Politik

Wahltalk bei Anne Will Die Grünen und das Eigentor

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Die CDU beklage Unsicherheit in der Bevölkerung, die sie selber schüre, sagt Klingbeil bei Anne Will.

Die CDU beklage Unsicherheit in der Bevölkerung, die sie selber schüre, sagt Klingbeil bei Anne Will.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs )

Die SPD geht aus der Bürgerschaftswahl in Bremen als klare Siegerin hervor, die Grünen fahren deutliche Verluste ein. Woran lag's? Wenn man die Diskussion bei "Anne Will" verfolgt, wahrscheinlich nicht nur an dem Streit um die "Brötchentaste".

Die SPD ist als Sieger aus den Bürgerschaftswahlen in Bremen hervorgegangen, die CDU ist auf dem zweiten Platz gelandet. Deutliche Verluste haben die Grünen eingefahren. Die AfD war bei den Wahlen nicht zugelassen. Das hat der rechtspopulistischen Regionalpartei Bürger in Wut genutzt, die deutliche Gewinne verzeichnet. Auch die FDP ist trotz leichter Verluste in der Bürgerschaft vertreten. SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte hat angekündigt, mit allen demokratischen Parteien über ein Regierungsbündnis zu sprechen. Bislang regiert in Bremen eine Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken, doch auch eine Zweierkoalition aus SPD und CDU wäre möglich. Bei Anne Will wird am Sonntagabend Wahlnachlese betrieben.

Dass die Grünen so schlecht weggekommen sind, könnte unter anderem an einem Vorschlag der Bremer Verkehrssenatorin gelegen haben.

Die "Brötchenwahl"

Tatsächlich gab es in Bremen und Bremerhaven in den letzten Wochen heftige Diskussionen um die "Brötchentaste" an Parkuhren. In Bremen können Autofahrer für kurze Zeit kostenlos parken, um kleine Einkäufe wie Brötchen beim Bäcker zu tätigen. Mitten im Wahlkampf hatte die grüne Verkehrssenatorin Maike Schaefer das kostenlose Kurzparken infrage gestellt und damit für heftige Diskussionen gesorgt.

"In Bremen war das eine landespolitische Wahl", versucht am Anfang der Sendung Grünen-Chefin Ricarda Lang von den Problemen der Bundespartei abzulenken. Ihrer Partei sei es deswegen nicht gelungen, ihre Kernthemen anzusprechen: Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.

Der stellvertretende Chefredakteur der "Welt", Robin Alexander, greift das Thema auf. "Bei den Grünen wirken zwei Themen in unseliger Weise ineinander", erklärt er. "Das eine ist, dass es die Grünen schlafwandlerisch schaffen, ein Thema zu finden, dass allen Leuten fürchterlich auf die Nerven geht. Die Brötchenfrage war populär, und auf die Idee zu kommen, etwas Populäres zwei Wochen vor den Wahlen anzugreifen, darauf muss man erstmal kommen." Alexander nennt das die "Funktion des Eigentors". Der eigentliche Grund für die Verluste sei aber das neue Heizungsgesetz gewesen.

Die SPD verdankt ihren Wahlsieg in Bremen vor allem Bürgermeister Andreas Bovenschulte. Da sind sich die Gäste bei Anne Will einig. So konnte die CDU nicht mit den Problemen Bildung und innere Sicherheit punkten, und darauf habe sie gesetzt, sagt der Generalsekretär der Christdemokraten, Mario Czaja. Die Politik in Berlin sei allerdings an dem guten Abschneiden der rechten Bürger in Wut Schuld. "Die Politik der Bundesregierung führt vor allem dazu, dass die Ränder gestärkt werden, weil die Menschen verunsichert sind. Und uns (der CDU) trauen noch nicht genügend Menschen zu, dass wir das in einer Bundesregierung besser machen würden. Daran müssen wir weiter arbeiten."

Der Fall Graichen

SPD-Chef Lars Klingbeil findet, dass nicht die Bundesregierung für die Unsicherheit der Menschen in Deutschland verantwortlich ist. So kritisiert er eine Unterschriftenkampagne, die die CDU in der vergangenen Woche startete. "Da wurde der Eindruck vermittelt, wir könnten die Klimawende in die Tonne treten und müssten nichts machen." Gleichzeitig habe die CDU die Diskussion über den Fall Patrick Graichen in der vergangenen Woche übertrieben und über Clanstrukturen und kriminelle Vereinigungen geredet. "Da würde ich als CDU kleinere Brötchen backen", so der SPD-Politiker.

Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen wollte seinen Trauzeugen Michael Schäfer zum Chef der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur machen. Zudem sorgen die personellen Verflechtungen seiner Familie zwischen Wirtschaftsministerium und Lobbyvereinen für Diskussionen. Journalist Robin Alexander berichtet bei Anne Will, laut Aussagen des Staatssekretärs habe es neun Bewerbungsgespräche für den Posten des Agenturchefs gegeben, Graichen habe sich mit sechs Bewerbern geduzt. An der Situation sei die CDU jedoch nicht unschuldig: Sie selber habe keine Denkfabrik wie die Grünen, bei der sich Energiefachleute profilieren konnten.

Dennoch fordern die Oppositionsparteien im Bundestag Konsequenzen. "Ich finde das hochproblematisch, was da geschehen ist", sagt zum Beispiel Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali bei Anne Will. Im Wirtschaftsministerium werden ihrer Auffassung nach Entscheidungen in kleinen Cliquen getroffen, die an der Lebensrealität vieler Menschen vorbeigehen. "Ich halte es für richtig, wenn der Staatssekretär in den Ruhestand versetzt würde."

Czaja geht noch weiter. In letzter Zeit seien die Gesetze der Bundesregierung schlecht gewesen. "Das Problem ist, dass Herr Graichen und andere überhaupt nicht mehr die Unabhängigkeit haben, ein solches Gesetz zu bearbeiten und dadurch den Klimawandel gefährden", sagt er. Gemeint hat er wohl den Kampf gegen den Klimawandel.

Die Heizungspläne der CDU

Grünen-Chefin Lang gibt zu: Im Fall Graichen sei ein Fehler gemacht worden, der nun korrigiert werde. Doch die Union wolle mit ihrer Kampagne Angst schüren, ohne selbst ein Angebot zu machen. Den Vorwurf weist Czaja zurück. Die Große Koalition habe die CO₂-Bepreisung eingeführt, die Ampelkoalition habe sie wieder abgeschafft. Die Union wolle ein Heizungsförderungsprogramm, das es bereits gegeben habe. Zudem setze sie sich für Energieoffenheit bei dem Einbau neuer Heizungen ein. "Und wir brauchen bei der Finanzierung eine soziale Staffelung. Das haben wir vorgeschlagen: 50 Prozent Grundstaffelung - und dann hin zu 80 Prozent für soziale Härtefälle."

Das wollen die Grünen im Prinzip auch. Deswegen schlägt Lang vor: "Wenn sie da auch mit am Start sind, dann können wir es ja gemeinsam umsetzen im parlamentarischen Verfahren."

Doch das könnte die aktuelle Kampagne gegen das Gesetz erschweren, die die CDU gestartet hat. Klingbeil kritisiert, dadurch entstehe bei vielen Menschen der Eindruck, man brauche keinen Klimaschutz. "Konzentrieren Sie sich doch im Parlament und in den Ausschüssen darauf, Ihre Forderungen einzubringen, aber hören Sie auf, auf der Straße Protest zu machen", fordert er Czaja auf. Aber der stellt klar: "Wir werden die Mobilisierung von all denen, die in diesem Land Angst und Sorge haben, weiter voranbringen."

Und damit das Thema Heizungsgesetz vermutlich noch bis in den Oktober am Kochen halten. Denn dann sind Landtagswahlen in Bayern und Hessen.

Quelle: ntv.de

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