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Nochmal ein Minsker Abkommen? Heusgen: "Es darf nicht so ausgehen wie im Ersten Weltkrieg"

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Die ukrainischen Streitkräfte befinden sich aktuell in der Defensive, die Kreml-Truppen stoßen minimal vor.

Die ukrainischen Streitkräfte befinden sich aktuell in der Defensive, die Kreml-Truppen stoßen minimal vor.

(Foto: IMAGO/Funke Foto Services)

Der ehemalige Berater von Angela Merkel, Christoph Heusgen, setzt im Ukraine-Krieg auf eine Verhandlungslösung, auch wenn für die wenig spricht. Er verteidigt dabei das viel gescholtene Minsker Abkommen, das einst Hoffnungen auf Frieden gemacht hat - und schnell gescheitert ist.

Für ein Ende des Ukraine-Kriegs setzt der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, auf eine Verhandlungslösung - auch in Anlehnung an das gescheiterte Minsker Abkommen. "Es darf nicht so ausgehen wie im Ersten Weltkrieg, mit Hunderttausenden von Toten. Es ist deshalb richtig, dass man überlegt, wie man zu einer Verhandlungslösung kommt", sagte der langjährige außenpolitische Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Und ich denke, man kann sich dabei durchaus am Minsker Abkommen orientieren."

Heusgen verwies auf Aussagen des ukrainischen Oberkommandierenden der Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, wonach es an der Front ein Patt wie an der Westfront im Ersten Weltkrieg gebe. Das Minsker Abkommen war 2015 unter deutsch-französischer Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine in der belarussischen Hauptstadt geschlossen worden. Ziel war, den bereits damals unter russischem Einfluss stehenden Osten der Ukraine zu befrieden. Die meisten Verpflichtungen wurden aber nie umgesetzt. Russland und die Ukraine geben sich gegenseitig die Schuld dafür.

Heusgen sagte nun, er halte es für ungerechtfertigt, dass das Minsker Abkommen einen schlechten Ruf habe. Es sei genauso gut oder schlecht wie das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland die territoriale Integrität unter anderem der Ukraine garantiert hat, oder die Charta der Vereinten Nationen. "Alle drei hat Putin in die Tonne getreten, aber deswegen sind sie nicht schlecht. Putin ist schlecht, weil er sich nicht an internationales Recht hält."

Wenig Aussicht auf Frieden

Es stellt sich in diesem Zusammenhang jedoch die Frage, warum Putin sich langfristig an eine Verhandlungslösung halten sollte, wenn ihn schon vergangene Abkommen wenig interessiert haben. Viele Experten warnen davor, dass die russischen Streitkräfte sich in einer "Friedensphase" neu aufstellen könnten, um später dann gestärkt zuzuschlagen. Der Kreml hat die Rüstungsproduktion des Landes massiv hochgefahren.

Für Waffenstillstands- oder Friedensgespräche spricht derzeit wenig. Alle führenden russischen Politiker hatten in den letzten Wochen bekräftigt, die Kriegsziele des Landes erreichen zu wollen. Auf der anderen Seite strebt die Ukraine nach wie vor an, ihr gesamtes Territorium von den Besatzern zu befreien.

Heusgen sagte weiter: "Ich glaube ganz sicher, dass die Ukraine am Ende dieses schrecklichen Krieges als Gewinner vom Feld geht." Wichtig sei, dass Putin nicht gewinne. Dieser habe sich zum Ziel gesetzt, die Eigenstaatlichkeit der Ukraine auszulöschen und die Regierung in Kiew abzusetzen. Das dürfe ihm nicht gelingen. "Er will zudem verhindern, dass die Ukrainer frei entscheiden, ob sie Mitglied der EU und der NATO werden wollen. Auch hier darf sich Putin nicht durchsetzen."

Melnyk: Minsk ein "fauler Kompromiss"

Ende Dezember hatte ein Bericht der "New York Times" größere Aufmerksamkeit erfahren, in dem es hieß, dass Putin "mindestens seit September über Mittelsmänner" signalisiert habe, dass er für einen Waffenstillstand offen sei, der die Kämpfe entlang der aktuellen Front einfrieren würde.

Das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) warnte anschließend vor solcherlei Offerten, sollte es sie wirklich gegeben haben. Die Forscher verwiesen in einer Analyse auf das "größtenteils nahezu konstante öffentliche Signalisieren des Kremls von Russlands maximalistischen Zielen in der Ukraine". Die Kriegsforscher misstrauen der Annahme, dass Putins Friedensangebote über Mittelsmänner dessen "Gedanken und Wünsche genauer widerspiegeln als die Rhetorik, die er und andere Kreml-Beamte immer wieder öffentlich kundtun."

Der ehemalige Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, sagte kürzlich im Interview mit ntv.de: "Man braucht eine ausgeklügelte Strategie, einen gemeinsamen Nenner, der natürlich auch mit der Ukraine eng abgestimmt werden muss, denn einen neuen faulen Kompromiss wie in Minsk brauchen wir sicher nicht."

Er verwies in diesem Zusammenhang auf "starke Signale in einem geopolitischen Sinn. Auch nach diesem Krieg wird Russland wahrscheinlich nicht verschwunden sein. Ein Thema könnte die Rolle Russlands nach Kriegsende sein - das sollte Putin nicht komplett egal sein."

Melnyk würde sich wünschen, "dass man jetzt auch die diplomatischen Knüppel rausholt. Präsident Selenskyj hat eine Friedensformel ins Spiel gebracht, auf der man eine solche Initiative aufbauen könnte. Im Moment lesen wir doch fast jeden Tag, dass Putin über irgendwelche Vermittler Signale aussendet, dass er zu Gesprächen bereit ist, dass er den Krieg angeblich beenden will."

Quelle: ntv.de, rog/dpa

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