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Trumps Telefonat mit Putin In der Ukraine herrscht ein Gefühl des Schocks

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Präsident Selenskyj äußerte sich beim Besuch des Kernkraftwerks Chmelnyzkyj über das Telefonat von Trump und Putin.

Präsident Selenskyj äußerte sich beim Besuch des Kernkraftwerks Chmelnyzkyj über das Telefonat von Trump und Putin.

(Foto: dpa)

Im Kern ist nichts Unerwartetes passiert. Dennoch steht die Ukraine nach dem Telefonat von Präsident Trump mit seinem russischen Amtskollegen Putin unter Schock. Selbst Staatschef Selenskyj deutet Missbilligung an.

In seiner allabendlichen Ansprache am Mittwoch versuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj noch, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er sprach vor allem vom "guten Gespräch" mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen Donald Trump. Ähnlich äußerte sich Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak, der bei Kontakten mit Washington stets die erste Geige spielt. Aber am Donnerstag war dann doch eine gewisse Enttäuschung bei Selenskyj zu spüren, als er in der Region Chmelnyzkyj mit Journalisten sprach. Es sei "nicht besonders angenehm" gewesen, dass Trump zunächst mit Wladimir Putin und dann mit ihm telefoniert habe. Die Ukraine strebe an, Treffen mit den USA durchzuführen, um gemeinsam einen Plan auszuarbeiten, wie Russland gestoppt werden könne, sagte Selenskyj. Erst dann könne man auf fairer Basis mit Moskau reden.

Dass Selenskyj sich damit, auch wenn leise, Kritik an Trump erlaubt, ist bezeichnend. Es liegt auf der Hand, dass man sich im Kiewer Präsidialamt ein anderes Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen gewünscht hatte. Seit Trumps Wahlsieg ist aus Kiew über den neuen Präsidenten jedoch fast ausschließlich Lobendes zu hören, auch wenn manche dieser Aussagen Selenskyj und seinem Team schwerfallen dürften.

In einer Situation, in der das Überleben der ukrainischen Staatlichkeit von der militärischen Hilfe aus den USA abhängt, hat man jedoch keine andere Wahl. "Nicht besonders angenehm" ist ein vorsichtiger Ausdruck des Schocks, unter dem viele in der Ukraine am Donnerstagmorgen aufgewacht sind. "Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem zwei Nuklearmächte über das Schicksal eines anderen Landes entscheiden wollen", betonte etwa der bekannte Publizist und Analytiker Witalij Portnykow. Die Zukunft der Ukraine als Staat stehe auf dem Spiel, maximale innere Einigkeit sei notwendig.

In Kiew denkt man an "München" und "1938"

Dabei ist bisher im Kern nichts Unerwartetes passiert. Denn dass es einen Gesprächsversuch zwischen Trump und Putin geben würde, war im Voraus klar. Ebenso, dass ein persönliches Treffen zwischen den beiden zumindest möglich ist. Genauso ist den meisten Ukrainern bewusst, dass die Wiederherstellung der vollen territorialen Integrität des Landes auf absehbare Zeit unrealistisch ist. Die Ukrainer sind auch nicht naiv genug, um zu glauben, dass ihr Land mit Trump im Weißen Haus in die NATO aufgenommen werden kann.

Doch es ist genau das Gefühl, dass sich so gut wie alle Befürchtungen mit Blick auf Trump bewahrheiten könnten, das die Ukraine in den Schockzustand versetzt hat. Schließlich hatte die Mehrheit der Ukrainer mit gewissem Zweckoptimismus auf Trump geschaut. Es gibt wenige Begriffe, die im politischen Kiew derzeit häufiger verwendet werden als "München" und "1938". Im Münchner Abkommen gab der damalige britische Außenminister Chamberlain Nazideutschland faktisch grünes Licht für den Einmarsch in das tschechoslowakische Sudetenland. Das Abkommen gilt als Beispiel für gescheiterte "Appeasement"-Politik.

Aus ukrainischer Sicht ist vor allem beunruhigend, dass Trump und sein Verteidigungsminister Pete Hegseth im Voraus Verhandlungspositionen räumen. Mykola Beleskow, Sicherheitsexperte am Nationalen Institut für strategische Studien, sieht es als großes Problem, dass es sich dabei bisher ausschließlich um Zugeständnisse handelt, die die unabhängige Ukraine machen müsste - die Frage, welche Kompromisse Moskau denn eingehen sollte, wird dabei gar nicht thematisiert. Zudem ist der US-Präsident nicht einmal in der Lage, die russische Aggression gegen die Ukraine zu verurteilen. Die Angst, dass Trump einen Frieden gegen die Interessen der Ukraine erzwingen oder gar ohne die Ukraine und auch ohne Europa verhandeln könnte, ist groß.

In München wird Selenskyj mit Vance sprechen

"Es wird großer Druck auf die Ukraine ausgeübt, und das gesamte Spiel wird nicht von uns angeführt", schreibt die ukrainische Journalistin Julija Sabelina, die über gute Kontakte zu US-Republikanern verfügt. "Das heißt nicht, dass wir gleich in die Sterbegrube fallen sollten." Die USA würden die Ukraine aber mit Sicherheit dazu bewegen wollen, sich mit einer Entscheidung zu beeilen. Das Gute sieht Sabelina darin, dass sich auch ukrainische Kontakte mit dem Trump-Team intensiviert haben und bei der Münchner Sicherheitskonferenz ein längeres Treffen Selenskyjs mit US-Vizepräsident J.D. Vance ansteht.

Als negatives Zeichen sieht man es allerdings in der Ukraine, dass Trump unter den für Verhandlungen verantwortlichen Personen ausgerechnet seinen Sondergesandten für die Ukraine und Russland, General Keith Kellogg, nicht nannte. Kellogg soll eher zu jenen gehören, die für eine Erhöhung des militärischen Drucks auf Russland plädieren, um eine bessere Verhandlungsposition zu erreichen. Nicht nur das dürfte Moskau missfallen: Kelloggs Tochter Meaghan Mobbs leitet eine Stiftung, die in der Ukraine humanitäre Hilfe leistet.

In jedem Fall steht fest: Für die Ukraine ist die Situation mit Trumps Amtsantritt ungünstiger geworden, Putin dürfte sich auf der Siegerstraße sehen. Weil es aber weiterhin unwahrscheinlich ist, dass Trump den Appetit des Kremlherrschers vollständig befriedigen wird, bleibt die Hoffnung, dass er nach einem Scheitern der Gespräche eine Kehrtwende vollzieht und die Ukraine dann noch stärker unterstützen lässt. Auch das würde zu Trump passen.

Quelle: ntv.de

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