Politik

Ukrainischer Militärexperte "Die F-16 ist der MiG-29 deutlich überlegen"

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F-16 der portugiesischen Luftwaffe am vergangenen Montag bei einem Patrouillenflug über Litauen.

(Foto: dpa)

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Für die Ukraine sei die F-16 keine ideale, aber "eine sehr gute, rationale Wahl", sagt der ukrainische Militärexperte Oleksij Melnyk, ein ehemaliger Kampfpilot. Er verspricht sich von den Kampfjets Unterstützung von Offensiven und eine Verbesserung der Luftabwehr. "Grundsätzlich geht es nicht darum, dass die Ukraine mit den F-16 die Lufthoheit gewinnt. Es geht darum, dass die Ukrainer die russische Luftüberlegenheit ausgleichen können."

ntv.de: Herr Melnyk, wir wollten eigentlich vor allem über Kampfflugzeuge reden. Darf ich Sie dennoch zu Beginn fragen: Welchen militärischen Zweck haben die jüngsten Vorfälle in der russischen Region Belgorod - abgesehen vom großen Informationsecho?

Oleksij Melnyk: Auch Informations- beziehungsweise Desinformationsansätze haben in einem solchen Krieg einen militärischen Zweck. Es geht jedoch überwiegend darum, dass Russland als Ergebnis solcher Aktionen die eigene international anerkannte Grenze besser schützen muss, statt weitere Soldaten an die Front zu schicken. Wir reden hier nicht über Unmengen von Soldaten, aber immerhin theoretisch mindestens um Tausende, und das ist vor ukrainischen Offensivaktionen von Bedeutung. Es gibt natürlich auch einen anderen Ansatz: Die ukrainische Region Charkiw beispielsweise wird aus Grenzgebieten des Bezirks Belgorod dauerhaft mit Artillerie beschossen - und es ist für die Ukraine völlig legitim, mit dem Ziel zu agieren, dass russische Militärgeräte weiter hinter die Grenzlinie geschoben werden. Dieses Ziel ist aber mit solch einer kleinen Gruppe nicht zu erreichen.

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Oleksij Melnyk ist Oberstleutnant a.D. der ukrainischen Armee und Co-Direktor der Programme der internationalen Sicherheit der Kiewer Denkfabrik Zentr Rasumkowa. Zwischen 2005 und 2008 war Melnyk Berater des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Der ehemalige Kampfpilot gehört zu den profiliertesten Militärexperten der Ukraine.

(Foto: Zentr Rasumkowa)

Sie sind ehemaliger Kampfpilot, haben dann lange Jahre andere Piloten ausgebildet und stets betont, wie wichtig es ist, dass die Ukraine Flugzeuge bekommt. Wie haben Sie sich gefühlt, als klar wurde, dass sich in der Flugzeugsfrage endlich etwas bewegt?

Was ich zuerst klarmachen muss: Natürlich haben wir die Flugzeuge militärisch gesehen schon gestern, wenn nicht sogar vorgestern gebraucht. Die Ukraine hat im letzten Jahr Offensivaktionen ohne ausreichende Deckung aus der Luft durchgeführt, wir hätten viel flexibler bei Angriffen gegen die russische Kriegslogistik sein können, und nicht zuletzt wäre unsere Flugabwehr bei den Angriffen gegen die Energieinfrastruktur im Winter damit stärker aufgestellt gewesen. Aber ich bin natürlich erleichtert, auch wenn ich mit Emotionen bei positiven und bei negativen Nachrichten sowieso sparsam umgehe. Bei Waffenlieferungen ist es mir am liebsten, wenn - wie bei den britischen Storm Shadow Marschflugkörpern - fast aus dem Nichts die Nachricht kommt, dass sie bereits geliefert wurden. Und praktisch am nächsten Tag sehen wir sie dann im Einsatz. Wenn es optimistische Vorankündigungen gibt, verzögert sich das Ganze oft länger als gewünscht, weil irgendetwas nicht klappt. Es ist aber eine richtig gute Nachricht, dass an der Lieferung von F-16 nun kein Weg mehr vorbeiführt.

Warum hat sich denn die Ukraine ausgerechnet auf das Modell F-16 festgelegt?

Ich würde der beliebten Darstellung widersprechen, dass Kiew von Anfang an auf F-16 setzte. Die Anfrage lautete zuerst: Kampfflugzeuge westlicher Bauart. Wenn wir unter Bedingungen der friedlichen Zeit gesprochen hätten, hätte es bessere Alternativen gegeben, was Parameter wie Wartungskosten oder Anforderungen an die Qualität der Rollfelder angeht. Aber im Endeffekt entscheidet alles die Frage: Was können wir schnell erhalten, das einsetzbar, konkurrenzfähig und in größerer Stückzahl verfügbar ist?

Schauen wir mal auf die in Deutschland verfügbaren Alternativen. Die Eurofighter sind der F-16 eine Generation voraus, aber es gibt insgesamt nur rund 600 Stück davon. Die F-16 dagegen ist das in größter Zahl verfügbare Kampfflugzeug der Welt, daher sind auch Ersatzteile kein Problem. Tornados werden aus dem Dienst genommen und man könnte auf eine gute Stückzahl kommen. Die F-16 ist aber qualitativ eine viel bessere Alternative. Obwohl als leichtes Jagdflugzeug gedacht, ist es ein recht gutes Mehrzweckflugzeug, das alles andere als veraltet ist. Wenn wir die F-16 mit einem Kampfjet auf der russischen Seite vergleichen können, dann ist das die MiG-29. Es gibt kaum einen Bereich, in dem die F-16 der MiG-29 nicht überlegen ist. Es ist also keine ideale, aber eine sehr gute, rationale Wahl.

Sprechen wir mal die Punkte an, die Skeptiker im Westen häufig betonen. Bei der Ausbildung von bereits erfahrenen Piloten haben Sie im Februar von sechs Monaten gesprochen: drei Monate individuelles Training, drei Monate Gruppentraining. Nun geht es womöglich vorerst um rund vier Monate - und westliche Experten warnen, dass das nur für die Grundlagen reicht. Was ist davon zu halten?

Die Warnungen kann ich nur unterschreiben, aber es ist kein Gegenargument für irgendetwas. Der Abschluss der Grundausbildung bedeutet, dass Piloten in der Lage sind, Kampfaufgaben bei Tageslicht und gutem Wetter zu erfüllen. Das bedeutet keinesfalls, dass die Ausbildung damit komplett beendet wird, nur können sie dann bereits gewisse Aufgaben auf dem Schlachtfeld erfüllen, was von enormer Bedeutung ist. Das sollten wir nutzen. Um eine Einheit auf einem anderen Flugzeug komplett auszubilden, braucht man ein Jahr, aber es bedeutet keinesfalls, dass die F-16 bis dahin nicht eingesetzt werden. Das sind ganz offensichtliche, banale Sachen. Vor einem Monat hätte ich gesagt, dass die Chancen 50:50 liegen, ob wir die Flugzeuge im Herbst im Einsatz sehen oder nicht. Heute bin ich mir sicher.

Sorgen gibt es darüber hinaus auch bei der Ausbildung der Wartungsarbeiter, die länger dauern könnte als die der Piloten, und bei der Frage der höheren Anforderungen für die Rollfelder, die Sie bereits angesprochen haben.

1993 war ich zum ersten Mal in den USA zur Ausbildung und war sehr überrascht, wie ähnlich die Prozeduren und die Standards denen waren, die ich bereits kannte. Die Standardisierung in Sachen Luftfahrt und Luftwaffe war viel ähnlicher als in anderen militärischen Bereichen - das blieb so trotz des Kalten Krieges. Unsere Fachkräfte sind auf einem hohen Niveau, zudem ist ein F-16, sagen wir es offen, deutlich nutzungsfreundlicher als eine MiG-29. Die Standards für ein Rollfeld sind grundsätzlich gleich. Sind die Rollfelder teilweise veraltet, braucht eine F-16 ein besser präpariertes Rollfeld als eine MiG-29? Klar. Aber es ist keine Raketenwissenschaft. Es ist alles machbar, auch wenn unter Kriegsumständen natürlich etwas schwieriger als zur Friedenszeit.

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Und nicht zuletzt: Man warnt davor, dass russische Flugabwehrsysteme, vor allem neuere S-400, F-16 effektiv abfangen können, während Flugzeuge vom Typ Su-35 im direkten Kampf den F-16 deutlich überlegen sind.

Selbstverständlich ist russische Flugabwehr ziemlich gut und eine Gefahr. Wir haben auch auf der ukrainischen Seite gesehen, dass ältere sowjetische S-300-Systeme Russland zu Beginn des Krieges vor solche Probleme gestellt haben, dass russische Flugzeuge sich kaum mehr direkt in den ukrainischen Luftraum trauen. Was den Vergleich mit den Su-35 angeht: Kämpfe zwischen den Flugzeugen aus der kürzeren Distanz wird es in diesem Krieg kaum geben. Wenn es über mittlere oder längere Distanzen geht, hat ein Su-35 einen besseren Radar und kann stärkere Raketen einsetzen. Der Krieg existiert aber nicht unter Laborbedingungen, bei denen nur solche Angaben eine Rolle spielen und sonst nichts. Es gibt unzählige andere Faktoren wie die Effektivität der Aufklärung, die bei den Ukrainern deutlich besser ist - nicht zuletzt mit westlicher Hilfe. Grundsätzlich geht es aber ohnehin nicht darum, dass die Ukraine mit den F-16 die Lufthoheit gewinnt. Es geht darum, dass die Ukrainer die vorhandene russische Luftüberlegenheit ausgleichen können, was existenziell wichtig ist. Aber, noch einmal, es geht nicht um Wunder oder Fantasien, sondern um ganz praktische Sachen.

Sind britische Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow mit längerer Reichweite, die so gut wie jeden Tag auf dem von Russland besetzten Gebiet einschlagen, ähnlich bedeutungsvoll wie die HIMARS-Mehrfachraketenwerfer vor der Gegenoffensive der Ukrainer im letzten Jahr?

Der Vergleich mit den HIMARS ist völlig legitim. Storm Shadow stellt die russische Kriegslogistik vor neue Herausforderungen und die russische Flugabwehr vor große Probleme. Diese Vorarbeit vor den Offensivaktionen ist sehr wichtig.

Wie sehen Sie die von CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter angestoßene Debatte über ähnliche Raketen vom Typ Taurus aus deutscher Produktion?

Mit Blick auf Taurus bin ich nicht mit technischen Details vertraut, ob sie zum Beispiel ebenfalls an die sowjetischen Flugzeuge adaptiert werden, und wie viel Stück theoretisch geliefert werden könnten. Aber es wäre eine zusätzliche Verstärkung.

Mit Oleksij Melnyk sprach Denis Trubetskoy

Quelle: ntv.de

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