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CDU-Außenpolitiker Kiesewetter "Trump lässt damit die Ukraine fallen"

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Aus Sicht von CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter begeht Trump einen riesigen Fehler.

Aus Sicht von CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter begeht Trump einen riesigen Fehler.

(Foto: IMAGO/Newscom / AdMedia)

US-Präsident Trump will mit dem russischen Diktator Putin verhandeln - CDU-Außenpolitiker Kiesewetter reagiert mit Entsetzen. Im Interview mit ntv.de vergleicht er die Lage mit dem Münchener Abkommen 1938 und warnt vor einem russischen Angriff auch auf Deutschland.

ntv.de: Herr Kiesewetter, nach dem Telefonat von US-Präsident Donald Trump mit Wladimir Putin - darf man jetzt auf schnellen Frieden in der Ukraine hoffen oder lässt Trump die Ukraine gerade fallen?

Roderich Kiesewetter: Es ist kein Frieden, wenn der Aggressor für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, Zerstörung und genozidale Angriffe mit Territorium belohnt wird. Das wird Russland eher motivieren, seine Angriffe nach einer gewissen Zeit fortzusetzen, den Krieg auszuweiten. Trump lässt die Ukraine damit fallen. Entweder eine europäische Koalition der Willigen bildet sich jetzt oder es ist das Ende der europäischen Nachkriegsordnung und wir fallen zurück in das Zeitalter des Imperialismus.

Wie muss man sich Verhandlungen vorstellen? Beugen sich Putin und Trump gemeinsam über eine Landkarte? Säße Selenskyj mit am Tisch? Oder der deutsche Bundeskanzler? Oder ein anderer Europäer?

Verhandlungen mit einem Kriegsverbrecher normalisieren ihn. Ich weiß nicht, über was die USA verhandeln wollen, wenn Trump schon alles vorgibt und die Ukraine als Objekt behandelt. Die Ukraine ist ein souveräner Staat - wenn über ihren Kopf verhandelt wird, zerstören die USA damit die Nachkriegsordnung und internationales Recht. Es kann nicht sein, dass die Ukraine ex-post dann informiert wird, was mit ihr passiert. Wir haben doch 1938 in München gesehen, womit es endet, wenn man den Aggressor belohnt.

Trump bezeichnet sich als großen Dealmaker. Wie könnte ein Deal aussehen? Die Frontlinie da einfrieren, wo sie jetzt ist?

Ein solcher Deal wird platzen und ein "Einfrieren" zementiert Landraub. Zumal ein Waffenstillstand immer von Russland getestet wird. Putin wird diesen Waffenstillstand auch nutzen, um schnell wieder aufzurüsten und seine sowieso schon extrem militarisierte Gesellschaft auf eine Art "Dritten Vaterländischen Krieg" einzustellen.

Wie lange könnte ein Waffenstillstand halten? Nach dem Minsker Abkommen waren es nur einige Tage, oder?

Er würde so lange halten, bis Russland seine Truppen neu aufgestellt und sich erholt hat. Ich sehe aber nicht Sinn oder Bereitschaft, dass ein solcher desaströser Waffenstillstand von irgendjemandem abgesichert würde. Denn ein Waffenstillstand wäre nicht einmal ein Minsk 3, sondern ein München 2.

Müssen wir uns darauf einstellen, dass NATO-Truppen und womöglich Tausende Bundeswehrsoldaten in der Ukraine stationiert werden?

Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir entweder die Ukraine so unterstützen, dass sie Russland zurückdrängen kann oder Russland den Krieg früher oder später ausweitet und dann werden europäische Truppen kämpfen müssen, ob wir es wollen oder nicht. Sollte es je einen sinnvollen Waffenstillstand geben, dann muss dieser zwangsläufig mit europäischen robusten Truppen gesichert sein, die unter dem Schutz von Artikel 5 stehen müssen! Da sollte man sich keine Illusionen machen. Auch deshalb wäre es so sinnvoll, die Ukraine rasch in die NATO zu integrieren, die beste Sicherheitsgarantie für die Ukraine und uns überhaupt.

Welche Rolle spielen die seltenen Erden in der Ukraine? Kann man Trump damit nicht die weitere Ukraine-Hilfe schmackhaft machen?

Für Russland war es immer ein Anreiz, auf die Rohstoffe im Osten der Ukraine abzuzielen. Die Ukraine braucht diese Rohstoffe, um handlungsfähig zu sein und für den wirtschaftlichen Wiederaufbau. Selenskyj hatte selbst vorgeschlagen, weitere US-Unterstützung auch mit Zugängen zu diesen Rohstoffen anzureizen. Es ist nur wichtig für die Ukraine und Europa, dass sie nicht in russischen Händen bleiben oder China sich einnistet.

Putin wollte immer direkt mit den Amerikanern verhandeln. Ist das ein Erfolg für ihn? Oder war es nicht ohnehin klar, dass sich letztlich die USA und Russland verständigen müssen?

Roderich Kieswetter setzt sich seit Jahren für eine entschlossenere Unterstützung der Ukraine ein. Im Bundestag ist der langjährige Soldat Obmann der CDU im Auswärtigen Ausschuss.

Roderich Kieswetter setzt sich seit Jahren für eine entschlossenere Unterstützung der Ukraine ein. Im Bundestag ist der langjährige Soldat Obmann der CDU im Auswärtigen Ausschuss.

(Foto: picture alliance / HMB Media)

Naja, klar, die USA machen Putin damit zu einem legitimen Verhandlungspartner, belohnen seinen Vernichtungskrieg und verkennen, dass es ihm um mehr als die Ukraine oder ein Stück Land geht. Russland wollte immer die regelbasierte Ordnung zerstören und Europa spalten. Putin war tief gekränkt durch Präsident Obamas Aussage, Russland sei nur noch eine Regionalmacht. Jetzt sieht Putin, dass der Krieg gegen die Ukraine ihn wieder zu einem Verhandlungspartner auf Augenhöhe für die Weltmacht USA gemacht hat. Das ist ein so fatales Zeichen für die demokratische Weltordnung - Autokraten bekommen, was sie wollen, wenn sie nur lange genug durchhalten. Und Staaten, die auf die Unterstützung von Partnern angewiesen sind, um Frieden in Freiheit und Selbstbestimmung wiederherzustellen, werden autokratischer Selbstherrlichkeit geopfert.

US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hat in Brüssel gesagt, die Europäer sollten den Großteil der Ukraine-Hilfe übernehmen. Können die Europäer das? Und: Bedeutet dies das sofortige Ende der US-Waffenlieferungen?

Europa hätte schon längst einen wesentlich größeren Teil der Unterstützung leisten können und müssen. Die Staaten Europas haben die wirtschaftliche Kraft dafür - es liegt in ihrem eigenen Interesse. Zudem könnten die Europäer sofort die gesamten russischen Vermögenswerte an die Ukraine überweisen. Nur um auch einmal die russische Wirtschaftskraft ins Verhältnis zu setzen: Das BIP von Russland war 2023 etwa halb so groß wie das von Deutschland. Wenn wir wollten, könnten wir also!

Hegseth sagte auch, er halte eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine für nicht realistisch. Ist das so skandalös? Angela Merkel hat kürzlich auch noch einmal durchargumentiert, warum sie vor zehn Jahren gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine war.

Das ist unklug und strategisch kontraproduktiv, da die Ukraine ein absoluter Gewinn für die NATO wäre - alleine durch das militärisch-technologische Wissen. Zudem ist eine Absicherung eines Friedens oder Waffenstillstands um ein Vielfaches einfacher und preiswerter, wenn die Ukraine NATO-Mitglied ist. Dann gilt auch der nukleare Schutzschirm.

Das Münchener Abkommen von 1938

Das Münchener Abkommen sprach am 29. September 1938 Nazideutschland das Sudetenland zu, einem Teil der damaligen Tschechoslowakei. Großbritannien und Frankreich gewährten Hitler diesen Erfolg, der als Höhepunkt der Beschwichtigungspolitik gegenüber den Nazis gilt. Die Tschechoslowakei saß überhaupt nicht mit am Verhandlungstisch. Die Hoffnung, dass Hitler sich damit zufriedengeben würde, erfüllte sich nicht. Am 1. September 1939 überfiel das Deutsche Reich sein Nachbarland Polen. Der Zweite Weltkrieg begann.

Hegseth hat auch gesagt, die Ukraine könne nicht in ihren alten Grenzen erhalten bleiben. Spricht er damit nicht bloß aus, was ohnehin allen klar war?

Nein, die Ukraine kämpft seit elf Jahren. Russland ist besiegbar und es gibt eine Chance, dass die Ukraine ihre Grenzen wiederherstellt. Es liegt an der Unterstützung der Europäer und des Westens, wie realistisch die Chance ist.

Wäre eine Rumpfukraine mit Zugang zum Schwarzen Meer nicht besser nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand …

Dazu muss die Krim befreit werden. Gerade deshalb wäre Taurus auch 2023 so sinnvoll gewesen.

Hegseth hat auch gesagt, die Europäer sollten fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Das sind Zahlen, bei denen die Deutschen und ihre Nachbarn kollektiv nach Luft schnappen. Aber wie weit können wir den Verteidigungsetat erhöhen, wie weit sollten wir ihn erhöhen?

Fünf Prozent sind nicht komplett aus der Luft gegriffen. Polen hat bereits 4,7 Prozent, Litauen hat 5 bis 6 Prozent vereinbart. Es geht um unsere Sicherheit, und wir werden bereits durch CRINK (China, Russland, Iran, Nordkorea, Anm. d. Red.) angegriffen. Sicherheit ist die oberste Priorität des Staates und das kann und muss sich entsprechend im Haushalt abbilden. Das ist machbar, wenn man den politischen Willen dazu hat.

Sind die USA noch ein verlässlicher Partner für Deutschland? Und was heißt das für den atomaren Schutz, den die USA uns bieten?

Wir müssen alles dafür tun, dass die nukleare Teilhabe bestehen bleibt. Die NATO wird aber ihre Abschreckungswirkung einbüßen durch das Vorgehen der USA. Deshalb ist es so wichtig, dass die europäischen NATO-Staaten durch Lastenübernahme, durch eine massive Steigerung der Investitionen, durch mehr Unterstützung für die Ukraine die eigene Sicherheit erhöhen.

Mit welchem Gefühl gehen Sie in die kommenden Tage und Wochen? Macht Ihnen etwas Hoffnung?

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Mein ohnehin schon großes Unverständnis wächst täglich darüber, dass wir in Deutschland die letzten Jahre sicherheitspolitisch verschlafen und versagt haben. Es ist unser Eigenverschulden, dass wir in diesem Desaster in Europa sind. Und wir diskutieren im Wahlkampf über Nebensächlichkeiten statt der wesentlichen Themen. Ich habe leider keine Hoffnung, dass wir bei uns im Land auf wundersame Weise eine strategische Kultur entwickeln. Ich hoffe auf eine Koalition der Willigen unter entschlossener Führung insbesondere nordischer, mittel- und osteuropäischer Staaten und der Briten.

Mit Roderich Kiesewetter sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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