Russischer Truppenaufmarsch FDP-Obmann erwägt Waffenlieferung an Ukraine
20.01.2022, 09:50 Uhr
Ukrainische Soldaten entladen von Großbritannien gelieferte Panzerabwehrwaffen auf einem Flughafen außerhalb von Kiew.
(Foto: via REUTERS)
Die Ukraine-Krise könnte noch für einigen Unmut in der Koalition sorgen. Im Gegensatz zu SPD und Grünen mehren sich in der FDP die Stimmen, die Waffenlieferungen an Kiew nicht mehr ausschließen. "Es darf keine Tabus geben", fordert der FDP-Obmann im Verteidigungsausschuss.
In der Koalition verschärfen sich die Differenzen über den Wunsch der Ukraine nach Lieferung deutscher Waffen in die Konfliktregion. Der FDP-Obmann im Verteidigungsausschuss, Alexander Müller, kritisierte in der "Augsburger Allgemeinen" die ablehnende Haltung in weiten Teilen der Bundesregierung und forderte eine Diskussion im Bundessicherheitsrat. "Wir sollten, was die Lieferung von Ausrüstung und Waffen betrifft, aber auch bezüglich Nordstream 2, nichts im Vorhinein ausschließen", sagte Müller.
"Es darf keine Tabus geben", betonte der FDP-Politiker. "Es ergibt keinen Sinn, unsere Handlungsmöglichkeiten bereits jetzt einzuschränken." Daher müsse sich der Bundessicherheitsrat bereits jetzt mit "möglichen Maßnahmen und Konsequenzen" beschäftigen, forderte Müller. "Elementar ist zudem eine enge Abstimmung innerhalb der EU und der NATO, um eine gemeinsame Linie im Umgang mit den russischen Drohungen gegenüber der Ukraine zu finden und darauf basierend gemeinsam zu handeln."
"Die Ukraine ist ein souveränes Land und alle Staaten, auch Russland, haben sich dem Völkerrecht und damit dem Gewaltverbot unterworfen", betonte der FDP-Politiker. "Russland muss die gemeinsamen Werte der Völkergemeinschaft achten, dann sind wir auch gesprächsbereit und für einen Dialog auf Augenhöhe offen", fügte Müller hinzu.
"Möglichkeit zur Unterstützung der Ukraine"
Zuvor hatte sich bereits die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann offen für Waffenlieferungen an die Ukraine gezeigt: "Die Lieferung von Defensivwaffen könnte eine Möglichkeit zur Unterstützung der Ukraine sein", sagte sie "T-online". Für den Fall eines Angriffs Russlands auf die Ukraine geht Strack-Zimmermann davon aus, dass dann auch das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 gestoppt werde.
"Wir haben in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass keine Waffen in Krisengebiete geliefert werden sollen", sagte die FDP-Politikerin, fügte aber hinzu: "Angesichts der aktuellen Lage und Betroffenheit unseres Kontinents sollten wir das im konkreten Fall überdenken." FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff lehnte dagegen Waffenlieferungen klar ab: "Das Kriegswaffenkontrollgesetz, die Außenwirtschaftsverordnung verbieten die Lieferung von Waffen in Spannungsgebiete, Krisengebiete, Kriegsgebiete." Er sprach sich aber für eine militärische Ausrüstungshilfe aus. Er nannte dabei "nicht kinetische Ausrüstungsgegenstände" wie Schutzwesten, Helme, Radar oder Nachtsichtgeräte.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte erst am Dienstag Waffenlieferungen an Kiew ausgeschlossen: "Die deutsche Bundesregierung verfolgt seit vielen Jahren eine gleichgerichtete Strategie in dieser Frage. Und dazu gehört auch, dass wir keine letalen Waffen exportieren", sagte der SPD-Politiker. Daran halte auch die neue Regierung fest. Auch Außenministerin Annalena Baerbock hatte die Forderung nach Waffenlieferungen bei ihrem Besuch in der Ukraine zurückgewiesen.
SPD-Experte: "Alles muss auf den Tisch"
Der Osteuropa-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, Josip Juratovic, schloss ebenfalls Waffenlieferungen an die Ukraine aus. "Es geht jetzt darum, schnell einen vernünftigen Dialog zu finden und Russland die Hand zu bieten", betonte er. "Zuerst sollte es dabei um eine neue Einbindung Russlands in die künftige europäische Sicherheitsordnung gehen, nicht um Drohgebärden oder Sanktionen. Und schon gar nicht um Waffengeschäfte mit der Ukraine."
Allerdings begrüßte Juratovic, dass die Bundesregierung im Fall eines Angriffs auf die Ukraine Sanktionen gegen die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 nicht mehr ausschließe. "Wir können eine Neuziehung der Grenzen in Europa durch Russland nicht hinnehmen", sagte der SPD-Politiker der Zeitung. "Deshalb muss alles auf den Tisch, wir dürfen keine Themen ausklammern, auch nicht das Zahlungssystem Swift und die Pipeline Nordstream 2."
Wegen des massiven russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine befürchtet der Westen, dass Russland einen Einmarsch in das Nachbarland vorbereitet. Russland fordert von der NATO Sicherheitsgarantien, darunter einen Verzicht auf eine weitere Osterweiterung. Dies lehnt das Westbündnis ab.
Der Bundessicherheitsrat ist unter anderem für die Genehmigungen von Waffenexporten zuständig. Das Gremium tagt geheim unter Leitung des Kanzlers. Zum Bundessicherheitsrat gehören als ständige Mitglieder die Verteidigungsministerin, die Außenministerin, der Innenminister, die Ressortchefs von Finanzen, Wirtschaft und Justiz sowie die Entwicklungsministerin und der Chef des Bundeskanzleramts.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa