Der Kriegstag im Überblick Horror in Kramatorsk - Gefechte verlagern sich nach Osten
08.04.2022, 21:22 Uhr
Mindestens 50 Menschen kommen beim Angriff in Kramatorsk ums Leben.
(Foto: REUTERS)
Der Ukraine-Krieg verlagert sich immer mehr in den Osten des Landes. Wie angekündigt konzentriert sich die russische Armee auf die Region Donbass. Dort kommt es auch zu einem folgenschweren Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk. Dutzende Zivilisten sterben, Russland und die Ukraine geben sich einander die Schuld. Derweil begibt sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nach Butscha. Der 44. Kriegstag im Überblick.
Keine russischen Truppen mehr in Region Sumy
Die Ukraine hat die nordostukrainische Region Sumy von russischen Truppen befreit. Auf dem Territorium gebe es keine russischen Einheiten mehr, teilte der Chef der Gebietsverwaltung von Sumy, Dmytro Schywyzkyj, auf Facebook mit. Sollten noch Explosionen zu hören sein, handele es sich um Munition und Minen, die russische Einheiten zurückgelassen hätten, und die nun von Rettungskräften und Sprengstoffexperten neutralisiert würden. Schywyzkyj zufolge haben die russischen Truppen am Sonntag mit ihrem Rückzug aus der Region begonnen. Sie gehört neben den Gebieten Donezk, Luhansk, Charkiw und Kiew zu jenen, um die seit Kriegsbeginn gekämpft wurde.
Ukraine: Russische Hauptanstrengung auf Mariupol
Im Südosten bleibt die Stadt Mariupol weiter hart umkämpft. Auch wenn die Hafenstadt größtenteils zerstört ist, bleibt sie ein strategisch wichtiger Posten. Die Militärexperten des US-Kriegsforschungsinstituts Institute for the Study of War stellten fest, dass die russischen Streitkräfte "wahrscheinlich" in den kommenden Tagen die Eroberung von Mariupol abschließen könnten. Das russische Staatsfernsehen berichtete, das Zentrum der Großstadt am Asowschen Meer sei bereits eingenommen. In der Stadt seien aber noch 3000 ukrainische Kämpfer, hieß es.
Viele Tote nach Angriff in Kramatorsk
Angriffe auf zivile Ziele waren im Ukraine-Krieg fast schon an der Tagesordnung, die Raketenattacke auf den Bahnhof der ostukrainischen Stadt Kramatorsk stellt allerdings eine neue Stufe dar. Dort warteten nach Angaben von Gouverneur Pawlo Kyrylenko Tausende Menschen darauf, mit dem Zug fliehen zu können. Laut dem ukrainischen Eisenbahnchef Olexander Kamischyn schlugen zwei Raketen ein. 50 Menschen kamen ums Leben, darunter fünf Kinder. Bei der Attacke auf den Bahnhof der Stadt wurden zudem 98 Menschen verletzt, davon 16 Kinder. Auf Videos und Fotos waren leblose Menschen neben zurückgelassenen Koffern und Taschen sowie einem Kinderwagen zu sehen. Die ukrainische Führung hatte Menschen in der Ostukraine aufgerufen, sich in Sicherheit zu bringen, weil eine russische Offensive erwartet wird.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte Russland für die Attacke verantwortlich. Seinen Angaben zufolge handelte es sich bei den Geschossen um Raketen des Typs "Totschka-U". Auch prorussischen Separatisten sprachen von einer "Totschka-U", behaupteten aber, ukrainische Truppen hätten sie abgefeuert.
Borodjanka "schrecklicher" als Butscha
Mit dem Rückzug der russischen Truppen gen Osten kommen rund um die Region Kiew immer mehr Kriegsgräuel ans Tageslicht. In der Kleinstadt Borodjanka bei Kiew, wo Aufräumarbeiten liefen, sei es "viel schrecklicher" als in Butscha, betonte Selenskyj in einer Rede. Dort gebe es "noch mehr Opfer".
In anderen Städten und Dörfern ist die Lage ähnlich. In der nordukrainischen Stadt Tschernihiw sind nach Angaben des Bürgermeisters etwa 700 Menschen während der russischen Belagerung getötet worden. Mindestens 40 weitere würden vermisst, sagte Wladyslaw Atroschenko nach Angaben der Agentur Unian. Von den mehr als 285.000 Einwohnern, die Tschernihiw einst zählte, seien mittlerweile nur noch maximal 95.000 übrig. Die Stadt ist zu rund 70 Prozent zerstört.
Unweit von Kiew wurden im Ort Makariw nach Angaben des Bürgermeisters 132 Zivilisten erschossen aufgefunden. Die meisten Toten seien in Massengräbern entdeckt worden, sagte Wadym Tokar im ukrainischen Fernsehen. Das mehr als 50 Kilometer westlich von Kiew gelegene Dorf sei zu etwa 40 Prozent zerstört, sagte der Bürgermeister. Es gebe derzeit weder Strom- noch Gas-Versorgung.
EU-Kommissionspräsidentin am Ort des Grauens
Um sich eine Bild von der Lage in der Ukraine zu machen, reiste EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erst nach Kiew, anschließend nach Butscha. Dort wohnte die frühere Bundesverteidigungsministerin der Exhumierung von Leichen eines Massengrabes bei. Am Wochenende hatten vor allem Bilder von teils gefesselten Leichen auf den Straßen des Kiewer Vororts Butscha Entsetzen ausgelöst. Die Ukraine macht russische Truppen für die Gräueltaten an Hunderten Bewohnern verantwortlich. Moskau bestreitet das und spricht von einer "Inszenierung" und Provokation", ohne dafür Beweise vorzulegen. Von der Leyen machte die russischen Truppen für das Massaker verantwortlich: "Wir haben das grausame Gesicht von Putins Armee gesehen, wir haben die Rücksichtslosigkeit und die Kaltherzigkeit gesehen, mit der sie die Stadt besetzt hat", sagte die deutsche Politikerin in Butscha. "Hier in Butscha haben wir gesehen, wie unsere Menschlichkeit zertrümmert wurde, und die ganze Welt trauert mit den Menschen in Butscha."
Als Reaktion auf das Massaker an Zivilisten in Butscha beschlossen die EU-Mitgliedsstaaten zuvor weitere Sanktionen gegen Russland. Darunter sind ein Importverbot für Kohle aus Russland sowie neue Beschränkungen für den Handel und ein weitgehendes Einlaufverbot für russische Schiffe in EU-Häfen. Mittlerweile froren EU-Staaten Vermögenswerte in Höhe von rund 30 Milliarden Euro von sanktionierten Personen und Einrichtungen aus Russland und Belarus ein.
Trotz Kriegsgräuel: Ukraine und Russland wollen weiter verhandeln
Russland und die Ukraine wollen ihre Verhandlungen über einen Waffenstillstand in der Türkei trotz der Kriegsgräuel von Butscha fortsetzen. "Sowohl Russland als auch die Ukraine sind willens, die Gespräche in der Türkei zu führen. Sie sind aber weit davon entfernt, sich auf einen gemeinsamen Text zu einigen", sagte ein türkischer Regierungsvertreter. Ein Termin für die nächste Verhandlungsrunde stehe noch nicht fest. Offen sind den Angaben zufolge unter anderem Fragen rund um den Status der Donbass-Region sowie jenem der 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Auch Fragen im Zusammenhang mit den von der Ukraine geforderten Sicherheitsgarantien seien ungeklärt.
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Quelle: ntv.de, mba/dpa