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"Schwäche provoziert Putin" Kallas warnt vor westlichem Wunschdenken über Russland

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"Unser Mantra sollte lauten, dass Verteidigung nicht Eskalation bedeutet", sagt Kallas beim Matthiae-Mahl des Hamburger Senats. Die estnische Ministerpräsidentin und Kanzler Scholz sind Ehrengäste.

"Unser Mantra sollte lauten, dass Verteidigung nicht Eskalation bedeutet", sagt Kallas beim Matthiae-Mahl des Hamburger Senats. Die estnische Ministerpräsidentin und Kanzler Scholz sind Ehrengäste.

(Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen)

In den baltischen Staaten wird der russische Imperialismus schon als Gefahr wahrgenommen, als Deutschland sich noch auf dem Weg der Annäherung unter dem Prinzip "Wandel durch Handel" glaubt. Estlands Ministerpräsidentin Kallas fürchtet, dass der Westen Putin weiterhin falsch einschätzt.

Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas hat den Westen in scharfen Worten vor Naivität gegenüber Russland gewarnt. "Mein Volk und ich beobachten mit einer gewissen Sorge, wie wenig wahrgenommen wird, was sich derzeit in den Weiten Russlands zusammenbraut", sagte Kallas in Hamburg als Gastrednerin auf dem traditionellen Matthiae-Mahl im Hamburger Rathaus, an dem auch Kanzler Olaf Scholz teilnahm.

"Aus subjektiver Sicht ist es verständlich, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion im Westen eine Art Triumphgefühl auslöste", fügte sie hinzu. Es sei zudem verständlich, dass man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zunächst auf Reformkräfte in Russland gesetzt habe. "Diese Haltung hat den Westen jedoch in die Gefahr des Wunschdenkens gebracht", warnte Kallas.

Sie erinnerte an den früheren estnischen Präsidenten Lennart Meri, der 1994 Ehrengast auf dem Matthiae-Mahl gewesen war und damals vor russischem Neoimperialismus gewarnt hatte. Wladimir Putin, der damals als stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg an dem Essen in Hamburg teilgenommen hatte, habe nach der Rede das Mahl verärgert verlassen.

Man solle sich heute nicht davon ablenken lassen, wenn Russland dem Westen Angst machen wolle. Stattdessen solle man alles tun, "um die Ukraine dabei zu unterstützen, Russland in sein Gebiet zurückzudrängen", forderte die Ministerpräsidentin. "Unser Mantra sollte lauten, dass Verteidigung nicht Eskalation bedeutet." Widerstand provoziere Russland nicht, Schwäche tue es. Sie werde immer wieder gefragt, was Russlands Präsident Wladimir Putin tun werde, wenn er verlieren würde. "Meine Antwort: Wir sollten uns mehr Sorgen darüber machen, was er tun wird, wenn Russland gewinnt."

Kallas wirbt eindringlich für mehr Ukraine-Hilfen

Kallas lobte, dass Deutschland mittlerweile die Militärhilfe für die Ukraine drastisch angehoben habe und sich militärisch im Baltikum engagiere. "Gemeinsam können wir der Ukraine helfen, diesen Krieg zu gewinnen. Wir haben die Ressourcen, die wirtschaftliche Macht, den Sachverstand", so die Ministerpräsidentin. Die Stärke des Westens überwiege jene Russlands. "Lasst uns keine Angst haben vor unserer eigenen Macht."

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Kallas regiert Estland seit 2021. Seit vergangener Woche steht sie auf einer russischen Fahndungsliste. Russland wirft Estland vor, im Sommer 2022, wenige Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, ein sowjetisches Kriegsdenkmal – die Nachbildung eines Panzers T-34 mit rotem Stern – in Narva an der Grenze zu Russland abgerissen zu haben.

"Wir müssen schonungslos ehrlich zu uns selbst sein – genauso wie Russland immer noch ukrainische Städte bombardiert und durch ihre Städte und Dörfer marschiert, wir haben unsere Versprechen nicht eingehalten", sagte Kallas. Der Ukraine gehe die Munition aus. Langfristige Verpflichtungen seien wichtig, aber es sei auch eine Tatsache, dass die Seite gewinne, die über mehr Munition verfüge. Kallas sagte, auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende habe der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu Recht die Frage gestellt, warum Putin den Krieg immer noch fortsetzen könne. "Wir müssen diese Frage beantworten – nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten."

Quelle: ntv.de, ino/dpa

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