Voigt trifft auf Höcke Ist es klug, mit einem Nazi zu diskutieren?


Höcke wirbt auf seinen Kanälen für das Duell mit Voigt - und gibt sich siegesgewiss.
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Die Thüringer Spitzenkandidaten von CDU und AfD, Mario Voigt und Björn Höcke, treffen sich zum TV-Duell. Voigt erfährt dafür viel Kritik: Er werte einen Rechtsextremisten auf, warnen die einen. Die anderen sehen keine Alternative dazu, Höcke und seine Partei zu demaskieren.
Viereinhalb Monate vor der Landtagswahl in Thüringen kommt es zu einem ersten Showdown zweier Bewerber auf das Ministerpräsidentenamt. CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt wird sich beim Sender Welt mit dem Landes- und Fraktionsvorsitzenden der AfD, Björn Höcke, duellieren. Der notorische Rechtsextremist und gar nicht so heimliche Spiritus Rector seiner Partei will ebenfalls Amtsinhaber Bodo Ramelow von der Linken ablösen. Der mit Abstand beliebteste Politiker des Landes hat da zwar auch noch ein Wörtchen mitzureden, ist bei dem Duell am Donnerstagabend aber außen vor.
Voigt muss sich viel Kritik anhören, seit er Mitte Januar Höckes öffentliche Herausforderung zum Rededuell angenommen hat. Schelte bekommt der promovierte Politikwissenschaftler Voigt nicht nur vonseiten der anderen Parteien: Linken-Chef Martin Schirdewan sprach bei Welt TV von einer "schwarz-braunen Freakshow". Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagte in der ntv-Sendung Frühstart, das Gespräch sei "überhaupt nicht sinnvoll" und schade der Demokratie. Voigt und die CDU täten so, "als wenn es eine normale demokratische Auseinandersetzung ist. Das normalisiert die Faschisten von der AfD". Auch Experten sind skeptisch. "In Abwägung aller Argumente halte ich es für eine schlechte Idee", sagt etwa Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje im Gespräch mit ntv.de.
"Duell der Unbeliebten"
Würde Thüringens Ministerpräsident direkt gewählt, läge Ramelow laut einer Umfrage von Infratest dimap von Mitte März mit 44 Prozent deutlich vorn. Voigt käme auf 17 Prozent, Höcke auf 16 Prozent. "Es ist das Duell der Unbeliebten", sagt Hillje. Doch während Ramelow und Voigt realistische Chancen auf das Amt des Regierungschefs hätten, könne Höcke nur mit einer unwahrscheinlichen eigenen Mehrheit Ramelow nachfolgen. "Das Duell wertet Höcke zu einem wahrscheinlicheren Ministerpräsidentenkandidaten auf, als er tatsächlich ist", kritisiert Hillje. Zudem erreiche Höcke durch die Plattform weitere potenzielle Wählerschichten, während das rechtsextreme Lager längst überzeugt sei von der in Thüringen als rechtsextremistisch eingestuften AfD.
Thüringen steht im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen AfD und demokratischen Parteien. Gemeinsam mit der Rechtsaußenfraktion hatten CDU und FDP 2020 den Freidemokraten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt, den Vorgang binnen weniger Wochen aber wieder rückgängig gemacht. Seither toleriert die CDU die Minderheitsregierung von Linken, SPD und Grünen, hat aber wiederholt AfD-Stimmen für eigene Gesetzentwürfe hingenommen, die andernfalls keine Mehrheit gehabt hätten. So geschehen bei der Senkung der Grunderwerbsteuer, dem Waldgesetz, zur Verhinderung von Windrädern, und beim dann doch gescheiterten Gesetzentwurf für ein Genderverbot in den Landesbehörden.
Voigt und seine CDU schließen eine Zusammenarbeit mit der AfD nach der Wahl aus, allerdings wollen sie auch nicht mit der Linken koalieren. Wie also Thüringen wieder eine ordentliche Regierung bekommen soll, ist angesichts der Umfragewerte offen: In der vom MDR beauftragten Umfrage von Mitte März war die AfD deutlich gefallen, auf 29 Prozent, offensichtlich wegen des BSW. Die Partei von Sahra Wagenknecht kam aus dem Stand auf 15 Prozent. Die CDU lag bei 20 Prozent, die Linke bei 16 Prozent, gefolgt von der SPD mit 9 und den Grünen mit 5 Prozent. Ein Wiedereinzug der FDP erscheint momentan unwahrscheinlich.
Offene AfD-Flanken angreifen
"Ich trete in diesem Duell für die Werte unserer Demokratie ein. 10 Jahre lang ist man dieser Diskussion aus dem Weg gegangen. Gebracht hat es nichts", erklärte Voigt drei Tage vor der Begegnung auf X. Dass er damit der AfD Reichweite verschaffe, bestreitet der CDU-Kandidat. "Die haben die Bühne schon", sagte Voigt im Podcast "Lage der Nation". Dagegen warf der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder Voigt in den Zeitungen der Funke Mediengruppe vor, zu "einer weiteren Normalisierung und Etablierung der AfD" beizutragen.
Der Kommunikationsberater und ntv.de-Kolumnist Hendrik Wieduwilt teilt Voigts Befund, die Strategie des Ausgrenzens und Ignorierens habe nicht funktioniert. "Das hat vor allem auf die Erzählung der AfD eingezahlt, sie sei die wahre Stimme des Volkes gegen 'die da oben'", sagt Wieduwilt. "Schon deshalb halte ich es für richtig, wenn man die AfD inhaltlich angreift, zumal sie viele offene Flanken hat." So sei etwa die Wirtschaftspolitik der AfD "ein echtes Abstiegsprogramm". Das will auch Voigt in der Auseinandersetzung deutlich machen. Die CDU sei Europapartei und Partei der sozialen Marktwirtschaft. "Die AfD ist das Gegenteil: Sie will Deutschland einmauern", sagte er in der "Lage der Nation".
Aus Wieduwilts Sicht hat die Begegnung auch ihren demokratietheoretischen Reiz: "Ich halte es unterm Strich für richtig, es zu versuchen." Plattformen habe die AfD schon genügend, nur widerspreche ihr dort niemand. "Der Grundsatz muss erst mal sein, die Informationen frei fließen zu lassen", sagt Wieduwilt. "Wenn sich Höcke auf perfide Art und Weise gegen Voigt durchsetzt, hat er zwar einen Sieg davongetragen, aber wir wissen trotzdem mehr über die AfD."
Kein AfD-Kandidat wie andere
Auch Hillje ist für eine harte Konfrontation mit der AfD, grundsätzlich könne dies auch in Wahlduellen oder Spitzenkandidatenrunden geschehen. "Da überhöhen sich der Sender und Voigt auch", sagt Hillje. "Dass man zehn Jahre nicht mit der AfD diskutiert hätte, stimmt einfach nicht." Höcke sei aber kein AfD-Kandidat wie jeder andere. "Höcke ist der Anführer der Rechtsextremen in der AfD", sagt Hillje. Daher gehe es bei dem Kandidatenduell nicht allein um inhaltliche Kritik, "sondern vor allem auch um Ideologiekritik, und die ist deutlich anspruchsvoller".
Diese Herausforderung sieht auch Wieduwilt: "Herr Voigt muss flink auf den Beinen sein." Er müsse Höckes Aussagen grell ausleuchten und rechtsextreme Codes, die Höcke immer wieder einfließen lässt, aufdecken. Einfach werde das nicht. "Es kann gut sein, dass Herr Höcke Kreide frisst und sich als der freundliche Herr von nebenan präsentiert", sagt Wieduwilt. "Dann muss Herr Voigt gegenhalten und könnte etwa fragen: 'Herr Höcke, wie kommt es eigentlich, dass Sie immer "Alles für Deutschland!" sagen?'"
Wird Höcke überhöht?
Auch Hillje vermutet, dass sich Höcke bei Welt TV als gemäßigt und CDU-nah geben könnte, um andere Wählerschichten anzusprechen. "Dann muss Voigt in der Lage sein, die eigentliche Ideologie von Höcke offenzulegen", sagt Hillje. "Voigt hat angekündigt, Höcke zu stellen, doch wenn der den Harmlosen spielt, wird das schwer."
So gesehen kann Voigt viel gewinnen, zumal dem bisher bundesweit eher unbekannten Landespolitiker schlagartig viel Aufmerksamkeit zuteilwird. Hillje vermutet auch hier Kalkül: "Es geht darum, Ramelow aus dem Rennen zu nehmen und sich als einziger aussichtsreicher demokratischer Gegenkandidat zu Höcke zu präsentieren." Das aber um den Preis, dass Voigt auch den Rechtsextremisten Höcke aufwerte. "Das finde ich ethisch fragwürdig."
Wieduwilt sieht ebenfalls Risiken. "Ich sehe absolut die Gefahr, dass man Höcke da überhöht, indem man so tut, als würde Voigt nun gegen eine nahezu unbesiegbares Monster in den Ring steigen." Der lachende Dritte, gibt Hillje zu bedenken, könnte am Ende ausgerechnet der Abwesende sein, Amtsinhaber Ramelow. Dann nämlich, wenn Voigt sich als den rhetorischen Fähigkeiten Höckes nicht gewachsen zeigt, sagt Hillje. "Und dieses Risiko ist meines Erachtens sehr, sehr groß."
Quelle: ntv.de