
Kennen sich gut, sind aber keine Vertrauten: Schröder und Scholz im Jahr 2016.
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Die SPD bemüht sich, Zweifel daran zu zerstreuen, dass sie im Ernstfall zu einer harten Haltung gegenüber Wladimir Putin bereit ist. Doch diesen Zweifel hat sie im Streit um Nord Stream 2 selbst gesät. Dass innerhalb der Partei ganze Netzwerke eine eigene Russland-Politik betreiben, kommt erschwerend hinzu.
Zum Thema Russland wollte Kevin Kühnert zu Wochenbeginn mal eines klarstellen: "Weil es da bei manchen Irritationen gibt in den letzten Tagen und Wochen, und manche wollten auch irritiert sein: Die SPD spricht hier ganz klar mit einer Stimme", sagte der neue SPD-Generalsekretär am Montag im Anschluss an die Gremiensitzungen seiner Partei. Es gebe keine Kontroversen in der Partei zur Frage möglicher Sanktionen, sollten russische Truppen die Grenze zur Ukraine übertreten. Drei Tage später berichtete der "Spiegel", dass Parteichef Lars Klingbeil diverse Sozialdemokraten für Montag eingeladen hat, die Russland-Politik der SPD abzustimmen, um so die beiden Lager zusammenzuführen.
Die Ampelregierung im Allgemeinen und die SPD im Speziellen muss, während ein Krieg in Europa droht, erst einmal ihr strategisches Verhältnis zu Russland klären. In einigen NATO-Partnerländern herrscht Verunsicherung, wie es die neue Regierung mit Russland hält. Die hartnäckige Weigerung von Bundeskanzler Olaf Scholz, die Gaspipeline Nord Stream 2 explizit als mögliches Sanktionsziel zu benennen, fügte sich allzu gut in das Bild einer Partei, in der prominente Stimmen immer wieder um Verständnis für russische Einkreisungsbefürchtungen werben.
Mitte Dezember spielte Scholz noch die Gasleitung zu einem "privatwirtschaftlichen Projekt" herunter. Eines, für das sich sowohl die alte als auch die neue Bundesregierung derart ins Zeug legten, dass sie der US-Regierung unter anderem eine Milliarde Euro für die Diversifizierung der ukrainischen Gasversorgung versprach, damit Washington von Sanktionen gegen an Nord Stream 2 beteiligte Firmen absieht. Zudem behauptete Scholz, eine Behörde würde "ganz unpolitisch" über die Betriebserlaubnis der Pipeline entscheiden. Diese Behörde ist die vom Bundeswirtschaftsministerium beaufsichtigte Bundesnetzagentur. Deren mangelhafte politische Unabhängigkeit hatte erst im September der Europäische Gerichthof gerügt.
Mehr als nur Schröder
Im neuen Jahr haben sich Scholz und die SPD-Spitze schließlich durchgerungen, zumindest keine Option mehr vom Tisch zu nehmen. Klingbeil benannte in einer Bundestagsdebatte am Donnerstag Russland unmissverständlich als Aggressor, vor dem es die Ukraine zu schützen gelte. Das entsprach auch der Linie der FDP und der Grünen, die in Annalena Baerbock die Außenministerin stellen. Doch der Kurskorrektur folgen nicht alle in der SPD, deshalb das Treffen am Montag.
Die SPD ist nicht die einzige der etablierten Parteien, die nicht leichtfertig auf einen privilegierten Zugang zu russischem Gas verzichten will, und auch nicht die einzige, die für gute Beziehungen zu Moskau wirbt. Keine Partei aber scheint über den Umgang mit dem Pipeline-Projekt in der Ostsee derart verunsichert zu sein. Naheliegend ist der Gedanke, der sich als Rosneft-Aufsichtsrat verdingende und mit Wladimir Putin kumpelnde Altkanzler präge die Russland-Perspektive der Partei mit. Tatsächlich ist der frühe Förderer des neuen SPD-Vorsitzenden Klingbeil nur die bekannteste Figur in einem ganzen Ensemble an Sozialdemokraten, die aus unterschiedlichen Motivationen für ein gutes Verhältnis zu Russland auch mal beide Augen zuzudrücken bereit sind. Zugleich offenbart sich in der Russland-Frage auch ein Generationenkonflikt, denn es ist vor allem die Garde der Alten oder Erfahrenen - je nach Standpunkt -, die sich gegenüber dem Kreml konzilianter zeigt.
Immer wieder Niedersachsen
Schröders Ex-Frau Doris Schröder-Köpf etwa ist Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums, dessen Vorsitzender Matthias Platzeck ist. Der frühere Ministerpräsident von Brandenburg gehört zu den prominentesten Stimmen im deutschsprachigen Raum, die um Verständnis für Putins Sicherheitsinteressen werben. Wie unabhängig das Meinungsbild im Deutsch-Russischen-Forum zustande kommt, ist fraglich mit Blick auf Mitglieder wie den Gazprom-Berater Alexander Rah oder Vorstand Michael Sasse, der als "Senior Vice President" die Unternehmenskommunikation des an Nord Stream beteiligten Gasproduzenten Wintershall verantwortet. Das Verbot der russischen Nichtregierungsorganisation Memorial Ende vergangenen Jahres war allerdings ein Schritt, der auch von Platzecks Forum mit sehr deutlicher Kritik verurteilt wurde.
Auffällig ist die Häufung von Niedersachsen in der sozialdemokratischen Russland-Connection. Die Landtagsabgeordnete Schröder-Köpf, die als Kanzler-Gattin noch mit der Putin-Familie eng war, ist inzwischen mit Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius liiert. Dessen Parteikollege, Ministerpräsident Stephan Weil, pflegt regelmäßig Wirtschaftskontakte seines Bundeslandes auf eigenen Russland-Visiten, auch sprach Weil sich wiederholt für Nord Stream 2 aus.
Am Russland-Geschäft beteiligt
Der mit Weil vertraute, frühere niedersächsische SPD-Landesgeschäftsführer und Ex-Bundestagsabgeordnete Heino Wiese ist Honorarkonsul der Russischen Föderation in Hannover und betreibt mit seiner Firma Wiese Consult eine Unternehmensberatung mit dem Schwerpunkt Russland und Türkei. Klingbeil war als Student Mitarbeiter in Wieses und Schröders Wahlkreisbüro. In einem Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über Wieses Wahl zum Präsidenten der Vereinigung der Honorarkonsuln (CCD) spricht Wiese ganz offen über seine engen Drähte in die SPD im Allgemeinen und zu Weil im Besonderen. Die feierliche Wahl von Wiese fand übrigens in der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin statt.
Wiese Consult firmiert im Lobbyisten-Viertel zwischen Reichstag und Friedrichstraße. Unter derselben Adresse war auch die VIB International Strategy Group bis Ende 2020 gemeldet, an der Wiese bis August 2020 beteilit war. Chef der Beratungsagentur ist Matthias Euler-Rolle, einst Sprecher des österreichischen Kanzlers Werner Faymann und Kommunikationschef der SPÖ. Faymann ist über eine Muttergesellschaft an der VIB International Strategy Group beteiligt, Ex-SPD-Chef und Ex-Außenminister Gabriel, auch er ein Niedersachse, ist eine Art stiller Teilhaber. Im Deutsch-Russischen Forum engagierte sich Wiese als Vorstand und ist nunmehr Mitglied im Kuratorium.
Der Osten hat ganz eigenen Blick
Doch Niedersachsen ist nicht das einzige Bundesland, wo sich Sozialdemokraten um die deutsch-russischen (Wirtschafts-)Beziehungen besonders verdient machen. Auch in der Ost-SPD hat der um Verständnis bemühte Blick nach Moskau Tradition. Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Platzeck ist nicht allein. Der frühere Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, engagiert sich im auf seine Initiative hin gegründeten Verein Deutsch-Russische Partnerschaft. Der konzentriert sich vor allem auf die Förderung von Schüleraustauschen und Jugendkontakten.
In einem Instagram-Video erklärt Sellering, die Schüler lernten so, dass auch die Menschen auf der anderen Seite keinen Krieg wollten, ganz so als ob das deren Entscheidung und nicht die ihres autokratischen Staatschefs wäre. In einem Gastbeitrag für den "Nordkurier" warb Sellering 2020 dafür, möglichst nicht auf "Strafen" zu setzen und Nord Stream 2 aus der Außenpolitik herauszuhalten. Dass beim sogenannten "Tiergartenmord" die Unschuldsvermutung gelte, war Sellering trotz der damals schon zahlreichen Indizien für einen staatlichen Auftragsmord besonders wichtig zu betonen.
Da überrascht es schon gar nicht mehr, dass Sellerings Nachfolgerin Manuela Schwesig zu den eifrigsten Fürsprecherinnen der Pipeline gehört. Für Mecklenburg-Vorpommern geht es dabei verständlicherweise auch um Arbeitsplätze. Weil Gazprom nach EU-Regeln die Gasförderung und den Pipelinebetrieb entflechten muss, gründet das Unternehmen - wie diese Woche bekannt wurde - ein neues Unternehmen. Standort wird die zentral gelegene Wirtschaftsmetropole Schwerin.
Unabhängig von solch praktischen Überlegungen sind Ostministerpräsidenten meist gut beraten, eine gewisse Offenheit für russische Positionen zu zeigen. Die politische und popkulturelle Nähe Westdeutschlands zu den USA und der oft als weniger aufgeregt wahrgenommene Umgang Deutschlands mit anderen Diktaturen wie etwa den arabischen Öl- und Gasstaaten sorgen in den östlichen Bundesländern oft für Unverständnis dafür, dass die Kritik an Putins aggressiver Außen- und Menschenrechtspolitik so scharf ausfällt.
Was würde Brandt tun?
CDU-Politiker im Osten, etwa die Ministerpräsidenten Reiner Haseloff und Michel Kretschmer, schlagen auch deshalb beim Thema Russland einen ähnlich moderaten Ton an wie Vertreter der Ost-SPD. Dennoch ist das Muster bei den Sozialdemokraten ausgeprägter. Auch weil die von Bundeskanzler Willy Brandt und seinem Sonderberater Egon Bahr betriebene, auf Verständigung setzende Ostpolitik zu den identitätsstiftenden Erfolgen der SPD-Historie zählen.
Doch auch in der SPD mahnen zunehmend Stimmen, dass Brandt und Bahr das Selbstbestimmungsrecht der Völker ebenso wichtig war wie die Achtung und Aussöhnung mit jenen osteuropäischen Ländern, die Putin weiter als natürliche russische Einflusszone und als Art Puffer zur NATO betrachtet. Es scheint, als würde sich diese Sichtweise zunehmend durchsetzen. Wahrscheinlich scheint, dass die von ihren Gegner als "Russlandversteher" geschmähten Sozialdemokraten am Montag zur Ordnung gerufen oder zumindest zu Zurückhaltung aufgefordert werden.
Schwieriger wird die Causa Schröder zu lösen: Der Altkanzler übte am Freitag scharfe Kritik an der Ukraine, relativierte die russische Bedrohung und gab Außenministerin Baerbock eine Stilkritik mit. Die Grünen reagierten entsetzt. Sie werden ebenso wie einige NATO-Länder sehr genau hinhören, was Bundeskanzler Scholz hierzu sagt.
Hinweis: In einer früheren Version wurde behauptet, Heino Wiese und die Wiese Consult seien noch immer an der VIB International Strategy Group beteiligt. Dies ist einem Hinweis von Wiese Consult zufolge seit August 2020 nicht mehr der Fall.
Quelle: ntv.de