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Andrij Melnyk im Interview "Ich wünsche mir, dass man jetzt die diplomatischen Knüppel rausholt"

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Andrij Melnyk war von 2015 bis zum Oktober 2022 ukrainischer Botschafter in Deutschland. Im Juni 2023 wurde er zum Botschafter der Ukraine in Brasilien ernannt.

Andrij Melnyk war von 2015 bis zum Oktober 2022 ukrainischer Botschafter in Deutschland. Im Juni 2023 wurde er zum Botschafter der Ukraine in Brasilien ernannt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Als Botschafter der Ukraine in Deutschland hatte Andrij Melnyk zuletzt bei vielen nicht den Ruf, besonders diplomatisch zu sein. Im Interview mit ntv.de fordert er nun genau das: Diplomatie. "Ich hoffe immer noch, dass unsere Verbündeten zu der Erkenntnis kommen, dass die Ukraine viel stärker unterstützt werden muss", sagt Melnyk. "Und zwar nicht nur militärisch, auch diplomatisch. In beiden Dimensionen gibt es aus meiner Sicht noch immer einen großen Handlungsbedarf. Das hat in den vergangenen zwei Jahren praktisch gefehlt."

Melnyk fordert "neue, echte Impulse" für Diplomatie. "Da reicht es sicherlich nicht für Olaf Scholz, Putin anzurufen, sich seine Märchen und Lügen anzuhören, um danach zu sagen: Ok, ich habe es zumindest versucht, das macht gar keinen Sinn, das tue ich mir lieber nicht mehr an. Tschüss."

ntv.de: Sie haben kürzlich ein Bild von Ihrer Ankunft in Berlin gepostet und geschrieben, die Stadt sei Ihre zweite Heimat, außerdem noch "Berlin, ich liebe dich!" - warum eigentlich?

Andrij Melnyk: Ich habe hier siebeneinhalb Jahre verbracht. Das waren die prägendsten und bisher erfolgreichsten Jahre meines Berufslebens, aber auch familiär eine sehr wichtige Zeit. Ich habe mich in diese Stadt verliebt. Nicht im ersten und auch nicht im zweiten Jahr. Aber wenn man merkt, wie viel man in Berlin bewegen kann, wie viele Freiräume es hier gibt, wie viele spannende und einflussreiche Menschen man hier kennenlernen kann, nicht nur in der Politik, sondern in allen Bereichen, vor allem in den Medien, dann ändert sich das. Mit diesem Koffer aus Berlin fühle ich mich überall auf der Welt wohl und sicher.

Als Botschafter waren Sie länger als geplant in Berlin. Trotzdem konnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie abkommandiert wurden, weil Sie hier zu sehr auf den Putz gehauen haben. War das so?

Wahrscheinlich, ja. Aber meine Frau Svitlana und ich hatten uns schon 2019 darauf eingestellt, Deutschland verlassen zu müssen, als Wolodymyr Selenskyj Staatschef wurde. Es ist so üblich, dass die Botschafter in wichtigen Staaten nach einem Präsidentenwechsel ausgetauscht werden. Aus Sicht der neuen Regierung war ich wohl ein Teil des alten Systems, gegen das Selenskyj Wahlkampf gemacht hatte. Es war ein Glück, dass er mich in Berlin weiter arbeiten ließ. Dafür bin ich dankbar. Als ich im Sommer 2022, mitten in Russlands Krieg, entlassen wurde, war es aber immer noch sehr schmerzhaft. Damals hatte ich das Gefühl, ich hätte noch mehr tun können, vor allem, viel mehr militärische Hilfe aus Deutschland für meine Heimat holen, auch Kampfjets, weil ich so viele persönliche Kontakte mit allen wichtigen Akteuren hatte und dieses tolle Land so gut verstand. Aber alles hat seine Zeit.

Vertreten Sie die Sache der Ukraine in Brasilien jetzt genauso vehement und kontrovers wie in Deutschland?

Oh ja, es gab schon einige kritische Momente, weil ich sehr direkt bin und starken Druck ausübe. Die Bereitschaft, berechtigte Kritik anzunehmen, ist in politischen Kreisen Brasiliens weniger ausgeprägt als in Deutschland. Milde ausgedrückt. Klar ist, dass ich mich in Brasilien genauso vehement für die Interessen der Ukraine einsetze wie in Berlin, aber doch auf eine andere Art und Weise. Dort habe ich nur zwei Diplomaten an meiner Seite, hier in Berlin hatte ich fast dreißig. Da fühlt man sich manchmal wie Don Quichotte. Aber das spornt mich auch an, viel schneller herauszufinden, welche Argumente dort, in der Regierung oder in der Gesellschaft, überzeugender klingen. Und wie man Brasilien auf die ukrainische Seite ziehen kann. Es gibt auch gewisse Vorteile gegenüber Deutschland.

Welche denn?

In Deutschland gab es lange Zeit nicht nur politisch eine große Nähe zu Moskau. Russland galt hier auch als eine kulturelle Großmacht. Die Deutschen lieben ja russisches Ballett und Literatur. Es gab sogar ein gewisses Gefühl von Seelenverwandtschaft. In Brasilien ist das - Gott sei Dank für uns - anders. Dort steht das pragmatische Eigeninteresse ganz klar im Vordergrund. Russland ist der wichtigste Düngemittellieferant und mittlerweile auch der größte Lieferant von Kraftstoffen. Das hilft der Regierung, im Agrarbereich zu profitieren und die Spritpreise stabil zu halten, also ist der Kreml ein Schlüsselpartner. Aber es fehlt eben diese kulturelle Komponente. Es herrscht hier keine Begeisterung für alles Russische.

Gibt es in Brasilien eine gefühlte Nähe zu Russland, weil die russische Regierung sich antikolonial gibt und den auch in Lateinamerika verbreiteten Antiamerikanismus bedient?

Klar, darin sind die Russen ziemlich gut. Sie bedienen das verbreitete Gefühl, dass die Brasilianer viel selbstbewusster werden und sich aus der Patronage des Westens lösen wollen. Darauf zielt auch das BRICS-Bündnis aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika ab, das gerade neue Staaten wie den Iran aufgenommen hat. Das ist - ohne Zweifel - vielleicht die größte Herausforderung für uns. Denn diese Politik verstehen auch die einfachen Leute in Brasilien: der Wunsch danach, auf Augenhöhe mit den Großmächten behandelt und nicht bevormundet zu werden. Deswegen haben die Russen hier ein leichtes Spiel. Leider hat der Westen in den letzten Jahren da nicht klug gegengesteuert. Es ist aber nie zu spät, die Brasilianer und andere Staaten des globalen Südens davon zu überzeugen, dass uns Ukrainern in diesem ungerechten, revanchistischen Angriffskrieg Russlands geholfen werden muss, und dass diese Linie auch den Eigeninteressen Brasiliens entspricht.

Im Oktober soll der nächste BRICS-Gipfel in Russland stattfinden. Halten Sie es für vorstellbar, dass der brasilianische Präsident Lula da Silva dann dorthin reist?

Ich hoffe sehr, dass Präsident Lula es nicht tut, auch wenn es sein souveränes Recht ist, sich für einen solchen Besuch zu entscheiden. Denn es wäre eine Aufwertung für den Kriegsverbrecher Putin, der die UNO-Charta und das Völkerrecht mit Füßen tritt und kaltblütig befehlt, Tausende Zivilisten in der Ukraine Tag und Nacht zu ermorden. Eine solche Reise wäre daher ein fatales Signal. Etwas anderes wäre es natürlich, wenn Präsident Lula sich persönlich stärker engagieren und auf Putin Einfluss nehmen würde, damit der Kremlchef diesen teuflischen Feldzug so schnell wie möglich beendet. Gerade auf dem diplomatischen Parkett könnte Brasilien mit seiner Soft Power einen sehr wichtigen - vielleicht sogar einen entscheidenden - Beitrag dazu leisten. Aber wenn der russische Krieg schlicht und einfach ausgeblendet wird, genau wie jetzt bei der historischen G20-Präsidentschaft Brasiliens, dann wäre das kein gutes Zeichen. Stattdessen hoffe ich, dass Lula da Silva in diesem Jahr die Ukraine besucht. In den vergangenen zwei Kriegsjahren war kein Staatschef aus Südamerika bei uns, nur der Präsident Guatemalas, Alejandro Giammattei. Es wäre an der Zeit, dass Lula mit eigenen Augen sieht und spürt, welche Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung in Butscha verübt wurden und wie ukrainische Städte - auch Kyjiw - von Russen täglich bombardiert werden.

Niemand weiß, wie lange der Krieg noch dauert. Dennoch die Frage: Wie ist Ihre Prognose - auch vor dem Hintergrund, dass Russland einen längeren Atem hat, als wir erwartet haben oder erwarten wollten?

Mir ist wichtig, dass im Westen verstanden wird, worum es in diesem Krieg geht. Es geht nicht nur um das Existenzrecht der Ukraine. Putin will das westliche Lebensmodell von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten zerstören. Das ist sein größeres Ziel. Das bedeutet, gerade für die Deutschen, dass man viel mehr tun müsste, um Russland dabei zu stoppen. Das hat eine militärische Dimension, aber nicht nur. Wir sind dankbar für den soliden Beitrag Berlins und froh über die wachsende Führungsrolle Deutschlands. Chapeau! Aber um Putin wirklich aufzuhalten, ihn in die Schranken zu weisen, müsste noch viel mehr getan werden. Deutschland hat sich auf die Seite der Ukraine gestellt und damit eine historische Wahl getroffen. Jetzt sollte es keine Zurückhaltung mehr geben.

Sie meinen den Marschflugkörper Taurus.

Sicher, auch Taurus, auch deutsche Kampfjets wie Eurofighter und Tornado. Und vieles mehr. Aber mir geht es vor allem darum, dass militärische und finanzielle Hilfen für die Verteidigung und Befreiung der Ukraine zur eigenen Staatsräson würden. In diesem Jahr unterstützt uns die Bundesregierung mit sieben Milliarden Euro für Waffen. Das ist wirklich beeindruckend. Nur: Das ist leider Gottes immer noch nicht ausreichend, um mit der russischen Kriegsmaschinerie Schritt zu halten. Man bräuchte dringend ein höheres Ziel: ein Prozent der Wirtschaftsleistung der EU, das wären etwa 160 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist eine Menge Geld, das unsere Verbündeten erst erwirtschaften müssen, das verstehen wir auch. Aber wenn man das heute nicht macht, hat Putin womöglich tatsächlich den längeren Atem. Ich möchte daher an die deutsche Gesellschaft und an die Bundesregierung zugleich appellieren, ihre Führungsrolle in der EU beizubehalten und sich für den Ein-Prozent-BIP-Beitrag der Europäer massiv einzusetzen. Gerade angesichts der Ereignisse in den USA.

Wie könnte das Ende dieses Krieges aussehen?

Niemand in der Ukraine will diesen Krieg bis zum letzten Soldaten führen. Uns geht es darum, unsere Staatlichkeit zu bewahren. Das ist das A und O. Leider ist uns das viel zu oft in der Geschichte nicht gelungen. Zuletzt haben wir unsere Staatlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg verloren. Nur vier kurze Jahre, zwischen 1918 und 1922, konnten wir unsere Unabhängigkeit erkämpfen, dann war sie wieder weg, weil sich das kommunistische Russland mit Blut und Terror durchsetzen konnte. Dieses Trauma begleitet uns bis heute. Deswegen ist für uns das Entscheidende, dass die Staatlichkeit und Selbstständigkeit der Ukraine bewahrt werden, dass sie gestärkt werden, dass der ukrainische Staat mitten in Europa bestehen bleibt und möglichst schnell der EU und der NATO beitritt. Und wie der Krieg zu Ende geht? Das ist im Moment schwer zu sagen.

Wovon hängt das ab?

Von mehreren Faktoren. Es kommt in erster Linie auf die Entschlossenheit der Ukrainer an. Wir brauchen aber auch die gleiche Unerschütterlichkeit unserer Freunde im Westen, vor allem hier in Deutschland und natürlich in den USA. Ich hoffe immer noch, dass unsere Verbündeten zu der Erkenntnis kommen, dass die Ukraine viel stärker unterstützt werden muss. Und zwar nicht nur militärisch, auch diplomatisch. In beiden Dimensionen gibt es aus meiner Sicht noch immer einen großen Handlungsbedarf. Das hat in den vergangenen zwei Jahren praktisch gefehlt. Direkte Gespräche zwischen der Ukraine und Russland kann es im Moment nicht geben.

Aber?

Ich glaube, man sollte sich Gedanken machen, wie man einen Zugang zur russischen Führung findet - auf eine Art und Weise, die man heute vielleicht konkret noch nicht erkennt. Im Moment sieht Putin sich als der Stärkere, der die Oberhand gewinnen kann. Eine strategische diplomatische Initiative müsste versuchen, Putin herauszufordern, und dabei auch den globalen Süden stärker einzubinden. Die Großmächte - die USA, Deutschland, Großbritannien, aber auch China, vielleicht Brasilien - sind heute aufgefordert, nicht abzuwarten, wie die große Schlacht ausgeht, sondern selbst aktiv zu werden. Manche werden sich vielleicht an die Initiative von Angela Merkel und François Hollande erinnern, die zur Minsker Vereinbarung im Februar 2015 führten.

Sie berufen sich ausgerechnet auf das Minsker Abkommen?

Ja, dieser Vergleich ist sehr schwierig und wahrscheinlich nicht passend. Die Ukrainer hassen dieses Wort. Aber wenn man nüchtern zurückblickt, hat das Abkommen von Minsk schwarz auf weiß vorgesehen, dass Moskau all die besetzten Gebiete in den Regionen von Donezk und Luhansk bis zum Jahresende 2015 hätte zurückgeben müssen. Fakt ist, dass Putin damals sowohl uns als auch die beiden Vermittler betrogen hat. Das war bitter. Aber andererseits hat das der Ukraine nach der Krim-Annexion sieben Jahre gegeben, um stärker zu werden - stark genug, um auch die aktuelle großangelegte Aggression Russlands besser abwehren zu können. Ja, wir hätten noch viel stärker werden müssen, um einen solchen Krieg überhaupt nicht erst zuzulassen, zusammen mit unseren deutschen und französischen Freunden - Stichwort präventive Aufrüstung. Aber das ist leider nicht geschehen, das ist vorbei. Die Lehren bleiben. Jetzt braucht es - nach meiner persönlichen Meinung - neue, echte Impulse für Diplomatie. Da reicht es sicherlich nicht für Olaf Scholz, Putin anzurufen, sich seine Märchen und Lügen anzuhören, um danach zu sagen: Ok, ich habe es zumindest versucht, das macht gar keinen Sinn, das tue ich mir lieber nicht mehr an. Tschüss.

Haben Gespräche mit Putin denn einen Sinn?

Wenn man ihn nur anruft und sagt: Guten Tag, Herr Putin, wären Sie so nett, endlich Ihre Truppen abzuziehen? - das wird nicht funktionieren. Man braucht eine ausgeklügelte Strategie, einen gemeinsamen Nenner, der natürlich auch mit der Ukraine eng abgestimmt werden muss, denn einen neuen faulen Kompromiss wie in Minsk brauchen wir sicher nicht. Zunächst einmal muss der Westen sich bewusst werden, welche Trümpfe er noch in der Hand hat.

Welche Trümpfe könnten das sein? Die Drohung, mehr Waffen zu liefern, neue Sanktionen?

Das beides brauchen wir auf jeden Fall. Aber vielleicht auch starke Signale in einem geopolitischen Sinn. Auch nach diesem Krieg wird Russland wahrscheinlich nicht verschwunden sein. Ein Thema könnte die Rolle Russlands nach Kriegsende sein - das sollte Putin nicht komplett egal sein. Dafür braucht man eine strategische Vision. Kreativität. Mut. Und dann braucht man auch Gespräche. Ja, ein Gespräch kann Wunder bewirken. Vielleicht ist es nur mein Wunschdenken. Aber ich würde mir wünschen, dass man jetzt auch die diplomatischen Knüppel rausholt. Präsident Selenskyj hat eine Friedensformel ins Spiel gebracht, auf der man eine solche Initiative aufbauen könnte. Im Moment lesen wir doch fast jeden Tag, dass Putin über irgendwelche Vermittler Signale aussendet, dass er zu Gesprächen bereit ist, dass er den Krieg angeblich beenden will.

Und dann bestreitet Kreml-Sprecher Peskow, dass es solche Signale gegeben hat.

Klar, das ist ein mieses Spiel, aber man muss sogar hier die Zwischentöne heraushören. Wir wissen nicht, ob Russland ein Interesse an Gesprächen hat. Sieht Putin sich am längeren Hebel oder hat er doch ein Interesse, den Krieg zu stoppen, sein Gesicht noch zu wahren? Wie groß muss der Preis sein, damit Frieden in der Ukraine einkehrt? Das wissen wir nicht.

Sie wünschen sich eine diplomatische Initiative des Westens?

Als Bürger wünsche ich mir eine stärkere diplomatische Initiative des Westens mit Teilnahme von anderen Akteuren, auch des globalen Südens, vor allem Chinas, vielleicht auch Brasiliens. Im Moment ist Peking in all die Gespräche nicht wirklich eingebunden, bei denen ohne Beteiligung Russlands über ein mögliches Ende des Krieges derzeit gesprochen wird.

Sollte der Bundeskanzler sich mit Putin treffen?

Warum sollte Herr Scholz sich nicht mit Putin treffen? Man muss ihn vielleicht nicht gerade nach Deutschland für ein Bier einladen oder selbst nach Moskau fliegen. Aber auch im Kalten Krieg gab es Treffen, auf Island beispielsweise, wo man dann hinter geschlossenen Türen Tacheles gesprochen hat. Es geht darum, triftige Argumente zu finden, die Putin versteht - auch solche, die vielleicht verrückt klingen. Ich glaube, dass Putin nach wie vor ein rational denkender Mensch ist. Vielleicht gibt es Punkte, die Putin parallel zum noch stärkeren militärischen Druck zu der Erkenntnis kommen lassen, dass es besser wäre, den Krieg sofort zu beenden. Als Sieg für die russische Gesellschaft kann er sowieso sogar die schlimmste Niederlage verkaufen.

Sie glauben, Putin denkt rational?

Ich glaube schon. Wenn sein erster Angriff auf die Ukraine 2014 gescheitert oder die Invasion vom Februar 2022 schnell zusammengebrochen wäre, dann würden die Russen ihn als Loser sehen, dann hätte er keine Zukunft gehabt. Aber leider ist das nicht eingetreten. Man weiß nicht, wie groß die Unterstützung für Putin in Russland tatsächlich ist, aber er scheint das Land zu kontrollieren, vielleicht stärker als vor dem Krieg.

Sie sind gerade in Berlin, auf dem Rückweg von Kiew nach Brasilien. Wie haben Sie die Stimmung in der ukrainischen Hauptstadt wahrgenommen?

In Kyjiw ist mehrmals am Tag Luftalarm, und eigentlich müsste man ständig in einen Luftschutzkeller gehen. Aber die meisten tun das nicht: Man blendet den Krieg zwar nicht aus, aber man versucht doch, nicht die ganze Zeit an ihn zu denken. Man bekommt ständig schlechte Nachrichten: Jemand, den man kannte, ist gestorben, eine Stadt wurde bombardiert, in der Freunde oder Verwandte leben. Meine Schwiegermutter wohnt im Zentrum von Kyjiw. In den letzten Wochen hat sie die Raketen nicht nur gehört, sondern über ihrem Haus fliegen sehen. Die Einschläge sind so stark, dass sie die Erschütterung spürt - alles wackelt: die Fenster, das ganze Haus. Das ist ein morbides Gefühl, das man schwer beschreiben kann. Irgendwie muss man aber überleben, irgendwie muss man dazu beitragen, dass das Land überlebt. Dieser Horror für die Menschen muss sein Ende finden.

Mit Andrij Melnyk sprachen Volker Petersen und Hubertus Volmer. Das Interview wurde am vergangenen Montag geführt.

Quelle: ntv.de

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