Humanitäre Lage katastrophal Hauptstadt von Berg-Karabach soll umzingelt sein
22.09.2023, 14:43 Uhr Artikel anhören
Sollen derzeit in der Stadt Stepanakert von aserbaidschanischen Soldaten eingeschlossen sein: Karabach-Armenier.
(Foto: AP)
Es gibt eine Waffenruhe in Berg-Karabach, aber eine endgültige Lösung ist sie nicht. Unklar ist die Versorgung mit dem Nötigsten der Menschen in der Region sowie die Evakuierung Tausender nach Armenien. Auch die Situation in der lokalen Hauptstadt ist ungeklärt - sie soll umzingelt sein.
Aserbaidschanische Soldaten umzingeln nach Angaben der pro-armenischen Behörden die Stadt Stepanakert in der Kaukasus-Region Berg-Karabach. "Die Situation in Stepanakert ist furchtbar, aserbaidschanische Truppen sind überall rund um die Stadt, sie sind am Stadtrand und die Leute haben Angst, dass aserbaidschanische Soldaten jeden Moment die Stadt betreten und mit dem Töten beginnen könnten", sagte Sprecherin Armine Hayrapetian, die das Informationszentrum von Berg-Karabachs De-Facto-Regierung in der armenischen Hauptstadt Eriwan vertritt.
"Keine Elektrizität, kein Gas, kein Essen, kein Brennstoff, keine Internet- und Telefonverbindung", beschrieb Hayrapetian die Lage in der Stadt. "Die Leute verstecken sich in Kellern." Sie sprach von zahlreichen Todesopfern und Verletzten, ohne genauere Angaben zu machen.
Die pro-armenischen Kräfte hatten nach dem groß angelegten aserbaidschanischen Militäreinsatz in Berg-Karabach in eine Waffenruhe eingewilligt. Nach ihren Angaben wurden bei dem 24-stündigen Einsatz, der Mittwochmittag endete, mindestens 200 Menschen getötet und 400 weitere verletzt. Am Donnerstag hatte es dann Verhandlungen zwischen pro-armenischen Vertretern und der aserbaidschanischen Seite über eine Wiedereingliederung der Kaukasus-Region in das Territorium Aserbaidschans gegeben.
Keine Klarheit über einzige Evakuierungsroute
Gespräche über Sicherheitsgarantien und eine Amnestie für armenische Kämpfer hätten allerdings noch keine konkreten Ergebnisse gebracht, sagte David Babajan, ein Berater der selbst ernannten Regierung von Berg-Karabach, der Nachrichtenagentur Reuters. Aserbaidschan erklärte, Zivilisten werde eine sichere Ausreise nach Armenien ermöglicht. Armenier in Berg-Karabach hatten der Weltgemeinschaft zuvor Untätigkeit vorgeworfen und fürchten nach eigenen Angaben "ethnische Säuberungen". Aserbaidschan betont, die ethnischen Armenier integrieren zu wollen.
Im Zentrum der Debatten steht aktuell abermals der Latschin-Korridor - die einzige Straßenverbindung zwischen Berg-Karabach und Armenien. Ein aserbaidschanischer Regierungsberater betonte, Zivilisten könnten die Straße in ihren eigenen Fahrzeugen geschützt befahren. Dem widersprach indirekt der Berater der armenischen Führung in Berg-Karabach: "Der Latschin-Korridor funktioniert nicht, wie er sollte", sagte Babajan.
Die Region sei faktisch in einem Belagerungszustand, weshalb auch keine Menschenmassen Berg-Karabach verließen. Über die Straße werde aber noch am Freitag ein Konvoi mit Hilfslieferungen aus Armenien erwartet. Aus dem Umfeld der aserbaidschanischen Regierung hieß es, noch am Freitag würden drei Ladungen humanitärer Güter geliefert. Ob es sich um dieselbe Maßnahme handelte, war zunächst unklar. Reuters-Reporter beobachteten zudem einen Lastwagen-Konvoi russischer Friedenstruppen, die in der Region stationiert sind, auf dem Weg nach Berg-Karabach.
Armenien bereitet sich unabhängig von Hilfs-Konvois und Debatten über den Latschin-Korridor auf die Ankunft Zehntausender Flüchtlinge vor. Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan sagte in Eriwan, 40.000 Plätze seien vorbereitet. Allerdings gestand er auch, dass es besser wäre, wenn die Karabach-Armenier in ihren Häusern bleiben könnten. Es könne aber sein, dass dies unmöglich werde. "Wenn sich die Lage verschlechtert, wird dieses Problem für jeden von uns auf der Tagesordnung stehen."
Linke fordert unabhängige Beobachter vor Ort
Die Linkspartei forderte derweil eine internationale Beobachtermission in Berg-Karabach. "Es ist keine Zeit mehr, tatenlos zuzusehen", erklärten die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. "Die internationale Gemeinschaft kann die armenische Bevölkerung nur vor weiterem Leid schützen, wenn sie jetzt handelt." Die Region brauche Sicherheit und Stabilität.
Deshalb müssten unverzüglich internationale Beobachter nach Berg-Karabach entsandt werden, forderten Wissler und Schirdewan. Medien und Nichtregierungsorganisationen müssten vor Ort sein, um die Situation aus erster Hand zu dokumentieren und zu berichten. Um eine Beobachtungsmission zu organisieren, stehen den Linken-Chefs zufolge die Vereinten Nationen in der Pflicht.
Wissler und Schirdewan nannten die Berichte aus der umkämpften Region "alarmierend". Die schweren Übergriffe sowie die Androhung von ethnischen Säuberungen erforderten internationale Verurteilung und dringendes Handeln. "Jetzt muss alles getan werden, um die drohenden ethnischen Säuberungen in Berg-Karabach zu verhindern."
Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP/rts