Lehren aus der Niedersachsenwahl Katastrophe für die FDP, Geschenk für die AfD
10.10.2022, 05:52 UhrDie SPD hat Prozentpunkte verloren und ist dennoch strahlender Sieger des Wahlsonntags. Für die FDP ist das Abschneiden eine Katastrophe, die sich entweder zur Krise der Ampel ausweitet - oder den Liberalen ein paar Erfolge in Berlin beschwert. Und die AfD kann sich über ein Geschenk freuen. Die Lehren des gestrigen Wahlabends.
SPD kann froh sein, dass sie den Amtsbonus hatte
Für die SPD ist die Sache mehr als glimpflich ausgegangen: Sie hat zwar stärker verloren als die FDP. Aber mehr als 33 Prozent sind heutzutage eben doch ein respektables Ergebnis, erst recht, wenn die Bundespartei in den deutschlandweiten Umfragen unter der 20-Prozent-Marke liegt. Vor allem aber wird sie weiter den Ministerpräsidenten stellen. Wie schon die Wahlen im Mai in den niedersächsischen Nachbarländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gezeigt haben: Ein halbwegs beliebter Ministerpräsident kann damit rechnen, wiedergewählt zu werden.
Stephan Weil hat sich diesen Sieg hart erarbeitet. Er hat nicht nur Wahlkampf in Niedersachsen gemacht, sondern auch in Berlin, in gewisser Weise gegen seinen Parteikollegen Olaf Scholz. Denn wäre es nach Weil gegangen, würde das Konzept für eine Gaspreisbremse nicht an diesem Montag vorgestellt - es gäbe sie längst. Dass Weil dies nicht durchsetzen konnte, ist ihm kaum anzulasten; das geht aufs Konto der Ampel. Was er offenbar geschafft hat: Viele Wählerinnen und Wähler nehmen ihm ab, dass er ihre existenziellen Sorgen ernst nimmt und für Abhilfe sorgen will. "Unser Staat und unsere Demokratie stehen vor der größten Bewährungsprobe, an die ich mich erinnern kann", sagte er im Wahlkampf. "Wir müssen beweisen, dass wir das Vertrauen der Menschen verdienen." Das kam offenbar an.
Die CDU steht immer noch schlecht da
Intern hieß es bei den Christdemokraten schon Wochen vor dem Wahlsonntag, man habe in Hannover nichts zu verlieren und könne nur gewinnen. Denkbar niedrige Erwartungen also angesichts des Amtsbonus von Ministerpräsident Weil, an dessen Beliebtheitswerte CDU-Herausforderer Bernd Althusmann zu keinem Zeitpunkt heranragte. Allerdings: So schwierig hätte Wettkampfposition der CDU nicht sein müssen.
Der Mittelstand, in Niedersachsen stark vertreten, fühlt sich nach Aussage von Verbänden durch die Ampel nicht ausreichend unterstützt, bangt vielfach gar um die Existenz. Und auch Privatleute sind laut Umfragen mehrheitlich nicht überzeugt, dass in Berlin effektive Wege aus der Krise gefunden werden. Doch die Unzufriedenheit auf Bundesebene lässt sich eben nur bedingt nutzen, wenn der Gegner, SPD-Mann Weil, die Bundesregierung ebenso laut kritisiert, wie man es als CDU gerade tun wollte. Dann läuft die Kritik schnell ins Leere und offenbart im schlechtesten Fall, dass die CDU-Opposition im Bund wenig Konkretes anzubieten hat. Friedrich Merz als Chef der Bundespartei muss aus dieser Wahl mitnehmen, dass die Fehler der Regierung nicht automatisch Zuspruch für die Opposition bedeuten, dass Twitter nicht sein Medium ist, und dass 28 Prozent Zustimmung in den Umfragen nur nach viel aussehen, wenn man sie mit den katastrophalen 18 Prozent für die SPD vergleicht. Gemessen an den 40 Prozent aus dem Frühsommer 2020 steht die CDU noch immer schlecht da.
In Ermangelung überzeugender Kritikpunkte an Weil griff CDU-Spitzenkandidat Althusmann nicht selten zu Phrasen oder dem schwachen Argument, Weil wolle nach der kommenden Amtszeit aufhören. Solch halbgare Argumentation funktioniert auf einem CDU-Parteitag, aber nicht beim Angriff auf den Regierungschef.
Die FDP ist auf dem Höhepunkt ihrer Krise
Die Liberalen sind die Verlierer des Abends. Das Ergebnis rührt deutlich aus der Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition in Berlin her und ist so eklatant, dass Lindner, Wissing und Co. im ungeliebten Regierungsbündnis auf keinen Fall weitermachen können wie bisher. Das Finanzministerium, Wunschressort von Christian Lindner, erweist sich als ungeahnte Belastung für die FDP - der Finanzminister hat bei den Entlastungspaketen nur die Wahl zwischen Verweigern, was unweigerlich wie ein Bremsklotz wirkt in Zeiten, in denen es schnell gehen müsste, oder Durchwinken, womit er sich immer weiter von der FDP-Position entfernt, die Schuldenbremse durchzusetzen.
In relevanten, öffentlichkeitswirksamen Fragen wie der Laufzeitverlängerung für AKW können sich die Liberalen nicht durchsetzen. Erkennbar zu wenig Ertrag für die liberale Klientel, die die FDP in Bundesumfragen bereits ebenso abstraft wie in nunmehr der vierten Landtagswahl. Dass die Freidemokraten ihre unglückliche Rolle in der Bundespolitik mit dem Ausscheiden aus dem niedersächsischen Landtag bezahlen müssen, ist der vorläufige Höhepunkt ihrer Krise. Aus der heraus geht es nur über ein markanteres Profil in der Berliner Koalition. Kurioserweise könnte die Niederlage in Hannover bedeuten, dass der Einfluss der FDP in Berlin zunimmt.
Eine Momentaufnahme für die Grünen
Misst man das Abschneiden der Grünen an den Umfragen im Sommer, hätte sich eine alte Regel bewahrheitet: Die Grünen gewinnen Umfragen, nicht Wahlen. Doch die letzten Erhebungen vor der Wahl waren nur wenig besser als das tatsächliche Ergebnis.
Angesichts der breiten Kritik, auch aus SPD und FDP, der Wirtschaftsminister Robert Habeck seit Monaten wegen der verkorksten Gasumlage und der noch immer nicht in Ansätzen klaren Gaspreisbremse ausgesetzt ist, kann sich das Wahlergebnis sehen lassen. Zumal es mit einer Regierungsbeteiligung garniert sein dürfte, der zwölften unter den sechzehn Bundesländern. Obendrein haben die Grünen in Niedersachsen erstmals Direktmandate gewonnen. Der Wermutstropfen: Dies ist nur eine Momentaufnahme. Der Bundestrend geht seit Anfang September vorwiegend in eine andere Richtung: abwärts.
Die AfD kann sich mal wieder über ein Geschenk freuen
Die Flüchtlingskrise nannte der damalige AfD-Chef Alexander Gauland "ein Geschenk", dem seine Partei den Wiederaufstieg in erster Linie verdanke. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass die AfD nicht wegen ihrer politischen Vorstellungen gewählt wird, sondern weil und wenn sie Unzufriedenheit bündelt. Dabei unterlag Gauland jedoch einem Missverständnis: Das "Geschenk" waren nicht die Flüchtlinge, sondern der fortwährende Streit in der Großen Koalition und vor allem innerhalb der Unionsparteien.
Dieses Muster erklärt auch den aktuellen Auftrieb der AfD, sowohl in den bundesweiten Umfragen als auch bei der Landtagswahl in Niedersachsen - der ersten seit Februar 2020, bei der die Partei zulegen konnte. Grund dafür ist nicht die Energiekrise, sondern die schlechte Performance der Ampel beim Umgang damit.
Linke bleiben auf absteigendem Ast
Anders als die AfD kann die Linke von den Streitigkeiten der Ampel nicht profitieren. Sie hat ihr schlechtes Ergebnis von 2017 noch unterboten. Dies war die neunte Wahl in Folge, bei der die Linke Verluste hinnehmen musste. Solange die Querelen zwischen den Grüppchen in der Partei anhalten, dürfte sich an diesem Trend nichts ändern. Den "heißen Herbst", den die Linke angekündigt und mit allerlei Russlandversteherei garniert hat, veranstaltet nun die AfD.
Quelle: ntv.de