Wieduwilts Woche

Gerüchte düngen den Boden Begeht Israel einen Genozid in Gaza?

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Für diese Demonstrantin in New York ist der US-Präsident "Genozid-Joe".

Für diese Demonstrantin in New York ist der US-Präsident "Genozid-Joe".

(Foto: picture alliance / Sipa USA)

Die "Israelkritik" hat neue Munition gefunden: Öffentlichkeitswirksame Klagen und Strafanzeigen sollen endlich die deutsche Staatsräson kippen.

Draußen blühen die Kirschen, die Menschen trinken Cappuccino im T-Shirt, steigen wir also mit etwas Leichtem in die Kolumne ein: Begeht Israel einen Genozid in Gaza?

Daran besteht, hört man sich die Debatten in der Öffentlichkeit an, kaum ernsthaft Zweifel. Auf den Plattformen feuern Propagandisten aller Couleur sofort ihre Belege aus den Rohren: Da ist Israel wegen Genozid "angeklagt", hat das "Internationale Strafgericht" es schon verurteilt und übrigens spräche ja die Zahl der Toten in Gaza für sich. Jeder einzelne dieser Nebensätze enthält je eine Lüge.

Mit der "Anklage" meinen diese Leute eine Klage - aber Anklage klingt halt drastischer. Der Unterschied ist groß. Eine Klage kann jeder einreichen, eine Anklage nur ein Staatsanwalt. Noch heute könnte ich ein Fax auf den Weg bringen und den Papst verklagen, weil mein Handy kaputt ist. Ähnlich ist es mit Strafanzeigen: Es gibt keinerlei Limit, wie unsinnig eine Strafanzeige sein darf.

Für Gerüchte braucht es keine Fakten

Eine Klage gegen Israel gibt es, eingereicht von Südafrika, aber eben beim Internationalen Gerichtshof - nicht beim Internationalen Strafgerichtshof. Das ist ein ziemlicher Unterschied. Daneben hat Südafrika Eilanträge gestellt, um Israel von weiteren Kriegshandlungen abzuhalten.

Und ein Urteil gibt es in der Sache nicht, der Internationale Gerichtshof hat lediglich eine einstweilige Anordnung erlassen - weil er Südafrikas Antrag jedenfalls in Teilen für plausibel hält und, das ist entscheidend, man einen Genozid nicht geschehen lassen könne und später drüber urteilt. Es gibt da keinen Raum für Korrektur. Das Gericht hat Israel daher lediglich aufgegeben, Schutzmaßnahmen zu treffen.

Doch wen interessieren juristische Feinheiten? Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden, sagte Theodor W. Adorno. Und für Gerüchte braucht es keine Fakten - Anzeigen und Klagen reichen völlig aus. Da ist es unerheblich, dass Hamas-Terroristen noch immer deutlich über 100 Geiseln gefangen halten.

Flirt mit dem G-Wort

Im "Spiegel" etwa schafft es eine Journalistin, in einem Leitartikel (!) durch diffuse Andeutungen den Eindruck zu erwecken, diese Sache mit dem Genozid sei eigentlich sonnenklar. Beim Einstieg flirtet sie so heftig mit dem Wort "Genozid", dass man den beiden ein Hotel empfehlen möchte: "Aus der legitimen Selbstverteidigung Israels ist ein Vernichtungsfeldzug geworden." Vernichtung, zwinkerzwinker.

Einige Zeilen später schreibt sie, Kriegsverbrechen würden stattfinden, "darüber scheint man sich unter Völkerrechtlern weltweit recht einig zu sein". "Scheint", "recht", naja, für Israel reicht’s. Dann schwenkt sie über zum rhetorischen Strohmann: Jeder, der das Wort "Genozid" in den Mund nehme, werde als Antisemit bezeichnet. Sie hofft offenbar auf dumme Leser: Denn Kriegsverbrechen sind durchaus etwas anderes als Völkermord.

Kriegsverbrechen sind Verletzungen der Kriegsregeln. Attacken auf die Zivilbevölkerung und Kriegsgefangene, Attacken auf Krankenhäuser, Chemiewaffen, so etwas. Kriegsverbrechen sind die grausame Begleitmusik einer jeden kriegerischen Auseinandersetzung. Es würde mich wundern, wenn es in Gaza keine Kriegsverbrechen gäbe. Anders als aufseiten der Hamas besteht in Israel zumindest die Möglichkeit einer juristischen Ahndung.

Das seltsamste Verbrechen

Völkermord ist, jedenfalls als Tatbestand, jung: Das Völkerrecht hat ihn 1948 definiert, nachdem die Weltgeschichte die versuchte Auslöschung der Juden bemerkte - durch die Deutschen. Völkermord wird als das schlimmste aller Verbrechen bezeichnet, es ist aber auch das seltsamste. So kann juristisch womöglich schon genügen, einen einzigen Menschen zu ermorden.

Denn Völkermord bedeutet nicht, dass man besonders viele Menschen tötet. Es muss um bestimmte Menschen einer Gruppe gehen und es muss der Wille nachgewiesen werden, dass diese Morde der Vernichtung dieser Gruppe dienen - sei es durch Verhinderung von Geburten.

Es ist daher perfide, den Genozid-Vorwurf wie Streumunition über einen Text zu streuseln, ohne zumindest kurz eine Begründung zu liefern. Eine mögliche gäbe es, denn manche israelischen Politiker haben nach dem 7. Oktober durchaus Vernichtungswünsche geäußert - man müsse Gaza auslöschen etwa, andere haben Palästinenser als Tiere bezeichnet. Das aber unterscheidet den Verdacht vom Gerücht: Das Gerücht kommt ohne Belege aus.

Israel ist der Jude unter den Staaten

Aber was rede ich: Wenn es um Israel geht, braucht es keine Herleitungen. "Israel ist der Jude unter den Staaten", lautet ein bitterer Satz. Und den Juden ist bekanntlich alles zuzutrauen. Machen wir uns nichts vor: Wenn es nach dem Globalen Süden ginge, würde man Israel zugunsten langfristiger Gemütlichkeit von der Karte reißen wie ein blutiges Pflaster. (Und das wäre tatsächlich ein Genozid.)

Dennoch bleibt das G-Wort nonchalant in der Öffentlichkeit, ganz beiläufig. Im Deutschlandfunk kommt eine Aktivistin zu Wort, eingeführt als "Völkerrechtlerin Nora Salem, Professorin an der deutschen Universität in Kairo". Salem unterstützt die fantasievolle Strafanzeige gegen den deutschen Sicherheitsrat wegen Beihilfe zu Völkermord.

Auf X präsentiert sie sich mit Wassermelonen-Emoji, ein Zeichen, das palästinensische Aktivisten als Symbol für "Rebellion" verwenden. Auf Instagram bezeichnet Salem den Kriegseinsatz Israels als "neuen Holocaust".

Salem wird nun zur Einordnung einer Klage angeführt, die Nicaragua gegen Deutschland eingereicht hat. Die Logik dieses brutal-diktatorisch geführten Krisenstaats: Deutschland liefere Waffen und unterstütze damit einen Völkermord. Salems sagt gleich zu Beginn den verblüffenden Satz, dass Deutschland nach dem 7. Oktober den Boden des Völkerrechts verlassen habe und aktiv einen Genozid unterstütze. Es ist als Jura getarnte propalästinensische Propaganda.

Judenhass: Ein Perpetuum Mobile

Man reibt sich die Augen: Mit größter Lust und Akribie spürt die Öffentlichkeit der israelischen Armee nach - während die rechtliche Einordnung des Massakers vom 7. Oktober und der anhaltenden Gefangenschaft von über 100 Geiseln kaum jemanden zu kümmern scheinen.

Jedes Interview und jeder Text, der Völkermord mal eben so in den Raum stellt, zementiert ein Genozid-Gerücht über die Juden, während auf der anderen Seite Intellektuelle wie Judith Butler das Massaker der Hamas als bewaffneten Widerstand verbrämen.

Wir können uns noch auf viele Filmfeste und Kunstausstellungen freuen, die das Genozid-Gerücht dann wieder "künstlerisch" "verarbeiten" werden. Der Boden für Antisemitismus bleibt so gut gedüngt und fruchtbar, wie eh und je.

Quelle: ntv.de

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