahren versäumt wurde, aber wir können weitere Verzögerungen vermeiden und beschleunigen. Die Verzahnung mit der kommunalen Wärmewende ist in Teilen schon im Gesetzentwurf abgebildet und muss nun konsequent weiterentwickelt werden.

Die SPD ist in den Kommunen stärker verankert als die Grünen, aber dadurch auch eng verbandelt mit den kommunalen Wärmeversorgern. Die laufen zum Teil Sturm gegen das Heizungsgesetz, weil ihre Gasnetze obsolet werden, mit denen sie bislang gut verdient haben. Was bekommen Sie als SPD-Abgeordnete von den eigenen Leuten aus der Fläche zu hören?

Unabhängig von der Parteizugehörigkeit spiegeln die Einschätzungen die Unterschiede vor Ort, denen ein Bundesgesetz gerecht werden muss. Gasnetze, die künftig etwa mit einer Beschichtung auch für Wasserstoff genutzt werden könnten, sollten nicht vorschnell aufgegeben werden, nur weil eine andere theoretische Heizungsform rein physikalisch effizienter erscheint. Denn damit würde ein Stück bereits vorhandene Versorgungsstruktur aufgegeben, ohne dass die Alternativen ausgebaut oder sicher für alle Beteiligten nutzbar sind. Teilweise ist die Energiewende schon in vollem Gang, etwa wenn kleinere Ortschaften im Umkreis von mehreren Kilometern mit einer Biogasanlage versorgt werden und weitere Neubauten versorgen können. Dafür braucht es aber Technologie-Offenheit auf Basis Erneuerbarer Energien sowie von Fernwärme. Verfehlt wäre eine Effizienz-Brille, die zu einer technologischen Verengung etwa auf die Wärmepumpe führt, da dies in der Breite und örtlichen Verschiedenheit die Energiewende blockieren würde. Auch Holz und Bioenergie gehören zum Beispiel dazu. Es kommt auf den Mix an, auch um regionale Unterschiede besser abzubilden.

Der Gesetzentwurf setzt zu einseitig auf Wärmepumpen?

Wenn Wohnungsbauunternehmen eingebaute Wärmepumpen nicht ans Netz nehmen können, weil die Strominfrastruktur das nicht hergibt, müssen wir das ernst nehmen. Einseitige Festlegungen auf bestimmte Technologien treiben zudem deren Preise hoch. Technologische Vielfalt hilft, die Wärmewende zu beschleunigen und ökonomisch zu bewältigen.

Trägt Robert Habeck die ideologische Brille einer all electric world, also einer Transformation, die einseitig auf grünen Strom und Wasserstoff setzt?

Ich möchte das nicht diskreditierend bewerten, sondern aktiv auf den breiten Mix an Erneuerbaren Möglichkeiten hinwirken. Man sollte nicht den Fehler begehen, nur auf die physikalische Effizienz einer Technologie zu schauen und daraus etwas abzuleiten. Es geht um die Gesamteffektivität - unter Berücksichtigung von Infrastruktur, Akteuren, verfügbaren Technologien und der regionalen Vielfalt. Eine dichtbesiedelte Struktur mit großen Wohnkomplexen ist etwas anderes als weit voneinander entfernt stehende Einzelhäuser.

Noch einmal zurück zu den Fördermechanismen: Ein Kritikpunkt an der hohen Altersgrenze ist auch, dass etwa Rentner schwerer an attraktive Kredite kommen.

Es gibt die Möglichkeit über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die KfW, an zinsgünstige oder sogar zinslose Kredite zu kommen. Wir müssen das politisch so gestalten, dass es für jede Lebenssituation eine Lösung gibt. Das meine ich mit Ermöglichung.

Werden die Förderungen nicht nur die Anschaffung etwa einer Wärmepumpe abdecken, sondern auch Kosten für die Umrüstung auf Bodenheizung oder den Einbau größerer Heizkörper?

Vor jeder Maßnahme braucht es fachkundige Beratung, was in den jeweiligen Räumlichkeiten Sinn macht. Auf dieser Basis muss der Sanierungsfahrplan entstehen, und der muss für alle finanzierbar sein. Auch hierbei wird es somit für bestimmte Fälle um vollständige Finanzierungen gehen müssen.

Es herrschen große Zweifel daran, ob die Vorgabe von 65 Prozent Erneuerbarer Energie in einem Haus mit schlechtem Dämmwert überhaupt umzusetzen sind. Sind zu hohe Sanierungskosten ein Ansatzpunkt für Härtefall-Ausnahmen?

Diese Konstellationen bildet der Gesetzentwurf jetzt schon ab. Das müssen die Betroffenen aber auch erfahren. Das Gesetz muss hier eine eindeutige Sprache sprechen. Das vergangene Jahr hat zudem gezeigt, wie drastisch auf fossilen Energien basierende Strom- und Wärmepreise die Menschen überfordern können. Wir wissen nicht, was in den nächsten Jahren kommt. Wir wissen, dass es auf Basis von Erneuerbaren Energien garantiert günstiger wird. Deswegen ist es verantwortliche, soziale und gerechte Politik, so schnell wie möglich auf Erneuerbare Energien umzusteigen und dabei den Menschen zu helfen - wenn gewollt auch in Häusern mit schlechtem Dämmwert. Denn diese bekämen bei fossilen Preissteigerungen die größten Belastungen ab.

Muss noch besser abgefedert werden, damit die Modernisierungsumlage am Ende nicht die Mieter überfordert und die Eigentümer fein raus sind?

Wir als SPD fanden es schon immer schwierig, dass Mieterinnen und Mieter über die Modernisierungsumlage im geltenden Maß zur Kasse gebeten werden können. Wenn nun im großen Stil Investitionen vorgenommen werden, droht Mieterinnen und Mietern eine weitere Überforderung. Es braucht daher Begrenzungen und Absenkungen. Zugleich müssen wir darauf achten, dass Förderungen zur Umstellung der Heizung durch die Vermieter beziehungsweise Eigentümer auch in Anspruch genommen werden, sodass die Mieterinnen und Mieter trotz Fördermöglichkeit nicht auf den steigenden Kosten fossiler Energien sitzenbleiben.


Mit Nina Scheer sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de, shu

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