Eher Lawrow und Medwedew glauben ISW warnt vor Putins Waffenstillstandsangebot
29.12.2023, 13:11 Uhr Artikel anhören
Die Rhetorik der Kreml-Führung lässt laut der US-Denkfabrik ISW nicht darauf schließen, tatsächlich an Frieden interessiert zu sein.
(Foto: picture alliance/dpa/Sputnik Kremlin Pool via AP)
Laut der "New York Times" signalisiert Wladimir Putin über Mittelsmänner dem Westen seine Bereitschaft zu einem Waffenstillstand. Das Institut für Kriegsstudien warnt eindringlich davor, darauf einzugehen: Diese Offerte passe nicht zur Rhetorik der Kreml-Führung.
Vor kurzer Zeit erhält ein Bericht der "New York Times" über ein angeblich geheimes Waffenstillstandsangebot des russischen Präsidenten Wladimir Putin große Aufmerksamkeit. Der Kremlchef soll laut der Zeitung "mindestens seit September über Mittelsmänner" signalisiert haben, dass er für einen Waffenstillstand offen sei, bei dem die Kämpfe entlang der aktuellen Front eingefroren würden. Das hätten zwei ehemalige hochrangige russische Beamte, die dem Kreml nahestehen, sowie amerikanische und internationale Beamte, mitgeteilt, die die Botschaft von Putins Gesandten erhielten.
Das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) hält nichts von den Offerten aus dem Kreml, sollte es sie tatsächlich gegeben haben: Die Forscher der militärischen Denkfabrik warnen in einer Analyse davor, das "größtenteils nahezu konstante öffentliche Signalisieren des Kremls von Russlands maximalistischen Zielen in der Ukraine" zu ignorieren. So hatte erst vor einigen Tagen die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, erklärt, eine Beilegung des Konflikts sei nur durch das Erreichen der "Ziele der speziellen Militäroperation" möglich.
Große Zweifel an Putins Aufrichtigkeit
Es gebe "mehrere Gründe, zu glauben, dass Putins Waffenstillstandsangebot nicht aufrichtig sein könnte", schreibt das ISW. Möglicherweise beabsichtige der Kremlführer, "die Zeit, die er für längere Verhandlungen aufwenden müsste, zu seinem politischen und militärischen Vorteil zu nutzen".
Die Kriegsforscher misstrauen der Annahme, dass Putins Friedensangebote über Mittelsmänner dessen "Gedanken und Wünsche genauer widerspiegeln als die Rhetorik, die er und andere Kreml-Beamte immer wieder öffentlich kundtun." Diese Rhetorik habe wiederholt darauf hingewiesen, dass Russland nicht daran interessiert sei, in gutem Glauben mit der Ukraine oder dem Westen zu verhandeln.
Medwedew will weitermachen
In diesem Zusammenhang wird unter anderem ein aktuelles Interview des stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, genannt. Dem russischen Staatsmedium RIA Nowosti sagte dieser auf die Frage nach der Möglichkeit von Verhandlungen im nächsten Jahr, dass man die "spezielle Militäroperation", wie die Invasion in Russland genannt wird, fortsetzen werde. Russlands Ziel sei die "Entwaffnung ukrainischer Truppen", womit laut Einschätzung des ISW die Entmilitarisierung des Landes gemeint ist.
Medwedew erneuerte zudem Vorwürfe des angeblichen "Neonazismus durch den aktuellen ukrainischen Staat" und sprach davon, einen Regimewechsel in Kiew erreichen zu wollen.
Zudem behauptete der Ex-Präsident, dass Odessa, Dnipro, Charkiw, Mykolajiw und Kiew "russische Städte" seien. Die Aussagen sieht das ISW als Anzeichen dafür, dass Russland beabsichtigen könnte, Gebiete auch jenseits der aktuellen Frontlinie zu besetzen - und diese eben nicht einzufrieren, wie es Putins Mittelsmänner angeblich offerierten. Unter Berufung auf nachrichtendienstliche Quellen hatte auch die "Bild"-Zeitung vor wenigen Wochen berichtet, dass Putin bis 2026 alle Gebiete links des Flusses Dnipro erobern wolle, also weite Teile der Regionen Saporischschja, Dnipro und Charkiw.
Lawrow trauert Sowjetunion hinterher
Auch Aussagen des russischen Außenministers Sergej Lawrow, welcher RIA Nowosti kürzlich ebenfalls ein Interview gab, passen laut den Kriegsforschern nicht zu einem Waffenstillstandsangebot. Lawrow behauptete, es sei der Westen, der nach einem Weg suche, den Krieg in der Ukraine zu beenden, um gleichzeitig einen ukrainischen Sieg zu erklären. Dies sei laut ISW "möglicherweise eine Reaktion auf die westlichen Berichte über Russlands Bereitschaft, zu verhandeln", die es mit dem Aufkommen des Artikels in der "New York Times" gab.
Lawrow bedauerte zudem den Zerfall der Sowjetunion und sagte, Ukrainer und Russen seien "ein Volk". Kiews Forderungen nach der Rückkehr zu ihren Grenzen von 1991 seien "Forderungen nach einem Völkermord" behauptete er.
ISW: "Säuberungskampagnen" in besetzten Gebieten
Fernab der Rhetorik von führenden russischen Politikern führt das ISW auch die Zustände in den besetzten Gebieten als Argument gegen ein Einfrieren des Konflikts an, was einer Abtretung von Territorium gleichkommen könnte. "Russische Streitkräfte und Verwaltungen führen großangelegte und gezielte ethnische Säuberungskampagnen durch, indem sie Ukrainer gewaltsam und illegal nach Russland deportieren und sie durch Russen und Migranten aus Russland ersetzen", heißt es in der Analyse.
Die Verwaltungen hätten Zehntausende ukrainischer Kinder illegal nach Russland deportiert, um sie von russischen Familien adoptieren zu lassen und würden "systematisch daran arbeiten, die ukrainische Sprache, Kultur, Geschichte und Ethnizität in den von russischen Streitkräften besetzten Gebieten zu eliminieren". Es sind Vorwürfe, die auch das "National Resistance Center", das von den Spezialkräften der ukrainischen Armee gegründet wurde, immer wieder dokumentiert.
Die Regierung in Kiew, die den andauernden Verteidigungskrieg gegen Russland nur dank westlicher Waffen- und Finanzhilfen aufrechterhalten kann, hat bislang keine Bereitschaft zu Gebietsabtretungen erkennen lassen. Die Ukraine fordert von Moskau nach wie vor, alle Truppen von ihrem Territorium abzuziehen.
Quelle: ntv.de, rog