Kann er Bindung zu Trump retten? "Keir Starmer kommt jetzt eine besondere Rolle zu"
05.03.2025, 20:07 Uhr Artikel anhören
Der britische Premierminister Keir Starmer will zwischen den USA und Europa eine Brücke schlagen.
(Foto: Carl Court/Pool Getty Images Nor)
Keir Starmer übernimmt in Europa gerade die Führung eines geeinten Europas, das sich gegen Russland wappnet - und schwierige Verhandlungen mit den USA führt. Die unsicheren Zeiten treiben den britischen Premierminister dazu, sich der EU wieder anzunähern. "Vielleicht sogar enger als vor dem Brexit", sagt der Rechtswissenschaftler Gerhard Dannemann ntv.de. Auch im transatlantischen Verhältnis komme Starmer eine besondere Rolle zu.
ntv.de: Das Treffen der europäischen Spitzen am Sonntag fand ausgerechnet in London statt, Hauptstadt des Landes, das die EU verlassen hat. Wie passt das zusammen?

Gerhard Dannemann ist Rechtswissenschaftler und Professor am Centre for British Studies der Humboldt-Universität zu Berlin.
(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)
Gerhard Dannemann: Keir Starmer nimmt eine ganz andere Verantwortung wahr als Großbritannien vor zehn Jahren. In dem ersten Ukrainekrieg hat sich der damalige Premierminister David Cameron komplett ausgeklinkt. Es waren die Deutschen, Franzosen und Amerikaner, die zwischen den Ukrainern und den Russen einen Waffenstillstand ausgehandelt haben. Diesmal ist es ganz anders: Großbritannien will diese Rolle. Dass der Brexit stattgefunden hat, steht dem nicht im Weg. Es kann vielleicht sogar helfen, innerhalb von Europa weitere Schwierigkeiten zu überwinden.
Wie meinen Sie das?
Die neue britische Regierung unter Starmer will die Beziehungen zur EU verbessern. Jetzt ergibt sich die Gelegenheit, die beidseitig gewünschte stärkere Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik voranzutreiben - und damit auch Schwung für Verhandlungen über eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mitzunehmen.
Ist es für Großbritannien auch eine Chance auf eine Umkehr mit Blick auf den durch den Brexit erlittenen Bedeutungsverlust?
Durchaus möglich. Indem man auf die weltpolitische Bühne stärker zurückkehrt, wertet man sich natürlich auch gegenüber der EU weiter auf. Allerdings ist Großbritannien weiterhin Mitglied des UN-Sicherheitsrates, dort sogar eine Veto-Nation, und zählt zusammen mit Frankreich zu den zwei stärksten Militärmächten in Westeuropa. Das alles spielt auch eine Rolle.
Füllt Starmer damit die Führungslücke aus, die Deutschland seit Scholz' Misstrauensvotum in Europa hinterlassen hat?
Gut möglich, dass sonst ein deutscher Bundeskanzler bei dieser Initiative vertreten wäre. Ein Vorteil von Starmer ist aber, dass er mit dem amerikanischen Präsidenten auf gutem Fuß steht. Er war gerade in den USA und ist dort freundlich behandelt worden. Früher oder später wird man bei derartigen Gesprächen auch den neuen deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz mit einbeziehen.
Braucht es in der "neuen Weltordnung" einen Mittelsmann zwischen den USA und Europa? Und kann Großbritannien diese Rolle ausfüllen?
Großbritannien geht davon aus, dass es das kann. Man ist seit langem stolz auf die "special relationship", die besondere Beziehung, die allerdings den Briten deutlich präsenter ist als den Amerikanern. Von Donald Trump habe ich noch nichts darüber gehört. Aber es sind natürlich historische und kulturelle Bande, die da helfen. Dass Starmer als britischem Premierminister eine besondere Rolle zukommt, ist klar.
Lob für seine besondere Rolle bekommt er auch von der Opposition in Großbritannien. Nutzt Starmer die Krise auch, um sein eigenes Ansehen im Land zu verbessern?
Das ist sicher ein willkommener Nebeneffekt, aber ich glaube, er sieht das primär als eines von vielen Problemen, mit denen er zu kämpfen hat. Es nimmt es sicher gerne mit, strebt aber wohl nicht diese Rolle an, um sich innenpolitisch zu profilieren.
Hat der Friedensplan von Starmer und Macron überhaupt eine realistische Chance, dass Putin zustimmt?
Vermutlich nicht. Aber er ist ja noch nicht sehr konkret. Wir hören einige Details, die noch nicht richtig abgestimmt zu sein scheinen zwischen London und Paris. Und zumindest bringt das mal einen Stein ins Rollen. Es könnte auch ein Versuch sein, die USA aus der russischen Umklammerung wieder herauszulösen und Wege aufzuzeigen, wie man aus diesem Konflikt herauskommen könnte.
Beim EU-Gipfel am Donnerstag wird Großbritannien fehlen. Wie wirkt sich das auf die von Starmer angestrebte führende Rolle aus?
Großbritannien ist zwar nicht mehr in der EU, aber die Zeichen sind sehr klar, dass beide Seiten in der Sicherheitspolitik eng zusammenarbeiten wollen - vielleicht sogar enger als vor dem Brexit. Deswegen wird man sich auch einigen und Wege finden, die Kommunikation offenzuhalten.
Ist vorstellbar, dass Großbritannien seinen nuklearen Schutzschirm eines Tages auf Europa ausweitet, wenn der Schutz der USA wegfällt oder den europäischen Nato-Staaten nicht mehr zuverlässig erscheint?
Großbritannien hat, anders als Frankreich, seine Nuklearwaffen in die Nato-Verteidigungsstrategie integriert. Sie können also schon jetzt zum Schutz anderer Nato-Mitgliedstaaten dienen. Also auch von Deutschland.
Mit Gerhard Dannemann sprach Vivian Micks
Quelle: ntv.de