
Am Mittwoch demonstrierten die Bäcker des Landes in Hannover. Stephan Weil kam auch.
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Energiepreise und Inflation bereiten den Menschen im Land Sorgen wie lange nicht. Inmitten dieser Krise will die im Bund regierende SPD die Regierungsführung in Niedersachsen verteidigen. Ministerpräsident Weil und SPD-Chef Klingbeil werben um Vertrauen, auch weil es ihnen an konkreten Lösungen fehlt.
Zumindest der leckere Streuselkuchen heitert Stephan Weil etwas auf. Der Ministerpräsident von Niedersachsen sitzt in Godi's Backstube in Hildesheim-Ochtersum und blickt an diesem Montagmorgen genauso ernst drein wie seine beiden Gegenüber, Backstubeninhaber Godehard Höweling und Axel Oppenborn von der Bäcker-Innung Niedersachsen. "Wir brauchen jetzt die Unterstützung, sonst geht ein riesiges Bäckersterben los", sagt Höweling.
Es brennt an allen Ecken: Zum Jahrsende läuft Höwelings Liefervertrag für seinen Gasofen aus. Was Höweling dann droht, weiß Oppenborn aus eigener Erfahrung: Der monatliche Gasabschlag für seine eigene Backstube hat sich bereits auf 27.000 Euro fast verzehnfacht. Die Preise für Strom, Mehl und Butter gehen ebenfalls durch die Decke, während die Inflation die Kaufkraft der Kunden schleift. Das Bäckerhandwerk blickt in den Abgrund und mit ihm unzählige andere Mittelständler im Land.
In allen Bundesländern und Kommunen klingeln derzeit Unternehmer Sturm bei der Politik, schlagen Alarm und fordern Antworten. Und dann ist auch noch Wahlkampf in Niedersachsen. Sozialdemokrat Weil will sich zum dritten Mal in Folge zum Regierungschef wählen lassen. Die im Bund regierende SPD muss das Land unbedingt verteidigen, sonst wird es in Berlin noch ungemütlicher als ohnehin schon. "Aktuell erlebe ich, das muss ich ehrlich sagen, den schwierigsten Wahlkampf, den ich in meinem Leben geführt habe", sagt Weil im Interview mit ntv.de. Noch nie habe er "so viele Fragezeichen in den Gesichtern der Bürgerinnen und Bürger gesehen". Und Weil, der Ministerpräsident mit dem kurzen Draht zu seinem Genossen im Kanzleramt, ist der Mann, der ihnen Antworten geben soll.
"Müssen beweisen, dass wir das Vertrauen verdienen"
Leicht fällt ihm das nicht: Weder die Energiepreise noch politische Gegenmaßnahmen werden in der Staatskanzlei in Hannover gemacht. Also hat sich Weil nach eigenem Bekunden in Berlin "massiv eingesetzt für die Belange der Bürgerinnen und Bürger". Fünf Wochen vor der Landtagswahl verständigte sich die Ampelkoalition schließlich mühevoll auf ein Maßnahmenpaket, das Weil nun den beiden sorgenvoll dreinblickenden Bäckern erläutert, allem voran die Strompreisbremse. Was da aber wann und wie genau kommen wird, weiß noch nicht einmal Olaf Scholz zu sagen. Und beim Gas? Da gebe es jetzt diese Kommission, die müsse schnell liefern. Für Weil ist unvorstellbar, dass der Staat nicht auch in dieser Krise alles tut, um eine Insolvenzwelle zu verhindern, wie in der Bankenkrise, in der Pandemie. Bis die Instrumente des Bundes greifen, will er Kommunen mit Landesmitteln dabei unterstützen, Härtefallfonds für in Notlage geratene Menschen und Unternehmen aufzusetzen.
"Ich bin hochgradig problembewusst", sagt Weil und versichert den beiden Bäckern: "Auf mich können Sie sich verlassen." Dann geht es weiter zum nächsten Termin. Vor dem Bäckereibesuch hat sich Weil bei einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft erklären lassen, wie Preisexplosion, Fachkräftemangel und Lieferschwierigkeiten den Wohnungsbau ausbremsen. Dasselbe in Weyhe und Osnabrück: Überall begegnen ihm Fragen nach Energiepreisen und Inflation - von Rentnern und Schülern, von Unternehmern und Angestellten. "Unser Staat und unsere Demokratie stehen vor der größten Bewährungsprobe, an die ich mich erinnern kann", sagt Weil am Ende des Tages. "Wir müssen beweisen, dass wir das Vertrauen der Menschen verdienen."
Kommunen und Städte am Limit
Doch Weils Idee von kommunalen Härtefallfonds wirft zumindest beim Oberbürgermeister der Stadt Wilhelmshaven, Carsten Feist, Fragen auf: "Keine Kommune hat dafür Geld in den Haushalt eingestellt", sagt der parteilose Feist. Wenn es doch gelinge, Geld aus dem laufenden Haushalt in die Härtefallfonds umzuschichten, werde das "nicht den großen Dämpfungseffekt haben", fürchtet Feist. Der Kreis der Menschen und Unternehmen, die noch vor Jahreswechsel dringend Hilfe brauchen, könnte die kommunalen Mittel weit übersteigen. Zudem ist fraglich, ob die örtlichen Energieversorger, wie von Weil vorgeschlagen, freiwillig in die Härtefallfonds einzahlen, während ihre Einkaufspreise durch die Decke gehen und reihenweise Zahlungsausfälle bei der Kundschaft drohen.
Derweil treffen die Preissprünge auch die Städte und Kommunen ins Mark: Wilhelmshaven muss im kommenden Jahr voraussichtlich 10 statt bisher 5 Millionen Euro für die städtischen Energiekosten aufwenden, rechnet Feist vor. Zugleich muss Feist seine Verwaltung darauf vorbereiten, künftig eine Vielzahl der bisherigen Wohngeldanträge zu bearbeiten, und zwar schnell: Die von der Ampel am 4. September verkündete Wohngeld-Ausweitung soll und wird wohl auch zu einer sprunghaft steigenden Nachfrage führen. Nicht auf Rosen gebettete Städte wie Wilhelmshaven, wo nach den industriellen Umbrüchen der vergangenen Jahrzehnte vergleichsweise viele Arbeitslose und Menschen mit geringem Einkommen leben, stehen infolge der Energiekrise vor immensen Herausforderungen. Dabei sind die Städte und Kommunen für Bürgerinnen und Bürgern das erste Gesicht eines solidarischen Staates, den der Kanzler versprochen hat: "You'll never walk alone!"
Stabil vorne, aber knapp
Lars Klingbeil käme als eingefleischter Fan des FC Bayern eher nicht auf die Idee, die auch von Borussia-Dortmund-Fans gesungene Fußball-Hymne zu zitieren. Doch auch der aus Niedersachsen stammende SPD-Bundesvorsitzende wirbt bei den Menschen in seinem Heimatland um Zutrauen in die SPD-geführten Regierungen in Bund und Land. Am Mittwoch war er mit den örtlichen Unternehmern im Austausch, am Donnerstagabend ist er in Oldenburg zu Gast, um mit interessierten Menschen zu reden. Klingbeil macht keinen Hehl daraus, dass die um ihr wirtschaftliches Überleben bangenden Mittelständler einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen haben. Nur verbindliche Hilfszusagen hat auch er nicht im Gepäck. Die Bundesregierung werde "unfassbare Mengen Geld in die Hand nehmen, um abzufedern", sagt er den etwa 50 Männern und Frauen, die ins Theater Wrede in Oldenburg gekommen sind, um am Format "Klingbeil im Gespräch" teilzunehmen.
Sie erfahren, dass es aus Klingbeils Sicht auch nicht die Ministerinnen und Minister seiner Partei sind, die derzeit bremsen. "Es ist ja wahnsinnig unterhaltsam, wenn man sich wie Herr Habeck und Herr Lindner gegenseitig erzählt, was der andere falsch macht. Aber das bringt das Land nicht weiter." Heißt aber auch: Es sind nicht Sozialdemokraten, die derzeit an entscheidender Stelle sitzen, und das Bild prägen, das sich die Menschen von der Bundesregierung machen - einschließlich der Niedersachsen vor ihrer Wahlentscheidung. Zwar liegt der in Niedersachsen beliebte Stephan Weil mit seiner SPD in den Umfragen einigermaßen stabil vorn. Doch kann sich die Partei nicht sicher sein, dass der gezielt die Ampel in Berlin attackierende Wahlkampf von CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann auf den letzten Metern nicht doch noch alles umwirft.
Unzufriedene Rentner, besorgte Beschäftigte
Als Stephan Weil am frühen Montagnachmittag in Weyhe ist, gibt es schon wieder etwas Süßes: "Eis mit Weil" heißt die Veranstaltung, zu der zwei Dutzend Zuhörer erschienen sind. Mitten am Werktag sind es vor allem Rentnerinnen und Rentner, und die sind noch immer sauer, weil sie beim zweiten Entlastungspaket im Frühjahr nicht bedacht worden waren und kein Äquivalent zur Energiepreisprämie ausgezahlt bekommen haben. Weil hatte den Fehler zwar als erster SPD-Ministerpräsident erkannt und als solchen öffentlich benannt, doch zu spät. Also erklärt Weil nun, dass die Bundesregierung ja gerade die 300 Euro pro Rentnerin und Rentner beschlossen habe und lobpreist eine Politik, die zur Selbstkorrektur fähig sei.
Unter den Eisessenden ist auch Petra Piening. Die 54-Jährige ist Betriebsrätin bei einer regionalen Bäckereikette und fragt ihren Ministerpräsidenten, wie das Entlastungspaket der Bundesregierung ihrem Arbeitgeber überleben helfe. Unter der Belegschaft gehe die Sorge um, was aus den mehr als 350 Arbeitsplätzen wird, wenn der Ofen eines Tages aus sein sollte - und zwar wortwörtlich. Geduldig erklärt Weil, wie der angedachte Preisdeckel für die Grundstromversorgung funktionieren und was die für den Gaspreis zuständige Kommission bringen könnte. "Das muss schnell kommen", mahnt Piening zur Eile. "Wir haben alle Angst, Herr Weil."
Quelle: ntv.de