Politik

Eine Bewegung hinterfragt sich "Wir als Fridays for Future werden dem Problem nicht gerecht"

Kurz vor der Bundestagswahl endlich mal wieder ein Klimastreik?

Kurz vor der Bundestagswahl endlich mal wieder ein Klimastreik?

(Foto: picture alliance / FotoMedienService)

Noch vor wenigen Jahren folgen Hunderttausende Menschen dem Ruf der Fridays for Future und demonstrieren deutschlandweit für Klimaschutz. Davon ist nichts mehr zu sehen. Kurz vor der Bundestagswahl scheint das Thema tot, die Bewegung erschöpft. "Es ist keine leichte Zeit, das bekommen alle bei uns mit", räumt Pauline Brünger ein. Im neuen "Klima-Labor" von ntv widerspricht die Sprecherin von Fridays for Future allerdings der Wahrnehmung, das Thema sei erledigt. Ihr zufolge wird es allerdings von konservativen und fossilen Stimmen gekapert: "Die Debatte läuft gerade in eine falsche Richtung und wir haben bisher keinen Weg gefunden, damit umzugehen."

ntv.de: Wissen Sie, was man aktuell findet, wenn man Fridays for Future googelt?

Pauline Brünger: Das habe ich in den vergangenen Wochen nicht gemacht.

Pauline Brünger (M.) im Gespräch mit dem neuen Grünen-Chef Felix Banaszak (r.).

Pauline Brünger (M.) im Gespräch mit dem neuen Grünen-Chef Felix Banaszak (r.).

(Foto: picture alliance / Metodi Popow)

Der MDR berichtet von einer schrumpfenden Bewegung in Magdeburg. Der Südkurier fragt, ob die Bewegung den Kampf gegen den Klimawandel aufgegeben hat. Und im SWR muss der lokale Ableger erklären, dass Fridays for Future nicht an Bedeutung verloren hat. Das klingt ernüchternd.

Es ist keine leichte Zeit, um für den Klimaschutz zu kämpfen. Das sehen wir in der politischen Debatte, im Wahlkampf spielt das Thema kaum eine Rolle. Das bekommen alle bei uns mit und wir fragen uns intern auch: Wie geht man damit um?

Was ist denn passiert? Hat man nach der Corona-Pandemie keinen Weg mehr gefunden, viele Menschen für große Demonstrationen zu mobilisieren?

Auf diese Frage gibt es nicht nur eine Antwort. Das ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Der erste ist der natürliche Kreislauf sozialer Bewegungen: Auf dem Höhepunkt unserer Proteste waren 2019 mehr als eine Million Menschen an einem einzigen Freitag auf der Straße. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass man das über Jahre aufrechterhalten kann.

Sind die Leute müde geworden?

Es gibt sicherlich eine gewisse Erschöpfung, wenn man regelmäßig auf die Straße geht und nicht ernst genommen wird. Aber wir hatten großes Momentum, es ist viel passiert. Die Erfolge sieht man allerdings erst zeitversetzt. Es dauert ein paar Jahre, bis gesellschaftliche Veränderungen in Gesetze gegossen werden.

Fridays for Future hat sich also erfolgreich selbst abgeschafft?

Ich wünsche mir auf jeden Fall, eines Tages irrelevant zu sein und keine Demos mehr organisieren zu müssen. Wenn man über die Klimakrise redet, kann man aber eindeutig sagen: Dieser Punkt ist bisher nicht erreicht. Wir sehen die Extremwetterkatastrophen, der globale Temperaturanstieg lag vergangenes Jahr das erste Mal über der 1,5-Grad-Grenze, und beim Weltwirtschaftsforum in Davos wurde ein Bericht zu den größten globalen Risiken vorgelegt: Fünf der zehn größten sind klimabezogen. Das geht leider völlig unter.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Der Diskurs hat sich verschoben. Die allgemeine Wahrnehmung ist, dass niemand mehr übers Klima sprechen möchte. Faktisch stimmt das nicht, rechte Stimmen und konservative Liberale reden massenhaft davon und versuchen, die Erfolge der letzten Jahre anzugreifen. Es vergeht gefühlt kein Tag, an dem Markus Söder nicht darüber spricht, dass die Energiewende der vergangenen Jahre rückabgewickelt werden muss. Die Deutungshoheit über diese Themen darf uns nicht entgleiten und bei Befürwortern fossiler Energien landen.

Kann man diese Stimmen nicht einfach ignorieren? Klar, manche wollen zurück zum russischen Gas oder zur Kernkraft, aber der Markt hat sich doch entschieden: China hat vergangenes Jahr wieder neue Rekorde beim Zubau von Solar und Wind aufgestellt. In Deutschland, der EU oder auch Indien sieht es nicht anders aus. Alle setzen auf Erneuerbare.

Die Stimmen zu ignorieren, wäre gefährlich, weil nicht gesagt ist, dass es bei Worten bleibt. Man muss davon ausgehen, dass diese Stimmen Regierungsverantwortung erhalten und sich verpflichtet fühlen, ihre Rückabwicklungs-Versprechen einzuhalten. Und in den Bereichen Verkehr und Gebäude wären ambitioniertere Maßnahmen oder Verschärfungen notwendig. Stattdessen wird darüber diskutiert, das Verbrenner-Verbot und das Gebäudeenergiegesetz zurückzunehmen.

Aber ist das noch die richtige Art und Weise, um für Klimaschutz zu kämpfen? Müsste man konservativer dafür werben?

Solche Strategie-Fragen stelle ich mir ebenfalls. Warum nicht? Aber ich bin keine Konservative und kann somit auch nicht authentisch für konservativen Klimaschutz werben. Ich bin Klimaaktivistin. Ich habe als junger Mensch begonnen, freitags die Schule zu bestreiken und möchte, dass die schlimmsten Folgen der Klimakatastrophe verhindert werden. Dafür tue ich nach bestem Gewissen alles, was ich kann. Deswegen gibt es natürlich einen Reflex, unsere Strategie zu verteidigen. Insgesamt müssen wir aber feststellen, dass wir dem Problem gerade nicht gerecht werden.

Fridays for Future?

Die gesamte Klimabewegung und darüber hinaus. Das ist keine Schuldzuweisung, aber wir müssen uns ehrlich machen: Die Debatte läuft gerade in eine falsche Richtung und wir haben bisher keinen Weg gefunden, damit umzugehen. Das gilt aber nicht nur für uns.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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Organisiert Fridays for Future deswegen inzwischen so viele Demos, bei denen es nicht mehr um Klimaschutz, sondern Demokratie und Rechtsextremismus geht?

Das klingt vielleicht dumm, aber wir haben in den vergangenen Jahren so viele Demos organisiert, unsere Leute wissen einfach, wie es geht. Und gerade bei diesen Themen spüren unsere Ortsgruppen wahrscheinlich eine gewisse Verantwortung und beteiligen sich aus Überzeugung. Wir sind kein straff geführter Verband, bei dem eine Person an der Spitze sagt: Das machen wir. Sicherlich besteht eine Gefahr, dass man sich an den Themen anderer abarbeitet, es ergibt aber auch keinen Sinn, an der Realität vorbeizureden.

Die Umfragen für die Bundestagswahl zeigen eindeutig das Bedürfnis nach einer konservativen Wende. Wahrscheinlich auch, weil alle Menschen ihre Strom- und Heizkosten auf dem Schirm haben und diese mit Klimaschutz in Verbindung bringen. Kann es sein, dass es generell keine Mehrheit für Klimaschutz gibt? Dass die Menschen nicht die Welt retten, sondern möglichst günstig leben wollen und nur deshalb Solarenergie unterstützen? So wie in den USA?

Die Marktlogik sollte eigentlich ein Argument für mehr Klimaschutz sein, aber es ist eine der großen Schwächen der Debatte, dass die realen Kosten der Klimakrise nicht eingepreist werden. Wirtschaftlich ergibt es jedenfalls keinen Sinn, bei fossilen Energiequellen zu bleiben. Auf jeden Fall muss man um Mehrheiten für Klimaschutz kämpfen, die fallen nicht gottgegeben vom Himmel. In Deutschland möchte eine Mehrheit glücklicherweise Klimaschutz, unabhängig von der Parteipräferenz. Aber niemand sollte sich eine Illusion machen, diese Mehrheit kann man auch wieder verlieren. Deswegen finde ich diesen Bundestagswahlkampf auch so unerträglich: Die progressiveren Parteien fahren eine Strategie des Abstandnehmens, weil es bei Klimaschutz Gegenwind gibt und sie das Gefühl haben, sie könnten deswegen die Wahl verlieren.

Diese Haltung wäre im Wahlkampf bei Problemthemen aber nichts Neues.

Nein, aber damit machen sie das Spielfeld frei für Stimmen, die Stimmung gegen Klimaschutz machen. Klimaschutz passiert nicht einfach. Davon muss man die Menschen überzeugen, die einzelnen Maßnahmen erklären und auch gegen die Diffamierung aus einem fossilen und rechten Lager ankämpfen.

Aber ist das Stimmungspendel nicht auch deshalb in die andere Richtung ausgeschlagen, weil man speziell Klima- und Umweltschutz sehr mit einer linken Politik oder auch "woken" Themen verbindet? Vielleicht muss man das Thema aus dieser Ecke herausholen.

Ich bin kein Grünen-Mitglied und stehe vielen Entscheidungen der Grünen aus den vergangenen Jahren kritisch gegenüber. Die Grünen setzen sich aber am stärksten mit dem Thema auseinander. Das Wahlprogramm der CDU ist katastrophal für das Klima. Dass Klimaschutz als "grün" oder "links" angesehen wird, liegt vor allem daran, dass andere Parteien nicht mal in Ansätzen versuchen, ernsthafte Lösungen anzubieten. Ich wünsche mir wirklich ernsthafte Angebote für konservativen Klimaschutz. Die CDU setzt aber nichts um - und lässt damit ein riesiges Potenzial liegen. Das finde ich einfach enttäuschend.

Also kein Strategiewechsel?

Als die ersten Klimaschutzgesetze beschlossen wurden, war Angela Merkel Kanzlerin. Es geht also auch ohne die Grünen in der Regierung. Aber die Regierung wurde damals von der Stimmung im Land unter Druck gesetzt, die Menschen haben Klimaschutz eingefordert. Bei der Migrationspolitik war es umgekehrt: Die Ampel stand unter Druck, restriktive Gesetze zu verabschieden. Egal, mit welcher Regierung wir es in den nächsten vier Jahren zu tun haben werden, wir müssen dafür sorgen, dass Klimaschutz ganz oben auf der Agenda steht - dann kann er auch umgesetzt werden. Dafür brauchen wir ein breites Bündnis: Niemand muss vegan leben, um mit uns auf die Straße zu gehen. Man darf auch Auto fahren, Fleisch lecker finden …

Und auch die CDU wählen?

Man kann auch die CDU wählen und zum Klimastreik kommen, auch wenn ich es schwierig finde, was die Partei gerade macht. Die CDU hat kein gutes Klimaprogramm und überschreitet gerade gleichzeitig mit ihren menschenfeindlichen Asylrechtsverschärfungen 100 rote Linien - unterstützt von der AfD. Wer mit uns auf die Straße gehen möchte, muss eigentlich nur mit zwei Punkten übereinstimmen: Wir möchten, dass man noch länger auf diesem Planeten leben kann und wollen, dass die Politik dieser Verantwortung gerecht wird. Dafür kämpfen wir. Es reicht aber nicht, wenn sich nur Kinder dafür einsetzen. Er braucht auch Bäuerinnen, die sich um ihre Ernte sorgen oder ältere CDU-Wähler, die sich vor Hitzewellen nicht richtig geschützt fühlen - das würde der Debatte neue Energie geben.

Mit Pauline Brünger sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

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Quelle: ntv.de

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