Parteitag hat begonnenGrüne suchen Ausweg aus der Abstellkammer
Sebastian Huld
Erstmals nach der Bundestagswahl kommen die Grünen wieder zum Parteitag zusammen. Die Gesamtlage ist herausfordernd, die Führung noch immer jung im Amt.
Franziska Brantner bestimmt bei den Grünen jetzt die Musik. Ein Jahr sind sie und Felix Banaszak nun schon Vorsitzende ihrer Partei und Brantner will beim Bundesparteitag in Hannover die DJane geben, wie sie auf Instagram ankündigte. Der Menge aus Delegierten und Parteitagsgästen einzuheizen, war bislang vornehme Aufgabe von Brantners Vorgänger. Hiphop-Liebhaber Omid Nouripour war rund drei Jahre lang für die gute Stimmung zuständig, nicht nur auf der traditionellen Samstagabendparty. Doch Nouripour und seine Co-Vorsitzende sind weg, die Leichtigkeit vergangener Tage ebenso. Die Partei blickt einer ungewissen Zukunft zwischen Aufbruch und sehr realen Abstiegsszenarien entgegen.
Mehr als 800 Delegierte sowie bis zu 1200 Gäste sind von Freitag bis Sonntag in Halle 7 der Messe Hannover versammelt. Es ist die erste Bundesdelegiertenkonferenz seit vielen Jahren, auf der die vormaligen Spitzenkandidaten und früheren Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck nicht zugegen sind. Die Ex-Außenministerin weilt als Präsidentin der UN-Vollversammlung noch bis September in New York. Habeck hat im Sommer den Bundestag verlassen, lehrt in Kopenhagen und veranstaltet politische Salons.
Beide halten sich mit der der Kommentierung des politischen Alltagsgeschehens zurück. Das macht ein Problem weniger für Brantner und Banaszak, aber die Liste an Herausforderungen ist auch so immens: Fünf Landtagswahlen warten im kommenden Jahr, jede für sich genommen wird schwierig für die Partei. Und während sie sich noch immer nach den Jahren in der Ampelkoalition und der enttäuschenden Bundestagswahl 2025 berappelt, muss sie zumindest bereit sein für den Fall einer abermals vorzeitig endenden Legislaturperiode im Bund.
Özdemir kommt zum Schluss
Anfang März wählt Baden-Württemberg den Nachfolger des ersten und bislang einzigen grünen Ministerpräsidenten, Winfried Kretschmann. Die Grünen konnten mit ihrem Spitzenkandidaten Cem Özdemir zuletzt zwar aufholen, liegen aber laut Infratest dimap noch neun Punkte hinter der Union. Özdemir bekommt auf dem Parteitag die ganz große Bühne, allerdings erst kurz vor Schluss am Sonntag. Das minimiert das Risiko, dass die Delegierten sich an ihm abarbeiten: Der Schwabe hat zuletzt in Fragen der Migrationspolitik, der inneren Sicherheit und des Verbrenner-Aus für Pkw wiederholt Positionen weit außerhalb des grünen Mainstreams vertreten.
Aber immerhin kann dieser Spitzenkandidat in Hannover auftreten, ebenso wie die frisch gewählte Spitzenkandidatin für Sachsen-Anhalt, Susan Sziborra-Seidlitz. Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern dagegen musste kürzlich die Wahl der Spitzenkandidatin neu aufsetzen. Die Partei hat sich über Personalquerelen zerlegt und droht, aus dem Landtag zu fliegen. Die Bundestagsabgeordnete Claudia Müller soll es nun machen und spricht auch in Hannover, ist aber noch nicht bestätigt. Auch für Sziborra-Seidlitz dürfte es schwer werden, die Grünen-Mandate in Magdeburg zu verteidigen. In Berlin scheint zwischen Platz eins und vier alles drin zu sein. Die schwierigen Ostwahlen finden erst im Herbst statt. Im Frühjahr wählt neben Baden-Württemberg noch Rheinland-Pfalz. Aber auch dort spielt die Partei mit rund zehn Prozent in den Umfragen nur eine Nebenrolle.
Der Begriff "Nebenrolle" umschreibt die Lage im Bund ebenfalls treffend. Seit Monaten verharrt die Partei im RTL/ntv-Trendbarometer zwischen 11 und 12 Prozent. Trotz eines immens unbeliebten Bundeskanzlers und einer wenig angesehenen Koalition stellen die Grünen in den Augen vieler Wähler keine Alternative dar. Enttäuschung und Frust zahlen auf die in Umfragen führende AfD ein sowie auf die Linke, die seit der Bundestagswahl beständig gleichauf liegt mit Grünen und SPD.
Die Partei braucht ein Update
Wie die Partei in dieser schwierigen Lage die Performance ihrer Vorsitzenden bewertet, wird in Hannover höchstens indirekt Thema sein. Brantner und Banaszak sind noch bis kommenden Herbst im Amt. Ihr weiteres Schicksal dürfte damit maßgeblich mit dem Ausgang der Landtagswahlen verbunden sein.
Beide rechnen sich hoch an, dass ihnen der Laden in der schwierigen Zeit seit dem Ampel-Aus nicht um die Ohren geflogen ist. Unterschwellig stets brodelnde Flügelkämpfe sind nicht ausgebrochen. Das für die Partei zu Regierungszeiten so schwierige Thema Migrationspolitik bleibt in Hannover zur Abwechslung außen vor. Schwierige programmatische Abstimmungen sind lediglich bei Fragen zu erwarten, wie sich die Partei zur Israel-Politik und zur Frage einer Wehrpflicht positioniert.
Programmatisch will die Partei vor allem Signale setzen, dass sie den Druck auf die schwarz-rote Bundesregierung beim Klima- und Umweltschutz erhöhen will. Die Grünen legen eine ganze Reihe von Vorschlägen und Forderungen vor, wie aus ihrer Sicht eine sozial gerechte Klimawende aussehen könnte. Es geht auch darum, wegzukommen vom Image einer Partei der besserverdienenden Großstadtbewohner. Und immerhin: Anders als in den Regierungsjahren werden die Delegierten in diesem Jahr nicht empfangen vom Protest einstiger Verbündeter aus der Umwelt- und Menschenrechtsbewegung. Nur Greenpeace mahnt, Gasbohrungen vor Borkum möglichst zu verhindern. Die lehnen die Grünen aber ebenfalls ab.
Zum Auftakt am Freitag geht es um die Partei selbst: Das basisdemokratische Selbstverständnis kollidiert angesichts des immensen Mitgliederwachstums auf inzwischen 180.000 Mitglieder mit den bisherigen Strukturen. Die Partei will deshalb in Hannover einen Reformprozess starten, der binnen Monaten in ein abstimmungsfähiges Papier münden soll. Allein 50.000 Mitglieder kamen zwar innerhalb der letzten zwölf Monate hinzu, die meisten davon aber im Zuge von Habecks Kanzlerkampagne. Noch ist nicht erkennbar, wer aus der Partei einmal eine vergleichbare Anziehung ausüben könnte.